Das Viega Seminar- und Vertriebscenter in Österreich
Ausgangssituation und Kontext
Das Installationstechnikunternehmen Viega ist bereits seit Jahrzehnten in Österreich präsent – und seither dynamisch gewachsen. Da der Firmensitz in Seewalchen am Attersee an seine Kapazitätsgrenzen stieß, wurde der Bau einer neuen Niederlassung notwendig. Für die rund 1.500 Besucher:innen pro Jahr sollte zudem ein neues Schulungs- und Seminarcenter entstehen, mit dem Viega die Zahl der Seminarangebote erhöhen und die Qualität der Schulungen steigern kann.
Die Ansprüche des Auftraggebers an den Neubau waren vielfältig: Zum einen sollte sich das Gebäude im Laufe der Nutzungsphase flexibel und kontinuierlich anpassen können, zum anderen selbst zum „Schulungsinhalt“ werden. Seminarteilnehmer:innen sollen künftig die Daten der Technischen Gebäudeausrüstung (Wasser- und Energiebedarf, externe Wärmeeinträge und interne Kühllasten, Nutzungsphase sowie Geothermie) analysieren und bewerten können.
Projektdaten
Zentrales Element der Viega-Servicekomponente ist das Fortbildungsangebot des Unternehmens. Die fachliche Wissensvermittlung des Seminarprogramms thematisiert dabei nicht nur die komplexe Systemwelt, sondern informiert auch über die Entwicklung von BIM in den Bereichen Sanitär- und Haustechnik. Eine große Rolle spielt dabei, dass das Gebäude selbst integral geplant wurde. Bereits vor dem Vorentwurf wurden dazu diverse Konzepte erstellt und sämtliche Planungsparameter für das Projekt in einem Lastenheft mit mehreren 100 Seiten definiert.
Projektprozesse mit Target Value Design planen und evaluieren
Ein wesentlicher Baustein zur Sicherstellung eines klimaneutralen Betriebs ist die Bedarfsplanung als Bestandteil der integralen Planung. Hierfür hat das Architekten- und Ingenieurbüro ATP das „Target Value Design“ im integralen Vorprojekt als standardisiertes Verfahren etabliert. Es gewährleistet die exakte Definition des Anforderungsprofils. Die evaluierten Ziele werden am Ende durch Qualitätskontrollen bestätigt und dienen folglich als „baseline“ für den Betrieb. Somit werden die notwendigen messbaren Anforderungen über den gesamten Lebenszyklus definiert.
Das „Target Value Design“ identifiziert den Kundenwert (funktionales Bedürfnis und Wertdefinition) und setzt darauf den Schwerpunkt, wenn es darum geht, Budgets einzuhalten und Verschwendung zu vermeiden. In Workshops werden soziale, ökologische- und kommerzielle Projektziele sowie die Kosten- und Terminschiene visualisiert und miteinander korreliert. Es entsteht eine Priorisierungsmatrix als Grundlage für das Value Engineering.
Integrale Planung mit BIM
Das Seminarcenter ist konsequent integral nach der Planungsmethode BIM mit bemerkenswerter Detailtiefe entlang eines digitalen Modells entwickelt und „as built“ nachgeführt worden. Das vereinfachte den Bauprozess und erleichtert den künftigen Betrieb mit Wartung und Instandhaltung. Integrale Planung ist heute die Voraussetzung für hohe Modellqualität und reduzierte Verschwendung. Sie ist der Schlüssel für nachhaltige, ressourcen- und energieschonende Bauwerke. Seit 40 Jahren plant ATP integral, seit 2012 durchgehend bei allen Projekten mit BIM. Diese kooperative Kultur ist das Ergebnis langer interdisziplinärer Übung. Im Gegensatz zu herkömmlichen, konsekutiven Planungsprozessen kann die integrale Planung alle Vorteile von BIM zugunsten nachhaltiger Gebäude ausschöpfen.
Anwendung von dynamischen Simulationsmethoden
Im traditionellen Planungsprozess werden statische Berechnungen zur Dimensionierung der Energie herangezogen, die jedoch Speichermassen und saisonale Auswirkungen des Umgebungsklimas nicht mit einbeziehen können. Dynamische Simulationsmethoden hingegen können diese Herausforderungen besser meistern und neben der Leistungsermittlung auch für die Modellierung des thermischen Komforts herangezogen werden.

