Planungspraxis

Ökologische Regen- und Grauwasserbewirtschaftung

Ein Berliner Ingenieur*innen-Kollektiv plant, baut und betreut Anlagen, die Trinkwasser, Flächen und Kosten sparen.

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Ökologische Wohnsiedlung Gut Buchholz, CAD-Rendering Bild: ZRS-Architekten | Render-Manufaktur
Ökologische Wohnsiedlung Gut Buchholz, CAD-Rendering Bild: ZRS-Architekten | Render-Manufaktur

„Wir sind daran interessiert, dass jedes Grundstück eine ökologisch ausgeglichene natürliche Wasserbilanz aufweist.“ Das sagt Juls Klomfaß, eine von derzeit fünf Menschen mit Hintergrund in technischem Umweltschutz, Bauwesen und Biotechnologie, die sich vor einigen Jahren zusammentaten und die Oikotec Ingenieur*innen GmbH gründeten. Begonnen hat einer von ihnen vor 18 Jahren mit einem ökologischen Baustoff- und Wassertechnikhandel, der bis heute die Straßenfront des Büros im Erdgeschoss eines Gründerzeithauses in Berlin-Treptow bildet. Binnen kurzem wurden Ingenieurleistungen im Bereich Regenwasserbewirtschaftung nachgefragt, die zunächst als Kleinunternehmen erbracht wurden. Mit der Auftragslage muss das Büro nun erneut wachsen; demnächst kommen zwei neue Mitarbeiter*innen hinzu und auch der Umzug in größere Räume steht an. Gesucht werden u. a. noch Menschen mit Sanitärtechnikausbildung. Inzwischen ist Oikotec als Verein organisiert und die Ingenieur*innen, alle Vereinsmitglieder, sehen sich als Kollektiv.

Sie planen nicht nur, sondern bauen auch selbst und warten und optimieren Anlagen, die von dritten errichtet wurden. Klomfaß zufolge ist neben dem Hauptfeld – Versickerungsanlagen, Niederschlagsentwässerungen und Regenwasseranlagen – die Nutzung von Regen- und Grauwasser ein Herzensthema. In Berlin betreut das Büro Pflanzenkläranlagen, deren Ertrag als Grauwasser wiederverwendet wird. Im Berliner Umland werden Pflanzenkläranlagen als komplette Abwasseranlage geplant. Last but not least kann man sich bei Interesse an Trockentrenntoiletten von Oikotec beraten lassen; Bausätze und Bauteile für die wasserlosen Sanitärobjekte sind im hauseigenen Baustoffhandel erhältlich.

Anfragen für die Planung, Umsetzung oder Wartung von Regenwasseranlagen etwa für Mehrfamilienhäuser, Schulen und Supermärkte kommen von Architekten und Landschaftsplanern, aber auch von der Berliner Verwaltung: Strengere Regelungen verlangen heute, dass Regenwasser von Dach, Parkplätzen und anderen Anlagen auf dem eigenen Grundstück versickert oder genutzt wird. Gerade in Gebieten mit Mischkanalisation sind die häufiger werdenden Starkregenereignisse ein Problem. Wenn die Überlaufbecken voll sind, gelangt stark verschmutztes Wasser in die Gewässer. „Dezentrale Entwässerung verhindert das“, sagt Klomfaß.

„Wir würden die Regenwassernutzung immer empfehlen und freuen uns, wenn die Planer, die uns anfragen, sich für die Ökologie engagieren und mehr als das unbedingt Notwendige tun wollen“, sagt Klomfaß. „Viele Bauherren, Architekt*innen und auch TGA-Planer unterstützen das aber nicht, sei es aufgrund der Investitionskosten oder auch aus Unkenntnis der Materie.“

