Kollaboration in der Entwurfsplanung auf einem neuen Level
Die neue Produktversion Archicad 28 enthält umfangreiche Funktionserweiterungen wie das integrierte LCA-Tool und den Anmerkungsmanager. Hinzu kommen technische Neuerungen beim AIVisualizer, ein verbesserter Datenaustausch von BCF-, IDS- und IFC-Dateien sowie die Präsentation der TGA-Fachplanungssoftware DDScad 20.
Die Neuheiten sind Ergebnis eines mehrjährigen Technologieentwicklungsprogramms, in dessen Verlauf Graphisoft seine User einlud, Funktionen und Werkzeuge vorab zu testen und zu bewerten.Vorgestellt wurden sie Anfang Oktober am Standort Budapest. Während die Fachpresse dem Launch-Event direkt vor Ort beiwohnte, wurden die Präsentationen zu den Neuerscheinungen den angebundenen Architektur- und Planungsbüros europa- und weltweit per Livestream ins Haus geschickt.
Archicad 28: Die neuen Features
Einmal TGA und zurück
Die Anfänge der Softwareentwicklung für Archicad, die sich jahrzehntelang primär um die Architektur drehte, liegen interessanterweise in der TGA: Für die 3D-Modellierung der technischen Gebäudeausrüstung des einzigen ungarischen Atomkraftwerks Paks an der Donau in der Nähe von Budapest, das 1982 den Betrieb aufnahm, wünschte sich das ungarische Industrieministerium eine Software. Die gab zu dieser Zeit zwar im Westen, nicht jedoch im sozialistischen Ostblock, zu dem Ungarn gehörte. Die beiden Entwickler Bojar und Tari erstellten die 3D-Software unter dem Namen Radar nebst ihrer Programmiersprache GDL damals noch auf einem 64-kB-Desktop-Rechner. Im Anschluss zeigte sich, dass sie sich wunderbar für Architekturanwendungen eignete.
1984 entstand unter Federführung von Miklos Misley, der zu der Zeit seine Doktorarbeit an der TU Budapest schrieb und parallel beim ungarischen Unternehmen Graphisoft (gegründet 1982) arbeitete, unter dem Namen RadarCh der erste Architektur-Editor auf dem Mac-Vorgänger Apple Lisa. Kurz danach kam Archicad mit einer nutzerfreundlichen Arbeitsoberfläche auf den Markt und wird nun seit mehr als 30 Jahren stetig weiterentwickelt.
Nachdem die Technische Gebäudeausrüstung dabei lange Zeit kein Thema war, hat Archicad seit der Version 13 ein Add-on dafür. Mit dem MEP Modeler (MEP: mechanical, electrical, plumbing – dt: Haustechnik, Elektro- und Sanitärplanung) können in Archicad 3D-Modelle für TGA-Infrastruktur, d. h. Kanäle, Rohrleitungen und Verkabelungen, erstellt und bearbeitet sowie innerhalb des Archicad Virtual Building koordiniert werden. Damit sollte den Architekten ermöglicht werden, aus den 2D-Zeichnungen der TGA-Ingenieure 3D-Pläne zu machen. Der MEP Modeler verwendet eine vertraute Schnittstelle und Werkzeuge, die direkt in die Archicad-Umgebung integriert sind, hatte aber bislang eng gesetzte Grenzen. So sind etwa Berechnungen nicht möglich. „Der MEP-Modeler wurde als Zusatz zu einem Programm entwickelt, das primär auf Architektur fokussiert – und zwar für Architekten“, sagt Bálint Kézér. Er ist von Hause aus TGA-Ingenieur und leitet bei Graphisoft das Produktmanagement in der Sparte TGA-Software. In dieser Position ist er Bindeglied zwischenTGA-Planungsbüros und den hausinternen Softwareentwicklern. Mit dem MEP Modeler sei die TGA lange Zeit in 2D bearbeitet worden. Die vielen Schnitte, die man in 2D brauche, liefere eine BIM-Lösung jedoch von selbst und spare so zahlreiche Arbeitsstunden.
