Die Digitalisierung gilt als Hoffnungsträger, um den globalen Energiebedarf zu verringern und damit zum Klimaschutz beizutragen. Dafür gibt es keine Anzeichen - im Gegenteil: Steigende Energieverbräuche des Informations- und Kommunikationstechnologie-Sektors (IKT) und höheres Wirtschaftswachstum erhöhen den Energiebedarf.
In der Studie wurden anhand eines Modells folgende Fragen untersucht:
- Welche direkten Effekte haben die Produktion, Nutzung und Entsorgung von Informations- und Kommunikationstechnik?
- In welchem Umfang führt die Digitalisierung zu einer steigenden Energieeffizienz von Prozessen?
- Wie wirken sich höhere Arbeits- und Energieproduktivität auf das Wirtschaftswachstum aus?
Energieverbrauch durch Digitalisierung steigt
„Zwar kann durch die Digitalisierung Energie eingespart werden – durch Effizienzsteigerungen in verschiedenen Wirtschaftssektoren, aber auch bei technischen Geräten des täglichen Gebrauchs“, erläutert Wirtschaftsforscher Steffen Lange vom IÖW. „Legt man diese Einsparungen in die eine Waagschale und vergleicht sie mit den Effekten des wachsenden IKT-Sektors und den Auswirkungen des durch gesteigerte Produktivität ausgelösten Wirtschaftswachstums, wiegen die letzteren deutlich schwerer. Die Hoffnung, dass die Digitalisierung den Gesamtenergieverbrauch senkt, erfüllt sich derzeit nicht.“
Rebound-Effekte wirken Einsparungen entgegen
Die Wissenschaftler erklären das mit Mechanismen aus der Umweltökonomie: Physisches Kapital und Energie lassen sich nur begrenzt gegenseitig ersetzen, was es schwermacht, den Energieverbrauch vom Wirtschaftswachstum zu entkoppeln. Zudem wirken Rebound-Effekte den Einsparungen entgegen. „Wir können nicht erkennen, dass sich diese Entwicklung ändern wird. Die Gleichung lautet höchstwahrscheinlich weiter: Energieeinsparungen führen an anderer Stelle zu mehr Nachfrage“, erklärt Johanna Pohl von der Technischen Universität Berlin.
Wie kann die Digitalisierung nachhaltiger werden?
In Zukunft kann die Digitalisierung nur nachhaltiger werden, wenn sie gezielt für Energieeffizienzsteigerungen eingesetzt wird oder um Sektoren energiesparend zu verändern. Gleichzeitig müssten aber auch Maßnahmen greifen, die den Energiebedarf des Sektors selbst eindämmen und Rebound- und Wachstumseffekten entgegensteuern. „Aber selbst dann würden die Energiespareffekte der Digitalisierung nicht ausreichen, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Wir müssen noch einen Schritt weitergehen und daran arbeiten, die digitalen Möglichkeiten in den Dienst einer ökologischen Transformation der Ökonomie zu stellen“, so Steffen Lange vom IÖW. „Anstatt die Nebenwirkungen der Digitalisierung zu bekämpfen, sollten alle ökonomischen Sektoren transformiert werden, insbesondere Industrie, Landwirtschaft, Energie, Bau und Verkehr. Hierbei könnten digitale Technologien – richtig eingesetzt – eine wichtige Rolle spielen.“
Der Artikel „Digitalization and energy consumption. Does ICT reduce energy demand?” im Journal Ecological Economics entstand in dem fünfjährigen Forschungsprojekt „Digitalisierung und sozial ökologische Transformation“, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung als Nachwuchsgruppe im Förderschwerpunkt „Sozial-ökologische Forschung“ gefördert wird.
Umfrage: Industrie 4.0
Dass die Digitalisierung für mehr Nachhaltigkeit in der Industrie sorgt, davon ist hingegen die Mehrheit deutscher Industrieunternehmen überzeugt. Einer repräsentativen Umfrage von Bitkom Research zur Digitalisierung der deutschen Industrie im Auftrag des Digitalverbands Bitkom zufolge sagen drei Viertel, dass Industrie 4.0 den CO2-Ausstoß verringert. Fast ebenso viele sind der Ansicht, dass Industrie 4.0 Ressourcen in der Fertigung schont. Vernetzte Maschinen, vorausschauende Wartung, Automatisierung: Industrie 4.0 macht nicht nur die Produktion in Fabrikhallen effizienter, sie sorgt auch für mehr Nachhaltigkeit.
Befragt wurden 552 Industrieunternehmen ab 100 Mitarbeitern. Die Fragen lauteten: „Welche der folgenden Maßnahmen im Zusammenhang mit Klimaschutz und Nachhaltigkeit haben Sie in Ihrem Unternehmen bereits umgesetzt oder planen Sie aktuell umzusetzen?“ und „Inwieweit stimmen Sie den folgenden Aussagen zum Thema Klimaschutz und Nachhaltigkeit und Industrie 4.0 zu?“
85 % sagen, dass Industrie 4.0 wichtig für die Kreislaufwirtschaft ist, in der Material- und Produktkreisläufe so geschlossen werden, dass Rohstoffe immer wieder von neuem genutzt werden können.
Jedes zweite Industrieunternehmen hat sich bereits eine Selbstverpflichtung zur Senkung des CO2-Ausstoßes auferlegt, weitere 34 % planen dies konkret. Jedes vierte Unternehmen hat zudem eine Nachhaltigkeitsstrategie erarbeitet, 40 % haben dies vor. Jedes dritte Fertigungsunternehmen setzt auf klimafreundliche Produktionsmaterialien – 39 % planen konkret deren Einsatz.
Über das Projekt
Die Forschungsgruppe „Digitalisierung und sozial-ökologische Transformation“ untersucht die Chancen und Risiken der Digitalisierung für eine Verringerung der Energie- und Ressourcenverbräuche und erarbeitet Ansätze für die politische und gesellschaftliche Gestaltung der Digitalisierung, damit sie zum notwendigen Wandel der Gesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit beiträgt. Die Forschungsgruppe wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Förderschwerpunkt Sozial-ökologische Forschung (SÖF) gefördert. Kooperationspartner sind neben dem Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) das Institut für Berufliche Bildung und Arbeitslehre, Fachgebiet Arbeitslehre/Ökonomie und Nachhaltiger Konsum (ALÖNK), sowie das Zentrum Technik und Gesellschaft (ZTG) der Technischen Universität Berlin. Das Projekt wird geleitet von Prof. Dr. Tilman Santarius von der Technischen Universität Berlin.