Das Notwendige, d.h. die Versickerung auf dem eigenen Grundstück, erspare Bauherr*innen die Einleitpauschale für die öffentliche Kanalisation. Bei kontinuierlicher Regenwassernutzung, wie sie in Mehrfamilienhäusern oder Bürogebäuden erwartet werden darf, könne aber das Speichervolumen bei der Planung der Versickerungsfläche prozentual angerechnet werden, die Fläche also kleiner ausfallen, erklärt Klomfaß. Das spare Platz und ggf. auch Kosten. Wenn Regenwasser anstelle von Trinkwasser im Haus genutzt wird und dann als Abwasser in die Kanalisation fließt, erstellen die Wasserbetriebe überdies eine gesplittete Rechnung für Trink- und Abwasser und die nicht unbeträchtlichen Trinkwasserkosten sinken. Regenwassernutzung biete sich überdies bei schwierigen Versickerungsbedingungen wie etwa dem auf den Berliner Hochflächen im Norden und Süden häufigen Lehmboden an.

Smarte Zisterne für Ökosiedlung

Ein aktuelles Regenwasserprojekt des Büros ist die Planung der deutschlandweit ersten Smart Zisterne. Gedacht ist sie für eine ökologische Wohnsiedlung mit 83 Wohneinheiten in Form von 30 Reihenhäusern und einem Gemeinschaftshaus, die auf einem ca. 2,3 ha großen Grundstück in Französisch Buchholz im Berliner Bezirk Pankow entsteht. Eingesetzt werden hier nachwachsende Rohstoffe mit positiver CO2-Bilanz und natürliche Baumaterialien wie Holz, Lehm und Stroh. Die Häuser können nach Ende ihres Lebenszyklus zurückgebaut und die eingesetzten Materialen recycelt werden oder sie gehen in den natürlichen Kreislauf zurück. Geothermie und Photovoltaik sorgen für Wärme, Kälte und Strom. Das Innere der Siedlung ist weitgehend autofrei und für den Fuß- und Radverkehr angelegt.

Die Flächenkonkurrenz auf dem Gelände ist groß und das Wasser steht dicht unter der Geländeoberkante. Oikotec plant die Smart Zisterne und wird sie, so hofft das Büro, auch mit einem Forschungsprojekt begleiten. Das gesammelte Regenwasser wird für die Toilettenspülung und die Gartenbewässerung eingesetzt. Damit sollen pro Jahr 1.900 m³ Trinkwasser in den Toiletten und 3.200 m³ in der Gartenbewässerung eingespart werden. Da 100 % des Niederschlags dezentral auf dem Grundstück genutzt oder über Mulden versickert werden, entfällt zudem die Niederschlagsgebühr für über 14.600 m² versiegelter Fläche. Das entspricht einer Gebühreneinsparung in Berlin von zurzeit 26.800 €/a. Für die Regenwassersammlung wären ohne Smart Zisterne 216 m³ Speichervolumen für die Regenwassernutzung nötig. Zusätzlich werden für die Reduzierung von Versickerungsfläche 170 m³ Retentionsvolumen benötigt. Mit der wettergesteuerten Smart Zisterne sinkt das erforderliche Gesamtvolumen von 370 m³ auf 230 m³. Die 230-m³-Zisterne wird aus zu 100 % recyclingfähigen Kunststoffen wie Polyethylen (PE) und Polypropylen (PP) gefertigt und steht komplett für die Regenwassernutzung zur Verfügung. Die Sammelleitungen für Schmutz- und Regenwasser werden mit recyclingfähigen KG 2000 Rohren (PP) verlegt. Auch die Vorfilterung für die Reinigung des Regenwassers erfolgt in diesem Fall nicht nur mechanisch über Siebe, sondern es ist eine biologische Reinigungsstufe für den Abbau von organischem Material vorgesehen. Das soll die Wartungszyklen reduzieren, Kosten sparen und natürlich das Wasser reinigen.

