Verglaster Büroturm im Gasometer Berlin Schöneberg
Das Stahlgeflecht des einstigen Gasometers markiert den Schöneberger Kiez wie der Fernsehturm den Alexanderplatz. Wer es einmal bis auf den obersten Ring schaffte ahnt, wie kompliziert es ist, in dieses Rondell einen verglasten, modernen Büroturm zu errichten.
Den Auftrag dazu erhielt Mitte 2021 das Baden-Württembergische Unternehmen Wolff & Müller. Schon Ende 2023 soll das Projekt fertig sein und den Campus des „Europäischen Energieforums“ (EUREF) um ein weiteres energiesparsames Gebäude bereichern.
78 m hoch, überragt das Stahlskelett des stillgelegten Gasometers den EUREF Campus in Berlin Schöneberg. Bis vor kurzem noch kletterten jährlich unzählige Wagemutige über fest installierte Leitern, Ring für Ring nach oben, um von dort aus den wunderschönen Ausblick zu genießen. Inmitten des Konstrukts wird jetzt ein verglastes Bürohochhaus montiert. 200 Mio. Euro investiert dafür der Bauherr – die DENKMALplus Beteiligungsgesellschaft mbH & Co KG Erste Berlin KG.
Baudaten
2007 erwarb Architekt und Stadtplaner Reinhard Müller, heutiger Vorstandsvorsitzender der EUREF AG, das 5,5 Hektar große Gasag-Areal, um hier seine Idee einer wirtschaftlichen und energieeffizienten Modellstadt zu verwirklichen. Dies war lange ein umstrittenes Projekt. Doch mittlerweile bestätigt der Erfolg des entstandenen Büro- und Wissenschaftscampus mit über 5.000 Beschäftigten und Studierenden das kühne Vorhaben. Jedes der Gebäude des einstigen Gaswerkes wurde energetisch saniert. Seit Mitte 2021 steht der denkmalgeschützte Gasometer im Fokus. Bereits Ende 2023 soll der neue Bürokomplex mit Konferenz- und Eventräumen, 12 Büroetagen, Sky-Lounge und Besucherterrasse in 66 m Höhe ins Rondell eingepasst sein.
Das bedeutet Maßarbeit auf engstem Raum, wie Oberbauleiter Carsten Hofmann vom Bauunternehmen Wolff & Müller weiß. Gemeinsam mit Lars Mörke steuert er den gesamten Bauablauf des Rohbaus so, dass kein Gewerk mit dem anderen kollidiert. Für ihn steht fest: „Ohne BIM wäre so eine planerische und logistische Leistung kollaborativ und effizient undenkbar.

Wir haben Architekten, Planer und jedes beteiligte Gewerk von Beginn an in die Entwurfsplanung mit einbezogen. Jeder verfügt über seine Modellierungsparameter, weiß, wie er wann, was und wo einzutragen hat und kann jederzeit im 3D-Gebäudemodell darauf zugreifen, Daten aktualisieren und erweitern. Wir prüfen das Modell intern, räumen so u. a. frühzeitig Fehler aus. Aus dem Modell leiten wir benötigte Materialmengen ab und simulieren dahingehend Bauabläufe.“
Um nur ein kleines Beispiel zu nennen: Die Betonage des Bürogebäudes erfolgt geschossweise. Mit den Eisenflechtern wird vorab jedes Teil der jeweils 2.000 m2 Flächen am BIM-Modell nummeriert und dann in der festgelegten Reihenfolge verlegt. „Man muss dem Modell die Intelligenz geben, die es braucht. Schon in der Vorbereitung“, bekräftigt der Bauleiter.

„Das sichert insgesamt Qualität, Termine, Kosten, sorgt für Transparenz und fördert das Miteinander sowie den Respekt der Gewerke untereinander. Allerdings“, räumt er ein „gelingt uns die Arbeit in 3D am Tablet derzeit noch nicht bis zum letzten Handwerker auf der Baustelle. Hier muss an vielen Stellen doch noch der klassische Plan in Papierform helfen, da oft digitale Kenntnisse oder entsprechende Software fehlen. Generell ein Problem beim Einsatz von BIM, das noch zu lösen ist.“
Alle Gewerke in BIM integriert
Als Vorreiter beim digitalen Planen und Bauen hat sich Wolff & Müller in der Baubranche den besten Ruf erarbeitet. Während sich viele Planungsbüros und Baubetriebe immer noch schwer mit BIM tun, wählte das Unternehmen die Methode bereits 2020 als seinen Standard. Alle Hochbauprojekte werden in der Rohbauphase seitdem auf diese Weise umgesetzt, da es gerade hier viele Beteiligte und entsprechend viele Schnittstellen gibt. Sicher ist dieses Know-how auch ein Grund dafür, warum sich der Bauherr – die DENKMALplus Beteiligungsgesellschaft mbH & Co KG, beim Gasometerumbau für das Stuttgarter Unternehmen entschied.

