Weniger ist mehr

TGA-Planung für ein wegweisendes Low-Tech-Firmengebäude

Mit einem neuen Netto-Null-Bürogebäude, das seinen Energiebedarf minimiert und selbst deckt, will Bauherr Sebastian Hölzlein ein nachhaltiges Pilotprojekt für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) schaffen, das andere zum Nachmachen inspiriert.

1105
Das neue Bürogebäude der Alpha IC GmbH auf dem Bamberger Lagarde-Campus trägt den freundlichen Namen „RESI“. Das Akronym steht für Responsibility, Excellence, Sustainability und wahlweise Inspiration oder Innovation. Der Entwurf stammt vom Münsteraner Büro hehnpohl Architektur. Bild: Alpha IC GmbH
Das neue Bürogebäude der Alpha IC GmbH auf dem Bamberger Lagarde-Campus trägt den freundlichen Namen „RESI“. Das Akronym steht für Responsibility, Excellence, Sustainability und wahlweise Inspiration oder Innovation. Der Entwurf stammt vom Münsteraner Büro hehnpohl Architektur. Bild: Alpha IC GmbH

Inmitten des Bamberger Lagarde-Campus, einem der größten und energetisch zukunftweisenden Infrastrukturprojekte in Deutschland, entsteht bis Ende 2024 ein dreigeschossiges Low-Tech-Bürogebäude mit Netto-Null-Ansatz. Bauherr Sebastian Hölzlein, Geschäftsführer der Alpha IC GmbH, entwickelte ein klimaresilientes Gebäude ohne Heizen und Kühlen, das seinen Energiebedarf selbst deckt. Jetzt entstehen bis zu 80 Arbeitsmöglichkeiten für die eigenen Firmen, drei Mietbüros im zweiten OG und ein 30 m² großes Café im Erdgeschoss.

Netto-Null-Bürogebäude RESI

Planungsbeginn: Oktober 2023

Bauzeit geplant: 14 Monate

Fertigstellung: Dezember 2024

Haustyp: Effizienzgebäude 40 mit NH-Klasse angelehnt an Passivhaus-Standards

Bauweise: Massivbauweise mit RC-Beton und einer Fassade mit Recycling-Klinkern

Grundstück: 580 m²

BGF: 2.079 m²

Baukosten: 3,1 Mio. Euro

Stromversorgung: Indach-PV-Anlage

Die Projektidee: Ein klimaresilientes Netto-Null-Gebäude ohne Heiz- und Kühltechnik

Als Gründer und Geschäftsführer eines Beratungsunternehmens für den nachhaltigen Bau und Betrieb von Immobilien hat man klare Prioritäten: Oberste Zielsetzung des Bauherrn, Sebastian Hölzlein, für den Neubau am Firmensitz in Bamberg war die Realisierung eines Bürogebäudes mit geringstmöglichen Nebenkosten in der Nutzungsphase, das zudem am eigenen energetischen Fußabdruck spart. Für ihn hieß das, ein Low-Tech Haus ohne Heizen und Kühlen umzusetzen, das über seinen Lebenszyklus hinweg möglichst positive Auswirkungen auf das ökologische Umfeld haben würde.

Inspiration lieferte das Gebäude 2226 von Baumschlager Eberle in Lustenau, das neben dem Energieverbrauch auch die Technik und damit den Aufwand für ihre Wartung auf ein absolut notwendiges Mindestmaß beschränkt. Eine solche Vision sollte nun mit den Standortbedingungen auf dem Bamberger Lagarde-Campus, den zu erwartenden klimatischen Bedingungen des Jahres 2045 und dem vorhandenen Budgetrahmen realisiert werden.

Projektpartner, die sich die Umsetzung zutrauten, mussten zunächst gefunden werden. Einmal dabei, waren sie dann von Anfang an in den Planungsprozess eingebunden: Das Architekturbüro hehnpohl aus Münster, das Unternehmen Zech Bau als Generalunternehmer, das eigene Alpha IC Beratungsteam und der Bruder des Bauherrn, Christian Hölzlein, mit seiner Firma Hölzlein Ingenieure als TGA-Planer. Der oberste Grundsatz für alle Entscheidungen lautete „Efficiency first“.