In der smarten Steuerung der Zisterne, die sich in der Regenzentrale im Gemeinschaftshaus befindet, werden Wetterdaten verarbeitet. Sie sorgt dafür, dass sich etwa bei der Ankündigung von Regenereignissen das Wasser in Mulden auf dem Grundstück entleert und das gesamte Retentionsvolumen für den kommenden Regen bereitsteht. Wenn es nicht regnet, steht das maximale Volumen für die Regenwassernutzung zur Verfügung. Dann wird besonders viel Trinkwasser eingespart.

Doch es sinken nicht nur der Wasserverbrauch, die laufenden Kosten für Trinkwasser und die Niederschlagsgebühren. Durch das Retentionsvolumen der Smart Zisterne und die intelligente Wettersteuerung kann die benötigte Mulden-Versickerungs-fläche um ca. 350 m² reduziert werden. Zudem baut Oikotec u.a. einen Naturteich vom 50 m² in unmittelbarer Nähe zum Gemeinschaftshaus, der zugleich die Biodiversität fördert. Für die Versickerung stehen dann fünf Mulden und der Mulden-Teich zur Verfügung. Für die Steuerung wird jede Mulde mit Sensoren ausgestattet, damit die Füllstände der Mulden gemessen werden können. Wenn zu viel Regenwasser vorhanden ist oder ein Starkregenereignis ansteht und die Zisterne noch voll ist, entscheidet die Steuerung, in welche Mulde entwässert wird und erkennt, welche Mulde noch Kapazitäten hat, um das überschüssige Regenwasser naturnah zu versickern. Die Smart Zisterne spart Platz, der der Bebauung zu Gute kommt.

Grauwassernutzung im Passivhaus

Wie die Zisterne in Pankow ist auch das Regen- und Grauwassernutzungskonzept in einem Mehrfamilien-Passivhaus in Berlin Friedrichshain nur ein Aspekt eines ökologischen Gesamtkonzepts. Das Gebäude mit 19 Wohnungen wurde 2009 als Eigentumsanlage einer Baugruppe fertiggestellt. Neben einer guten Dämmung der Gebäudehülle verfügt das Haus über Photovoltaik und Solarthermie, eine Pelletheizung und eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung. Die Bewohner, zum großen Teil seit den ersten Planungen dabei, sind auch sozial eng vernetzt.

Grauwasser definiert Juls Klomfaß als „recyceltes Wasser aus Dusche, Badewanne und Waschmaschine. Es wird aufbereitet und meist für die Toilettenspülung und zum Teil auch für das Wäschewaschen genutzt.“ Anders als Regenwasser steht Grauwasser immer zur Verfügung, so lange ein Objekt genutzt wird. Deshalb sind keine großen Speicher erforderlich. Im Gegensatz zu Kleinkläranlagen sind Grauwasseranlagen auch nicht genehmigungs-, sondern nur anzeigepflichtig. Die Anlagen, beispielsweise drei Behälter mit Pumpen und Überlaufleitungen, finden auf kleinem Raum im Keller Platz. Über einen Wärmetauscher lasse sich zudem die Wärme aus dem Duschwasser zurückgewinnen, wenn man das mit einplane, so Klomfaß.

Die Kombianlage im Passivhaus Friedrichshain einschließlich des zweiten Leitungsnetzes und der Betonregenzisterne im Garten wurde von Anfang an integriert. Die Membrananlage, die im Keller installiert ist, bereitet Grauwasser aus den Duschen und Badewannen biologisch auf: durch intermittierende Belüftung im Belebungstank sowie Mikrofiltration durch eine Membran. Ihr Platzbedarf entspricht der Fläche von gerade mal einer DIN A4-Seite pro Person. Strom wird für die Pumpen und die Belüftung benötigt.