Denn die Termine sind eng gesteckt. Private Investorinnen und Investoren leisten sich keinen Verzug. „Wir bauen parallel“, berichtet Carsten Hofmann weiter. „Während das Stahlgerüst abgestrahlt und neu beschichtet wird, errichten wir im Innenraum das Bürogebäude.“ Derzeit ist die Anzahl der Gewerke noch überschaubar. Demnächst werden hier 60 verschiedene im Einsatz sein und in BIM integriert.“ Das ist sowohl für ihn als auch für alle anderen Beteiligten eine ungemeine Herausforderung, vor allem was das Sichern der Bauwerksstatik angeht.
So war bereits für die 6,50 m tiefe Baugrube eine spezielle Lösung gefragt. Zuunterst des Industrierelikts liegt seit jeher eine 3 cm dicken Stahlplatte, die das Erdreich vor Schadstoffen aus dem Gasometer schützte. Ihre Existenz erübrigte zwar aufwändige Kontaminierungsarbeiten, sie musste aber im Durchmesser von 60 m umlaufend mit Hilfe einer überschnittenen Bohrpfahlwand einschließlich Kopfbalken umbaut werden. Insgesamt brachten die Bauteams 2.100 m rückverankerte Bohrpfähle mit einem Durchmesser von 880 mm bis in 20 m Tiefe ein. 18.000 m³ Erdreich mussten ausgehoben und abtransportiert werden.

Rings um den Gasometer entstanden drei weitere Baugruben mit 186 m Stahlbetonkopfbalken, einschließlich Trägerbohlverbau, sowie 260 m Gründungspfähle mit einem Durchmesser von 880 mm. Diese dienten zum Aufstellen der Hochbaukräne mit Hakenhöhen von 87 bis 113 m. Sie transportieren jetzt das Baumaterial über die Höhe des Gasometers in den Innenraum, da das dichte Geflecht der Hülle keine andere Wahl zulässt. Erst im späteren Bauverlauf kommt dafür der 5 × 5 m große Aufzugsschacht – später der Eventaufzug – zum Einsatz.

Über der Baugrube wurden eine 2 m dicke Bodenplatte in sieben Bauabschnitten je 4.000 m3 betoniert. Zwischen Hülle und Neubau bleibt ein respektierlicher Meter Abstand, um die Außenwand vor kalkulierten 7 cm Setzungen im Neubau zu verschonen. Das Setzungsverhalten unterliegt regelmäßigen Kontrollen seitens des Prüfstatikers. Derzeit betragen die Setzungen 1,8 cm, so wie von Carsten Hofmann erwartet. Eine weitere große Aufgabe stelle die geforderte Stützenfreiheit im neu entstehenden Konferenzsaal dar. Hier müssen die Stützen aus den oberen Etagen mit einer Belastung von bis zu 1.480 t über ein Sprengwerk ihre Lasten nach links und rechts auf andere Stützen abtragen.

Lean Management
Bis ins Detail genau geplant, will auch die Logistik auf der Campusbaustelle bewältigt sein. Alle An- und Abfahrten sowie Materialtransporte werden digital so organisiert, dass die dicht bebaute Fläche und das Stadtumfeld von Lärm und Staub weitestgehend unbeeinträchtigt bleiben. Es gibt nur eine Zufahrt und nur eine Lagerfläche von 600 m2. Carsten Hofmann: „Wir nutzen deshalb Lean Management und Last Planner System, um den Bauablauf schlank und effizient zu gestalten. Dabei verteilen wir keine fertigen Terminpläne. Jeder Einsatz, jeder Stell- und Lagerplatz wird gemeinsam mit allen Gewerken wöchentlich für die folgenden sechs Wochen vorab terminiert.“
Ihm macht es sichtlich Spaß, die Bauabläufe so zu gestalten und er vertraut dabei auf Lars Mörke an seiner Seite, der ebenfalls seine Erfahrungen beisteuert. Wöchentlich kontrollieren sie im „Shopfloor“-Meeting, ob und wie die Lean-Taktung funktioniert.
„So haben wir auf den riesigen Geschossflächen Leistung, Qualität, Sauberkeit und Arbeitsschutz im Griff“, versichert Carsten Hofmann.
Ist das Projekt „Gasometer“ Ende 2023 umgesetzt, ziehen u. a. 2.000 Beschäftigte im Bereich „Digitale Schiene“ der Deutschen Bahn AG in das KfW-Effizienzhaus 55 ein.
Schon jetzt werden Konferenz- und Eventräume gebucht. Der Besucherrun auf die Dachterrasse ist ebenso absehbar, denn die Aussicht über die Skyline von Berlin ist aus 66 m Höhe grandios.
Bärbel Rechenbach

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