Kluge Sanierung führt zu weitgehender Energieautarkie
Der Politik zufolge scheinen derzeit Wärmepumpen für eine beschleunigte Energiewende das Nonplusultra zu sein. Doch die erfolgreiche Umstellung einer Gebäudeheizung auf regenerative Energien hängt immer von der Situation vor Ort und verschiedensten Randbedingungen ab. „Am meisten Sinn macht es, die Wärmepumpentechnik im regenerativen Energiemix zu nutzen und die Menschen von Anfang an in die Vorhaben mit einzubeziehen“, sagt Diplomingenieur Taco Holthuizen. Der Planer und Geschäftsführer der eZeit Ingenieure Berlin denkt dabei z. B. an die jahrelangen hohen Belastungen der Baumaßnahmen für die Mieter in einem Wohnviertel in Berlin Lichterfelde, das sich im Besitz der Wohnungsbaugenossenschaft Märkische Scholle befindet.
Es habe schon viel Mediation gebraucht, um die Mieter und den Aufsichtsrat von einem klimaschonenden und sozial verträglichen Konzept zu überzeugen, dessen Umsetzung sich über Jahre hinzog, so Holthuizen. „Doch gemeinsam mit dem Vorstand gelang es, das Mammutprojekt von 2014 bis 2020 zu realisieren.“
Das war erfolgreich und zeigte derart gute Ergebnisse, dass sich Bauministerin Klara Geywitz im März dieses Jahres an Ort und Stelle über die Erfahrungen berichten ließ.

Mieterinnen und Mieter in die Bauabläufe einbeziehen
Schon 2014 startete die Genossenschaft ihre energetische Sanierungsoffensive mit insgesamt 841 Wohnungen, die sich auf 116 Hausaufgänge verteilen. Die Wohngebäude aus den 30er- und 60er-Jahren stehen auf einem Grundstück mit 47.000 m² Fläche entlang des Ostpreußendamms. Als reinste Energiefresser verursachten sie damals überdurchschnittlich hohe Kosten für Instandhaltung, Warmwasser und Heizwärme. 60 kg CO2-Emissionen pro m2 wurden gemessen. Verstopfte Abflüsse, undichte Fenster und feuchte Keller verschärften die Probleme. Inakzeptabel - dachten sich die Genossenschafter und beschlossen, die Sanierung gründlich anzugehen. Allerdings fragten sie sich auch, wie sie das energieeffizient und ohne explodierende Mietkosten schaffen sollten. Nicht nur der Vorstand sah darin die größte Herausforderung seit dem 100-jährigen Bestehen der Genossenschaft. Es beschäftigte auch die Mieterinnen und Mieter, die während der Bauzeit aus-, um-, weg- und wieder zurückziehen mussten. Denn eins war klar: Mit einer gedämmten Gebäudehülle allein ließen sich die Zustände nicht beheben. Deshalb holten sich die Genossenschafter die Berliner eZeit Ingenieure mit ins Boot. Deren Geschäftsführer Holthuizen sagt heute: „Anfangs schwankte das Boot ganz schön, als wir unsere Ideen präsentierten: Umstellen des Heizsystems auf Basis regenerativer Energien und nutzen der am Gebäude erzeugte Energie zur Heizung und Warmwasserversorgung.“
Auf Forderung des damaligen Umweltministeriums wurden kurz darauf 188 Wohnungen des Sanierungsvolumens zum „Leuchtturmprojekt“ erklärt. Es galt, deren Energiesysteme unter Berücksichtigung des vorhandenen Fernwärmenetzes in ein dezentrales Nahwärmenetz zusammenzuschalten.
„Es bewährte sich“, betont Vorstand Jochen Icken, „dass wir von Anfang an unsere Mitglieder über alle geplanten und Abläufe rechtzeitig informierten. Ein Sanierungsbeirat gründete sich, Briefe zum jeweiligen Sanierungsstand wurden verschickt, ein Sanierungsbüro eingerichtet sowie Ausweichwohnungen und Umzüge organisiert. Das verschaffte uns Akzeptanz der Maßnahmen.“
Ausgeklügeltes Heizsystem bewährt sich
Heute stehen die Gebäude rundum saniert und gehören zu den begehrten Wohnobjekten Berlins. Die Mieten sind aufgrund des genossenschaftlichen Gedankens bezahlbar geblieben. Die Mietnebenkosten gestalten sich trotz immens steigender Energiepreise moderat. Denn hier wohnt man fast energieautark und damit unabhängig vom Energiemarkt.
Die Energie im sanierten Quartier stammt primär aus Solaranlagen auf den Dächern sowie der Wärmerückgewinnung aus Abluft, u. a. aus Duschen, aus Abwärme von Geräten und Beleuchtung sowie aus passiver Sonneneinstrahlung durch Fenster und auf Gemäuer.
Das Besondere an der Energieerzeugung ist das unterirdische Wärmespeichersystem „eTank“. Dahinter verbirgt sich ein unkomplizierter, aber intelligenter Speicher, der Umweltenergie puffert und als geothermische Quelle für die eingebrachten Sole/Wasser-Wärmepumpen dient. Die Idee des eTanks basiert auf der ooPS-Technik (offene oszillierender Pufferspeichertechnik). Seitwärts und nach oben hin mit Styropor gedämmt, werden Wärmeverluste aus dem Speicher vermieden.
Er ist nach unten offen, so kann auch das Erdreich als Wärmespeicher mit genutzt werden. Der eTank selbst besteht aus mehreren Schichten Erdreich und Polyethylen-Leitungen. Über sie kann je nach Bedarf Solar- und Erdwärme ein- und per Wärmepumpe auch wieder ausgegeben werden.