Mit dem aufbereiteten Klarwasser werden die Toiletten gespült und die Balkons bewässert. „Es gibt auch Anschlussmöglichkeiten für die Waschmaschinen, aber diese werden von den Bewohner*innen nicht genutzt, da das Wasser manchmal eingefärbt sein kann, wenn sich z. B. Menschen in den Duschen die Haare färben“, erzählt Juls Klomfaß. Wenn das Grauwasser nicht ausreicht, um den kurzfristigen Bedarf zu decken, kommt Regenwasser zum Einsatz. Nur wenn auch das nicht ausreicht oder der Regen ausbleibt, wird Trinkwasser aus dem öffentlichen Netz benötigt. Der Klarwassertank fasst etwa 1 m³, die in etwa dem Tagesverbrauch des Hauses genügen. Fallen einmal Überschüsse an, werden sie über eine Hebeanlage in die Kanalisation geleitet.

„In den ersten Jahren gab es bei diesem Pilotprojekt jedoch Probleme mit der nicht ausgereiften Technologie, die die Nutzer fast vom Glauben an das nachhaltige Konzept abfallen ließen. Der Filter verstopfte oft, die Schwimmer funktionierten nicht bestimmungsgemäß und der Keller wurde überflutet“, erzählt Robert Hill, der im Haus wohnt und als Mitglied der Technikgruppe die Anlage betreut. „Das änderte sich, als Oikotec Anfang 2016 die Wartung übernahm. Die beiden Ingenieurinnen, die die Anlage regelmäßig prüfen und warten, sehen Probleme als Herausforderung. Mit Sachverstand, einer Menge Ideen und Begeisterung nahmen sie viele Verbesserungen vor.“ Die Pumpe im Sammeltank sei gegen eine Mammutpumpe mit Rüssel ausgetauscht worden, die den Bodensatz nicht aufwühle. Dieser werde bei der jährlichen Wartung mit entfernt. Außerdem seien das Überlaufsystem verändert und die Schwimmer optimiert worden. Der Filter hielte jetzt zwei Jahre, d.h. doppelt so lange wie vorher und die Anlage arbeite reibungslos. „Durch den Umbau der Schwimmer werde unnötiges Pumpen vermieden und Strom gespart“, so Hill. Auch der unzuverlässige mechanische Stromzähler sei einem digitalen Modell gewichen.

„Man muss aber sagen, dass eine Regen- und Grauwasseranlage Disziplin von den Bewohnern verlangt, genau wie die übrigen Besonderheiten des Passivhauses“, erklärt Hill. So dürfte etwa gefärbtes oder fetthaltiges Abwasser nur über die Küchenspüle entsorgt werden, die an das öffentliche Abwasser angeschlossen sei. Auch Badeöl solle vermieden werden, denn da streike der Filter. Im Haus hätten anfangs nicht alle die technischen Hintergründe verstanden, inzwischen habe sich das aber geändert.

Auch diese Anlage ist so etwas wie ein Forschungsprojekt für Oikotec geworden. Seit Anfang 2018 sendet Hill wöchentlich Daten zum Wasserumsatz und Stromverbrauch an das Büro. Die Oikotec-Verbrauchsdatenanalyse für 2018 und 2019 ergab, dass bei einem Gesamtverbrauch von 400 bis 450 m³ pro Jahr zwischen 65 und 71 % Grauwasser genutzt und 20 bis 27 % durch Regenwasser substituiert wurden. In beiden Jahren wurden lediglich 8 % Trinkwasser nachgespeist.

Bautafel

 

 

Initiator: Wohnländer Objekt 1 GmbH, Zossen

Projektentwicklung: Incept GmbH, Berlin

Planung: ZRS Architekten Ingenieure, Berlin

Smart Zisterne: Oikotec Ingenieur*innen GmbH, Berlin

MSc, Dipl.-Ing. Silke Schilling

Dipl.-Ing. Silke Schilling
Chefredakteurin

Dipl.-Ing. Juls Klomfaß

Dipl.-Ing. Juls Klomfaß
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· Artikel im Heft ·

Ökologische Regen- und Grauwasserbewirtschaftung
Seite 20 bis 23
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