Transparente Kommunikation und intensive Planung von Anfang an, v.l.n.r: Richard Weller, Geschäftsführer Alpha IC GmbH, André Siering, Architekt BdA, hehnpohl Architektur, Christian Pohl, Mitinhaber Architekturbüro hehnpohl, Merle Heitmann,  M. A., hehnpohl Architektur, Sebastian Hölzlein, Bauherr und Geschäftsführer Alpha IC und Serthoro GmbH, Daniela Merkenich, Senior Project Manager, und Martin Jaromin, Senior Consultant, beide Alpha IC, Thomas Auernhammer, Senior-Projektleitung Zech Bau SE NL Nürnberg. Bild: Alpha IC GmbH

Das Besondere an der Vorgehensweise des Bamberger Unternehmers zeigt sich etwa in den folgenden Punkten:

  • Zusammenarbeit mit der Firma Zech Bau im Rahmen eines GMP-Modells (Garantierter Maximalpreis)
  • Festlegung der Planungsparameter mithilfe von Simulationen
  • materialökologischer Ansatz und individuelles Nachhaltigkeitskonzept
  • Auswahl regionaler Lieferanten, sofern möglich
  • Einbindung der Mitarbeitenden über einen Change- und Partizipationsprozess
  • Umsetzung eines Bruttomietkonzepts.

Simulationen als Grundlage für Architektur, Raumprogramm und TGA

In der Planungsphase stand das Zusammenspiel von Bauphysik und Simulationstechnik zum einen und Architektur und TGA-Planer zum anderen besonders im Fokus. Unterm Strich konnte der Energieeinsatz durch eine sinnvolle Grundrisszonierung, den Einsatz von Speichermassen (RC-Beton) sowie eine optimierte Anordnung und Dimensionierung der Verglasungsflächen, und schließlich die hocheffiziente Nutzung von Strom und ein ausgeklügeltes Belüftungssystem minimiert werden.

Dazu wurde zunächstdas Gebäude in seinem städtebaulichen Kontext betrachtet. Hier wurden erste Verschattungsanalysen erstellt und das gesamte Gebäude in Anlehnung an DIN EN 17037: Tageslicht in Gebäuden im Hinblick auf die Besonnung über das Jahr bewertet. Dies gab ersten Aufschluss für die Anordnung von Räumen und sinnvollen Größen; erste Fenstergrößen und das Potenzial für eine eventuelle Photovoltaiknutzung wurden ermittelt. Im Rahmen einer Klimarisikoanalyse wurden dann Simulationen mit den prognostizierten Wetterdaten ab dem Jahr 2045 durchgeführt. Daraus ergab sich etwa die für die Nachtlüftung positive Erkenntnis, dass auch in Zukunft nachts in der Regel mit Temperaturen < 20 °C zu rechnen ist. Es wurde jedoch auch deutlich, dass die ungünstigen Verhältnisse im Umfeld die Grundlage für eine natürliche Lüftung und einen idealen solaren Wärmeeintrag verhindern.

Bei der thermischen Simulation wurde die Belegung der Räume mit internen Lasten und Personen zugrunde gelegt; mögliche Bauteilaufbauten fanden Berücksichtigung. Aus den unterschiedlichen gerechneten Varianten mit verschiedenen Fenstergrößen und deren Auswirkungen auf die Raumtemperaturen im Jahresverlauf wurde klar, dass eine natürliche Lüftung nicht zielführend ist. Daher fielen Entscheidungen sowohl für eine zentrale Lüftungsanlage bei Fenstern in Festverglasung. Darauf aufbauend wurden in weiteren Varianten verschiedene Tag- und Nachtluftwechsel untersucht und als Planungsparameter für den HLKS-Planer festgelegt.

Auch das Photovoltaik-Potenzial des Gebäudes wurde auf Basis von Simulationen in Abhängigkeit von Nachbarbebauung, Bäumen und Dachgeometrie ermittelt. Unter Berücksichtigung der Anforderungen aus der bauphysikalischen Planung und der KfW-Förderung entstand im Zusammenspiel mit dem TGA-Planer das Energiekonzept.