Das offene System verhindert ein Überlaufen und Überhitzen sowie eine Entleerung bzw. Auskühlung des Speichers. Die Speicherkapazität des Systems inklusive des darunter liegenden Erdreichs liegt zwischen 750 und 1.450 m3. Überschüssige Energie von den Solarkollektorflächen auf den Dächern wird im Erdspeicher „aufbewahrt“ und dient – zusammen mit der natürlichen Wärme im Erdreich – jeder Sole/Wasser-Wärmepumpe als Wärmequelle zum Heizen. Zusätzlich ist ein Warmwasserspeicher zur Deckung des Warmwasserbedarfs im Einsatz. Die solare Sole-Anhebung sorgt bei der Wärmepumpe für eine Jahresarbeitszahl von 4,05. Den Strom für die Erdwärmepumpen liefert die 80 m² große PV-Anlage auf dem Dach.

Diese Art Beheiztechnik der Gebäude mit niedrigen Vorlauftemperaturen erhöhte den nutzbaren Solarertrag der solarthermischen Anlage von etwa 300 kWh pro m2 jährlich auf über 650 kWh.
Über das kontrollierte Lüftungssystem mit Außenwandventilen erhalten die Wohnungen Frischluft. Für die Ableitung der Abluft werden die vorhandenen, ausgedienten Schornsteinschächte genutzt, die in die Keller führen. Über eine Wärmepumpe geführt, unterstützt die Abluftenergie durchgehend die Raumklimatisierung und Warmwasserbereitung.