BIM-Fokus bei Umsetzung und Kosten
Nicht nur Planung und Bauausführung, sondern auch der Gebäudebetrieb setzen auf BIM. Die Gebäudetechnik kommuniziert digital mit dem Dienstleister. Für den Auftraggeber hat dies wesentliche Vorteile, da rund 40 % der Gesamtkosten eines Objekts nicht im Bau, sondern in der Betriebsphase entstehen. Mit BIM können so die Lebenszykluskosten über das Facility Management optimiert werden, dies bringt beträchtliche Einsparungspotenziale mit sich. In Zusammenarbeit mit „E3D – Lehrstuhl für Energieeffizientes Bauen“ der RWTH Aachen erstellte ATP einen digitalen Zwilling des künftigen Hauses und bildete im zentralen Datenmodell alle architektonischen, technischen und funktionalen Eigenschaften ab. Auch Kosten, Termine und Nachhaltigkeit von Planungsbeginn bis zum Betrieb wurden genauestens analysiert, simuliert, geplant und dokumentiert und so die Vorgaben des Bauherrn durchgängig integriert.
Nachhaltigkeit am lebenden Objekt zeigen
Dem Auftraggeber war es ein Anliegen, seine Unternehmensphilosophie mit dem Gebäude sichtbar zu machen und damit war Nachhaltigkeit das zentrale Anliegen: Das Schulungscenter ist ein interaktives Best-Practice-Beispiel für die Viega-Seminare. Das Ergebnis ist ein außergewöhnliches Vorzeigeprojekt, bei dem neben den originären Nutzungsvorhaben die sozialen, ökologischen und ökonomischen Anforderungen über den gesamten Lebenszyklus berücksichtigt wurden.

Der kubische Baukörper ist unter anderem durch seine reduzierte Umfassungsfläche einerseits als Plus-Energie-Haus konzipiert. Zugleich bietet die großzügige Glasfassade einen beeindruckenden Panoramablick über den Attersee und das Höllengebirge – und vermittelt den Seminarteilnehmern so ein einmaliges Schulungserlebnis. Energetische Anforderungen und komfortable Nutzerbedürfnisse sind für die Architektur hier kein Gegensatz, sondern perfekt zusammengeführt.
- Nutzung von regenerativen Energiequellen wie einer Geothermieanlage, einer mechanischen Lüftung mit hocheffizienter Wärmerückgewinnung und von Ablagesystemen mit Niedertemperaturniveau (FBH, Deckenkühlung, usw.)
- Die am Dach installierte PV-Anlage eliminiert die Betriebs-CO2-Emissionen und erzeugt regenerativen Strom. Damit wird der Eigenbedarf vollständig gedeckt und auch Strom ins Netz eingespeist.
- Passive Maßnahmen wie etwa die Bauweise und die hohe Luftdichtheit halten den Energiebedarf so gering wie möglich. Das Gebäude erzielte bei der Messung der Luftdichtheit nach ISO 9972 einen Wert von n50 = 0,32 1/h.
- Im Bereich Trinkwasser, bei der Flächenheizung und bei den Heizungsinstallationen fand die innovative Viega-Produktpalette vielseitigen Einsatz.
- Das erfolgreich umgesetzte Planungskonzept mit der kompakten Gebäudehülle, dem optimierten Flächenverhältnis (opaken und transparenten Bauteilen) und dem hocheffizienten Energiesystem zeigt sich im erzielten Gesamtenergieeffizienzfaktor fGEE von 0,37 (Anforderungswert gem. OIB RL 6 liegt bei 0,85).
Smartes Testgebäude
Ein wesentlicher weiterer Baustein des Gesamtkonzeptes ist die vollständige Vernetzung der gebäudetechnischen Daten des Anlagenbetriebs, des Seminarbetriebs und der Medientechnik, um so die Bedienung der Räume in Form eines smarten Gebäudesystems zu realisieren. Auf Basis des Seminarbetriebs werden sowohl Lichtszenarien, Temperaturanforderungen, Luftmengen, Multimediaanforderungen als auch Demonstrationsobjekte miteinander vernetzt und vollständig in den Schulungsbetrieb integriert. Damit ist ein so genanntes „intelligentes“ System realisiert worden, das die Datengrundlage in BIM besitzt und darauf basierend in Betrieb genommen wurde. Hierbei wurden auch die Systemkomponenten von Viega (beispielsweise Hygienespülungen bei den Armaturen oder die Warmwasserbereitstellung der neuen Trinkwasserstation) in das Gesamtsystem integriert.
Ziel eines derartigen smarten Systems ist es, unter den Prämissen der massiven Energieverbrauchsreduktion, den Gebäudebetrieb und die Anforderungen für einen optimalen Seminar- und Bürobetrieb sicherzustellen.
Das gesamte Gebäude ist damit ein lebendiges Testobjekt unter Vollbetriebszuständen und der Zielsetzung, künftig noch weitere Maßnahmen zu implementieren. Das konsequent durchgeführte Achs- und Segmentkonzept lässt die Umsetzung zukünftiger Technologien zu.
Bildungszentrum als „interaktiver Schulungsinhalt“
Alle im Gebäude ablaufenden Prozesse werden – sichtbar und nachvollziehbar für die Teilnehmenden – einem lückenlosen Monitoring unterzogen. Sowohl die innovative Planung des Gebäudes als auch die zentralen Viega-Kompetenzthemen wie Trinkwassergüte, Energieeffizienz, Schall- und Brandschutz oder Installations- und Entwässerungstechnik sind für Besucher und Besucherinnen transparent nachvollziehbar.

