Nicht nur auf dem Dach, sondern auch an der Fassade glänzen zahlreiche Photovoltaikmodule und fast jeder Fleck wird für die Solarstromerzeugung genutzt. Insgesamt ergibt das eine Leistung von 32 kWp, mehr als das Dreifache von dem, was bei einem Haus dieser Größe zuvor möglich erschien.
Besitzer dieses deutschlandweit einzigartigen Gebäudes ist Andreas Schulz. Es handelt sich um eines der ersten Bestandsgebäude hierzulande, das zum quasi energieautarken Gebäude umgebaut wurde. Dafür sorgen neben den PV-Modulen auch zwei Brennstoffzellen und zwei Elektrolyseure, die mit Hilfe des PV-Stroms Wasserstoff erzeugen. Letzterer wird im Winter zur Erzeugung von Wärme und Strom genutzt. Der Wasserstoff dient als Speichermedium für den Solarstrom. „Das wichtigste ist aber die hochwärmegedämmte Gebäudehülle. Ohne die würde ein Wasserstoffhaus nicht funktionieren“, betont Schulz. „Denn der Wärmebedarf wäre sonst einfach viel zu hoch.“
Graue Energie erhalten
Als der Pensionär das Elternhaus Baujahr 1967 von seiner Mutter erbte, stand er vor der Frage, was damit zu tun sei. „Es gab zahlreiche Interessenten. Ich hätte das Haus zwanzigMal verkaufen können“, erzählt Andreas Schulz in seinem Garten, während die Sonne vom wolkenlosen Himmel auf Neutrauchburg, einem Ortsteil von Isny im württembergischen Allgäu scheint. Aber ein Verkauf kam nicht in Frage. Genauso wenig, wie das Haus abzureißen und ein neues, größeres an selber Stelle zu bauen. „Da steckt doch so viel graue Energie drin“, meint der Ingenieur und ehemalige Abteilungsleiter bei der Bayerischen Eisenbahngesellschaft, der in allen Lebensbereichen großen Wert auf Klimaschutz und eine nachhaltige Lebensweise legt.
Mehr als ein Passivhaus
Bei einem Vortrag im Rahmen des Isnyer Energiegipfels wurde Schulz auf Dieter Herz aufmerksam. Dieser betreibt im nahegelegenen Weitnau das Planungsbüro Herz & Lang, das sich auf energieeffizientes Bauen und Sanieren spezialisiert hat. Herz gilt als Passivhaus-Pionier und ist weit über die Grenzen des Allgäus als Experte auf diesem Gebiet bekannt.
Zunächst erschien es Herz zufolge am sinnvollsten, das Gebäude mit 210 m2 Wohnfläche auf Effizienzhaus-100-Niveau zu sanieren. „Aber dann sagte der Bauherr, das sei ihm zu wenig“ so Herz. „Zudem kam das Thema Wasserstoff auf.“ Und so wurde in der Planung nachgebessert, um die Gebäudehülle noch energieeffizienter zu machen – indem etwa Passivhauskomponenten der Vorzug gegeben wurde. In der Planung wie auch in der Ausführung wurde zudem stark auf die Reduzierung von Wärmebrücken und eine besonders luftdichte Bauweise geachtet.
Wärmeverluste minimieren
Der energetisch schlechteste Bereich war der Keller, der dank einer Hanglage für die Einliegerwohnung teilweise auch für die Hauptwohnung genutzt werden kann. Daher wurde auf die alte Bodenplatte eine 16 cm dicke Dämmung gelegt. „Die Raumhöhe gab das her“, so Dieter Herz. Allerdings mussten die Tür- und Fensterstürze höher gesetzt werden. Die Dämmdicke im Dachbereich beträgt insgesamt 24 cm (18 cm Zellulosedämmung und 6 cm Holzweichfaserplatte). Die Putzfassade ist mit 20 cm Steinwolle gedämmt. Und die alten Fenster wurden durch dreifach-verglaste Passivhausfenster ersetzt. Für ein angenehmes Raumklima sorgt zudem eine zentrale Komfortlüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung. „Ein sehr wichtiger Aspekt“, betont Dieter Herz. Denn so werden im Winter die Energieverluste bei der Frischluftzufuhr auf ein Minimum reduziert.
Auf der Grundlage einer intensiven Planung und einer konsequenten Bauleitung entstand dank der sehr guten Wärmedämmung und der hohen Luftdichtheit der Gebäudehülle sowie der Umstellung der Basistechnik von einem Ölkessel auf eine Erdwärmepumpe ein Effizienzhaus 70. Damit waren die baulichen Voraussetzungen für das Wasserstoffhaus geschaffen, erklärt Hausbesitzer Andreas Schulz, während er die Tür zum Technikraum im Keller öffnet. Dort steht das Herzstück der Haustechnik.
Sonnenüberfluss zu Wasserstoff
Das Prinzip, das hinter der Wasserstofftechnik steckt, sei eigentlich recht simpel, sagt Schulz. Die PV-Module können rund 32.000 kWh Strom pro Jahr liefern. Im Sommer liefern sie im Überfluss. Ein kleiner Teil des überschüssigen Stroms wandert in einen Kurzzeitbatteriespeicher, der das Haus nach Sonnenuntergang mit Strom versorgt, oder wird zum Laden eines E-Autos genutzt. Der Rest versorgt die beiden Elektrolyseure. Bei der Wasserstoffproduktion entsteht Abwärme, die für den Brauchwasserspeicher genutzt wird. Der Wasserstoff geht über eine Leitung in Stahlbehälter in einem kleinen Häuschen im Garten. So lässt sich die Sonnenenergie über Monate hinweg speichern und dann einsetzen, wenn die solaren Gewinne gering sind.
Speicherenergie im Winter nutzen
Reichen die solaren Erträge an Wintertagen nicht aus, um genügend Strom und Wärme zu produzieren, wird Wasserstoff aus dem Speicher den beiden Brennstoffzellen zugeführt, die ihn in Strom umwandeln. Diesen nutzt die Wärmepumpe, die entstehende Abwärme wird über die Lüftung ebenfalls fürs Heizen genutzt, erklärt Andreas Schulz.
Die Erfahrung aus dem ersten Winter zeigen, so der Hausbesitzer, dass die Anlage für die komplette Autarkie derzeit noch ein wenig unterdimensioniert ist. „Nur 500 Kilowattstunden haben gefehlt“, berichtet Schulz. Bevor der Wasserstoffspeicher vergrößert wird, will er aber noch den nächsten Winter abwarten, um weitere Erkenntnisse zu sammeln.
„Ich habe es noch keine Sekunde bereut, diesen Weg zu gehen“, betont Schulz. Zugleich macht er keinen Hehl daraus, dass die Investitionskosten für die Wasserstofftechnik sehr hoch waren und sich derzeit bei weitem nicht rechnen. „Kostendeckend arbeitet die Anlage grob geschätzt ab einem Strompreis von einem Euro für die Kilowattstunde“, erklärt er. „Davon sind wir trotz aller Preissteigerungen immer noch ein gutes Stück entfernt. Aber wer weiß, wie sich die Energiekosten weiterentwickeln.“ Bis dahin darf sich Andreas Schulz als Idealist und Vorreiter fühlen, der mit seinem Haus zeigt, dass energieautarke Gebäude keine Utopie sind. Derweil bleiben die Mietnebenkosten stabil.
Roland Wiedemann
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