Wichtig für eine effiziente Funktionsweise des Systems sei hauptsächlich, betont Holthuizen, „dass die Energieströme zwischen Solarthermie, Wärmepumpen und Erdspeicher ausgeglichen sind und miteinander kommunizieren. Daher installierten wir einen dynamischen Energie-Manager (DEM), d. h. ein modulares elektro-hydraulisches System mit offenem oszillierendem Speichersystem (DEMooS).“ Die Wärmeübertragung funktioniert über Heizkörper.
Lag der Primärenergiebedarf vor der Sanierung noch bei etwa 210 kWh/m2a, sank er danach auf etwa 30 kWh/m2a. Die Energieeinsparung beträgt auf zehn Jahre gerechnet etwa 1,50 € je m2 Wohnfläche im Monat für Heizung und Warmwasser. Nur im Winter, wenn die Solaranlage weniger Strom liefert, kauft die Genossenschaft Strom für die Wärmepumpen dazu. Auch die CO2-Emissionswerte sanken von einst 60 kg/m2 auf 11,5 kg/m2.
Fassadensanierung und Dachaufstockung
Da es wenig Sinn ergibt, in Gebäude mit schadhaften Hüllen moderne Heiztechnik einzubauen, setzte die Sanierung vorab bei den Fassaden an. Als Teil eines Forschungsprojekts der Hochschule für Technik und Wirtschaft wurden unterschiedliche Wärmeverbundsysteme angebracht: EPS-Hartschaum, Mineralwolle, Mineralwolle mit Spezialbeschichtung, Holzweichfaser und erstmalig auch Hanf. Mittels Sensoren wurden deren Eigenschaften untersucht und verglichen. Besonders punktete die Naturfaser Hanf, die auch besten sommerlichen Hitzeschutz und Schallschutz lieferte und sich besonders gut als recyclingfähig erwies. Die Fenster besitzen jetzt zudem eine Dreifach-Verglasung.
Eins allerdings gibt Holthuizen im Nachhinein zu bedenken. Die Gebäude sollten KfW EH85 und KfW EH70-Standard erreichen. Um dafür die KfW-Förderung zu erhalten, mussten die Fassaden 14 cm dick gedämmt werden. „Eine 8 cm Dämmung hätte unseren Erfahrungen nach allerdings gereicht, um die gewünschten Effekte zu erzielen.“
Noch ein weiteres Problem führt er an. “Fassadendämmung und dichte Fenster senken den Energieverlust und die Heizkosten erstmal per se. Aber: Werden die Wohnräume dann stärker geheizt, in der Annahme, man spare ja und könne sich wohlige Wärme leisten, sinken die Heizkosten weniger als angenommen. Es brauchte viele Mietergespräche, um diesem Rebound-Effekt entgegenzuwirken.“
Da im Zuge der Sanierung neun nicht sanierbare Häuser abgerissen wurden, musste auch neuer Wohnraum entstehen. Gebäude aus den 30er Jahren erhielten jeweils ein zusätzliches Dachgeschoss in Holzständerbauweise mit vorgefertigten Wandelementen und 18 cm dicker Holzfaserdämmplatten. Die leichte Bauweise benötigt im Vergleich zu Beton nur 1/3 der „grauen“ Energie, ein Thema, das Holthuizen besonders beschäftigt. „Die kompakte Bauform ermöglichte es, ohne übermäßig dicke Dämmstärken den Heizwärmebedarf (ohne Warmwasser) von ursprünglich ca. 175 kWh/m²a auf ca. 33 kWh/m²a zu senken.“
Über die neuen, etwa 100 m2 großen Wohnungen, freuen sich vor allem Familien mit Kindern. Denn an solchen Wohnflächen mangelte es hier bis dato. Die Regelwohnungsgröße lag früher bei etwa 55 m2.
Mustersiedlung braucht noch viel mehr Nachahmer
Das sanierte Wohnquartier gehört zu den gelungeneren Vorzeigeprojekten, von denen es bundesweit noch viel zu wenig gibt.
Wolfgang Michaelsen, der seit Jahrzehnten in der Schwelmer Straße 36 im Objekt der Märkischen Scholle wohnt, sagt heute: „Ich wohne hier wunderbar. Innen wie außen ist alles top. Die neue Technik in der Wohnung wurde gut erklärt und ist beherrschbar. Die Wohnkosten sind trotz hoher Energiepreise bei uns nur minimal gestiegen. Ich kann von meiner Rente immer noch gut essen und in den Urlaub fahren.“
Für den Vorstand Jochen Icken zählt, dass der Primärenergiebedarf signifikant sank und er Warmmieten bieten kann, die nahezu denen vor der Sanierung entsprechen. Das sei schon eine große Leistung, bekräftigt er gegenüber der Bauministerin. Gleichzeitig betont er: „Um mehr Nachahmer zu finden, braucht die Wohnungswirtschaft und insbesondere Genossenschaften klare Signale seitens der Politik.“ Planungssicherheit sei nötig, um Fehlinvestitionen zu vermeiden. Klar sei aber auch: Nichtstun wird für die Gesellschaft am teuersten. Taco Holthuizen ergänzt: „Mit derartigen Projekten und vor allem mit dezentralen Nahwärmenetzen müssen wir mittel- und langfristig dafür sorgen, den Gebäudebestand in Stadt und Land klimaneutral zu machen.“ Die Ministerin wünscht sich viel mehr solche Projekte in der Bestandssanierung: „Der Energie- und Technik-Mix aus Erdwärme, Wärmepumpe bis zur Solarenergie zeigt, dass es wider alle Skeptiker auch im Gebäudebestand optimal funktionieren kann.“
Um die 90 Mio. Euro investierte die Märkische Scholle in ihr Sanierungsprojekt und nutzte dabei Fördermittel des Landes Berlin, des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) und der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). 740.000 € steuerte das Bundesumweltministerium aus dem Umweltinnovationsprogramm bei. Zudem gibt es innerhalb der Genossenschaft eine Quersubventionierung für die neuen Wohnungen: Neu entstehender Wohnraum muss sich damit nicht ausschließlich aus den Mieten für die neuen Wohnungen tragen. Vielmehr geht es darum, dass am Ende die Bilanz für die gesamte Genossenschaft stimmt.
Bärbel Rechenbach

Anhang | Größe |
---|---|
Beitrag als PDF herunterladen | 479.16 KB |
· Artikel im Heft ·