TGA mit allem Drum und Dran
Seit etwa drei Jahren werden nun nach und nach die fachspezifischen Möglichkeiten von DDScad in die Technologieplattform von Graphisoft integriert. In DDScad, der Software des 1984 in Norwegen gegründeten Unternehmens Data Design System, kann die gesamte TGA abgebildet werden: von der Elektro-, Licht- und Gebäudeautomationsplanung über Sanitär- und Trinkwasserinstallation bis hin zu Heizung, Klima- und Lüftungsanlagen. Graphisoft wie auch Data Design Systems gehören zur Nemetschek Group (Graphisoft seit 2007, DDS seit 2013) und haben sich Mitte 2021 zusammengetan.
Mit der BIM-Lösung DDScad, die intelligente Werkzeuge für Haustechnik, Elektro- und Sanitärplanung, integrierte Berechnungen und Dokumentationslösungen für alle Gebäudesysteme umfasst, lassen sich qualitativ hochwertige TGA-Projekte termin- und budgetgerecht planen; dabei kann nahtlos mit allen Projektbeteiligten im BIM-Projekt zusammengearbeitet werden. „TGA-Planende können die Gebäudedaten aus der Architektursoftware übernehmen und ihre TGA-Systeme in DDScad einfügen und bearbeiten,“ erklärt der Produktmanager. „Kollisionsprüfungen sind dann unter anderem mit Solibri möglich.“
Die Fachplanungssoftware DDScad, die Graphisoft nun in der Version 20 vorstellte, ist seither immer dichter an Archicad herangerückt. In die BIM-Lösung seien einige Features in die Software integriert und andere als optionale Zusätze verfügbar, so Kézér. Die Idee für die Zukunft sei jedoch, dass Architektur und TGA eng zusammenarbeiten, um bessere Entwürfe zu schaffen und eventuelle Nacharbeiten zu minimieren. Dabei flössen auch Erfahrungen mit dem Archicad MEP Modeler ein, der durchaus seine Stärken habe.
„Der Primärmarkt für DDScad ist Deutschland“, sagt Kézér. Ziel sei jedoch, Archicad und DDScad zu kombinieren, um alle Funktionalitäten international verfügbar zu machen. Ganz einfach sei das nicht, so Kézér. „Berechnungsverfahren für Heizung, Kälte und Klima sind international in etwa die gleichen, denn sie basieren auf der Physik. Bei der Sanitärtechnik, Trinkwasser-, Abwasser- und Regenwasseranlagen hingegen haben wir regional unterschiedliche Verfahren, Regularien und Normen zu berücksichtigen“, erklärt er. „Wir wollen also eine Software mit einem starken Kern, der international einsetzbar ist und regional unterschiedlichen Details, z. B. in den USA konform mit ASHRAE und in Deutschland mit deutschen Normen und Richtlinien.“
DDScad 20: Was ist drin?
Zu den Funktionsneuheiten und Weiterentwicklungen der Version 20 zählen unter anderem ein Planungsmodus für mehr Flexibilität und Kollaboration bei der TGA-Projektierung sowie verbesserte Workflows für reibungslose disziplinübergreifende Prozesse. Hinzu kommen Elektro- und SHKL-Funktionspakete, die Arbeitsabläufe beschleunigen und die Installationsplanung auf ein neues Niveau heben.
So können mit DDScad 20 beispielsweise die Material- und Dämmeigenschaften von Rohren oder Lüftungskanälen mit einem Klick auf andere Leitungen übertragen werden.
Teilnahme der TGA an BIM-Projekten
Die Basis für die Innovationen der neuen Version bildet ein Open-BIM-optimierter Planungsmodus. Es gibt eine neu konzipierte Bedienoberfläche, eine Produktdatenbank mit sehr umfangreichen Bauteilinformationen und eine komfortable Datenverwaltung.
So können Artikeldaten beispielsweise vielfältige Eigenschaften und Eigenschaftensets hinzugefügt werden. Dadurch unterstützt der Modus Beteiligte an BIM-Projekten bei der Einhaltung der bauteilbezogenen Vorgaben aus BIM-Abwicklungsplänen (BAP) sowie Auftraggeber-Informationsanforderungen (AIA) und fördert den reibungslosen Datenaustausch zwischen den Projektpartnern.