Simulationen vereinfachen die Bewertung von Dachflächen für die PV-Nutzung deutlich. Bild: Alpha IC GmbH

TGA im Detail: Elektroinstallation mit Eigenstromerzeugung, Lüftungskonzept

Vor dem Hintergrund der Zertifizierungsanforderungen für das Gebäude nach DGNB, einer budgetierten Herstellungssumme und der Zielsetzung einer maximal möglichen Nachhaltigkeit übernahm das Büro Hölzlein-Ingenieure aus Bamberg die Aufgabe die Projektierung der Technischen Gebäudeausrüstung für den neuen Firmensitz der Alpha IC GmbH.

Nach Aufstellung umfassender Berechnungsmodelle aus Simulation und Zertifizierungskriterien kam man zu der Schlussfolgerung, dass aufgrund der Gebäudedichtheit mit erhöhter Speichermasse durch Beton und Ziegel auf den Anschluss an die vor Ort befindliche Geothermie verzichtet werden kann. Bei einer beheizten Fläche von 1.450 m² wurde nach der ausführlichen Berechnung der Heizlast gem. DIN EN 12831 lediglich 24,8 kW (QL + QT) ermittelt. Dies sind 17,1 W/m².

Lüftung

Während die Sanitärtechnik im Wesentlichen konventionell umgesetzt wird, erforderte das Belüftungskonzept einen kreativen Ansatz. Durch die erhöhte Gebäudedichtheit ist ein umfassender Mindestluftaustausch über eine zentrale Be- und Entlüftungsanlage, mit Aufstellung unter dem Dach, erforderlich. Unter Einhaltung der Vorgaben aus Gesetz und Effizienz wurde ein Hochleistungslüftungsgerät mit einer Nennluftmenge von 4.800 m³/h ausgewählt. Dabei wurde aufgrund der Berechnungen des sommerlichen Wärmeschutzes die Luftmenge des Gerätes auf 10.000 m³/h erhöht, um den 2,5-fachen Luftwechsel über z. B. eine Nachtkühlung sicherzustellen. Die dreigeschossige Büroimmobilie erhält druckgesteuert und über motorische Volumenstromregler die jeweils eingestellten Luftmengen und -temperaturen je Geschoss zur Verfügung gestellt. CO2-Melder in der Abluftführung überwachen die Situation. Zeigen sich Grenzwertüberschreitungen, kann die Luftmenge entsprechend angepasst werden.

Lüftungsschema für die RESI Bild: Hölzlein Ingenieure

Auch das bestehende flexible Arbeitsplatzmodell mit frei wählbarer Präsenz oder Homeoffice erfordert eine flexible Luftversorgung, ebenso ein Meeting-Bereich mit variabler Belegung. Der Bauherr entschied sich bei mehreren Räumen je Etage dafür, über eine „push-Funktion“ verdoppelte Luftmengen anzubieten, um jederzeit ausreichend frisch konditionierte Luft einzubringen. Neben der evtl. notwendigen Beheizung der Zuluft durch ein Elektro-Nachheizregister wurde jedoch auf eine Kühlung ganz verzichtet.

Elektroinstallation und Beleuchtung

Die erforderliche Elektroinstallation richtet sich nach den Vorgaben des Baurechts und des Bauherrn. Die maßgeschneiderte Raumplanung erhält eine mit KNX-programmierte Grundbeleuchtung mittels LED-Leuchten. Diese ist tageslichtabhängig programmiert und korrespondiert mit dem berechneten Lichteinfall an Fenstern und Verschattungen. Hier finden Präsenzmelder sowie unterschiedliche Szenarien mit Voll- und Teil- sowie Reinigungsbeleuchtung ihre Anwendung. Das von Hölzlein-Ingenieure entwickelte Beleuchtungskonzept einschließlich normenrelevanter Berechnungen wurde mit regionalen Leuchtenherstellern für den Einsatz am Objekt abgestimmt. Die Verkabelung der notwendigen EDV wurde auf W-LAN reduziert, um die enormen Kabelmengen zu minimieren.

Barrierefreiheit

Weiterhin spielt vom Gebäudeeingang bis hin zum letzten Arbeitsplatz das Thema Inklusion eine große Rolle. Das Konzept umfasst neben ausreichenden, barrierefreien Zugängen und Anwendungsmöglichkeiten nach DIN 18040-1: Barrierefreies Bauen - Planungsgrundlagen - Teil 1: Öffentlich zugängliche Gebäude auch eine zentrale Aufzugsanlage.