Potenzial zur Replikation
Integrales Vorprojekt: Das integrale Vorprojekt berücksichtigt konsequent die Anforderungen des Bauherrn. Das Planungsteam entwickelt mit ihm gemeinsam ein Lastenheft und übersetzt es in der Folge in ein Pflichtenheft. So wird alles messbar aufeinander abgestimmt und dargestellt: die Bauherrenanforderungen, die künftigen Planungs- und Bauprozessanforderungen sowie die Inbetriebnahme- und die Gebäudebetriebsanforderungen. Nur ein derartiges integrales Vorprojekt stellt sicher, dass der ganze Prozess transparent und am Ende messbar ist, ob die Ziele erreicht wurden.
Gebäudekonzept mit BIM: Auf andere Projekte umlegbar ist auch das mit BIM erstellte Gebäudekonzept. In einer frühen Planungsphase wurden unterschiedliche Konzepte gemeinsam mit dem Bauherrn definiert, die dann als Parameter in das digitale BIM-Modell einflossen. Es handelt sich im Wesentlichen um das Achs- und Segmentkonzept, das Energie-, das Bedienungs-, das integrale Sicherheits- und das Baubetriebskonzept. Diese wurden teilweise mit digitalen Methoden entwickelt und waren die Grundparameter für die Erstellung des Modells. So konnte dieses in einer frühen Planungsphase bereits optimiert und konsequent bei Baufertigstellung überprüft werden. Es hat sich gezeigt, dass es dank der klaren Zieldefinition keine negativen Abweichungen zum geforderten Qualitäts- und Betriebsziel gab und der Gebäudebetrieb schon während der Inbetriebnahme erstmals optimiert werden konnte. Die frühe Integration der Gebäudeautomation in die Planung und die damit einhergehende Vernetzung der verschiedensten Anforderungen und Systeme verbesserte auch auf Dauer alle Abläufe während des Betriebs.
Diese wesentlichen Bausteine verbessern gegenüber konventionellen Planungs- und Errichtungsmethoden das Projektergebnis signifikant, da die Integration von Aspekten aus den o. a. Bereichen Projektrisiken reduziert und damit den Projekterfolg sicherstellt. Die Auszeichnung DGNB-Platin bestätigt diesen hervorragenden Projekterfolg und die konsequente Umsetzung der Planung.
Mehr zum Thema:
Das Projekt in Österreich ist der „kleine Bruder“ des neuen Viega Seminar und Vertriebscenters am Stammsitz in Attendorn, das am 26. Januar feierlich eröffnet wurde. Wir berichten demnächst.
Nora Westphal

Michael Haugeneder

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