Des Weiteren beschleunigt die neue Version schnellere Abläufe beim Modellieren und Editieren von Installationen. Steig- und Fallleitungen lassen sich nun in einem Arbeitsschritt über mehrere Etagen ziehen. Werden sie in einer Etage seitlich verschoben, erkennt DDScad die Unterbrechung der Verbindungen zu den angrenzenden Geschossen und bietet Optionen, die das Problem beseitigen. Für höhere Planungseffizienz sorgt eine neu konzipierte Pipettenfunktion, mit der das Material und die Dämmung eines Rohres bzw. Kanals auf andere Situationen im Projekt übertragen werden können. Neue Automatismen bieten zudem viele Möglichkeiten beim Anschluss von Objekten und Leitungen, wie etwa Dachabläufen, Unterputz-Spülkästen oder Toiletten.
Interdisziplinär zusammenarbeiten im Elektrobereich
Mithilfe eines neuen, nahtlosen Elektrotechnik-Workflows können jetzt Modelle zwischen Archicad und DDScad ausgetauscht werden. Außerdem lassen sich hochwertige Stromschienensysteme inklusive zugehöriger Systemkomponenten wie Einspeise- und Abgangskästen oder Brandschutzblöcken erstellen. Das bietet Vorteile bei der Planung großer Gebäude mit komplexen Energieversorgungssystemen.
Lichtplanung und PV-Integration
Mit der neuen Schnittstelle mit DIALux evo Pro genügt nun ein Klick, damit sämtliche in DIALux geplanten Leuchten selbsttätig im DDScad-Modell platziert und mit allen Eigenschaften in der Produktdatenbank hinterlegt werden. Auch die Abläufe rund um die Ertragsberechnung für PV-Anlagen mithilfe des Plug-ins ‚Polysun Inside‘ wurden grundlegend überarbeitet. DDScad übernimmt die gewählten PV-Module aus der Anwendung als IFC-Objekte, erzeugt automatisch die entsprechenden Einträge in der Produktbibliothek und korrigiert die Abmessungen der Bauteile im Modell. Damit ist es nicht mehr notwendig, eigene Artikel zu erzeugen.
Softwareentwicklung ist kein „walk in the park“
Die vielen neuen Features, die Archicad 28 wie auch DDScad 20 bieten, brauchen jedoch auch ihre Entwicklungszeit. „Ein Start-up etwa, das mit einer Neuentwicklung quasi von Null anfängt, kann manchmal sehr schnell etwas potenziell Revolutionäres auf den Markt werfen“, erklärt Kézér. „Ein ganz bestimmter Arbeitsablauf kann damit sehr schön abgebildet werden, aber alle anderen Workflows deckt sie nicht ab und dann muss zusätzliche Software gekauft werden.“
„In einem ausgefeilten System wie Archicad müssen hingegen jede Aktualisierung und jedes neue Tool mit allen übrigen korrespondieren. Das trifft auch für Sonderwünsche von Kunden zu“, so Kézér weiter. „Wir haben es hier mit einem so riesigen Code zu tun, dass wir immer sichergehen müssen, mit neuen Zeilen nichts Existierendes zu zerstören bzw. es zu reparieren, falls doch einmal etwas kaputtgeht. Wenn wir also ein neues Feature schaffen, schreiben wir dafür auch jedes Mal ein Test-Feature, das die Kompatibilität sichert. Das macht die Weiterentwicklung komplex, aber im Ergebnis ist Archicad auch eine sehr gut funktionierende Software mit Unmengen sinnvoller Tools, die weltweit genutzt wird.“
Trotzdem wolle man bei Graphisoft in Zukunft nicht mehr nur einmal, sondern zweimal jährlich mit Neuerscheinungen auf den Markt kommen, geben Màrton Kiss, Leiter der Produktabteilung (CPO) und Daniel Csillag, Geschäftsführer (CEO) bei Graphisoft, bekannt.
MSc, Dipl.-Ing. Silke Schilling
Stefan Lehmköster
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