 

Stromproduktion, Stromverbrauch und Selbstversorgungsgrad der geplanten Indach-PV-Anlage für das geplante Low-Tech Bürogebäude. Bild: Alpha IC GmbH

PV-Anlage und Monitoring

Die notwendigen Stromverbräuche werden künftig durch eine Photovoltaik-Anlage als hochwertige Indach-Lösung auf dem flach geneigten Satteldach mit 575 m² Fläche erwirtschaftet. Die Anlage mit einer Leistung von 73,7 kWp erhält einen Batteriespeicher mit 22 kWh Kapazität. Die Bilanzierung über Berechnung ergibt eine Eigenverbrauchsquote von ca. 65 % bei einer Gesamtproduktion von ca. 64.880 kWh/Jahr. Der Batteriespeicher ist in der Lage, den notwendigen Grundbedarf des Gebäudes excl. Lüftungstechnik ausreichend abzudecken.

Das RESI Netto-Null-Gebäude im Kontext der gesetzlichen Energieanforderungen Bild: Alpha IC GmbH

Die erzeugten Strommengen und die daraus zu versorgenden Energieflüsse werden durch ein Monitoring steuer- und erklärbar visualisiert. Damit erfüllt der Bauherr gleichzeitig ein Klimaschutzkriterium der EU Taxonomie.

 

Über Alpha IC

Die Alpha IC ist ein an Nachhaltigkeit orientiertes Consultingbüro für das Real Estate Management mit 80 Mitarbeitenden an sechs deutschen Standorten. Das inhabergeführte Unternehmen berät und begleitet beim klimagerechten Optimieren von Gebäuden und Quartieren im Bestand. Dazu gehören Facility Management, Green Building, ESG & CSR, Inbetriebnahmemanagement & Energieoptimierung, Energiedesign & Simulation, Digitalisierung und mehr. Der Beratungsansatz ist unabhängig, unterstützt die Erreichung der Klimaziele und berücksichtigt den gesamten Lebenszyklus einer Immobilie. Seit April 2023 ist die Alpha IC ein Mitgliedsunternehmen der Gemeinwohlökonomie Deutschland und verpflichtet sich damit zu einem ethischen Wirtschaftsmodell, das das Wohl von Mensch und Umwelt als oberstes Ziel des Wirtschaftens sieht.

Mehr zum Thema: 2226 Lustenau 

Das richtige Maß
Deutschlandweit wurden laut Umweltbundesamt im Jahr 2021 etwa 31,8 % des Endenergieverbrauchs für die Bereitstellung von Raumwärme aufgewendet. Etwa 5...

Sebastian Hölzlein

Sebastian Hölzlein

Christian Hölzlein

Christian Hölzlein
AnhangGröße
Beitrag als PDF herunterladen527.95 KB

· Artikel im Heft ·

TGA-Planung für ein wegweisendes Low-Tech-Firmengebäude
Seite 34 bis 37
09.02.2024
Flusswasser als Energiequelle
In seinem neuen Creation Center entwickelt der Chemiekonzern BASF gemeinsam mit Kunden des Bereichs Performance Materials neue Werkstoffe für Kunststoffprodukte. Der Ort des Gebäudes auf einem...
18.06.2024
Feuer und Flamme im ZeBra
Mehrgeschossige Häuser aus Holz, Dämmungen aus Hanf oder Seegras, digital gefertigte Bauteile, Energiespeicher in Fahrzeugen. Für die Gewährleistung der Brandsicherheit bei nachhaltigen Bauweisen und...
15.05.2024
Bauen mit Klimaschutz
Das neue The Forge in der Sumner Street in London ist von der Planung, über die Fertigung, den Bau bis zum Betrieb enorm sparsam bei den CO2-Emissionen. Das Büro- und Geschäftsgebäude der Land...
15.08.2024
SK Pharma Logistics
In Zeiten des Klimawandels wird Regenwasser immer häufiger zum Problem für die städtische Kanalisation. Viele Kommunen reagieren darauf mit Einleitbeschränkungen. SK Pharma Logistics hat eine Lösung...
13.05.2024
Wiederbelebt und umfunktioniert
Im Zuge der komplexen Sanierung eines jahrhundertalten Versicherungsgebäudes aus der Gründerzeit in Berlin Kreuzberg wurden u.a. neue Aufzugtechnik in den vorhandenen Aufzugschacht eingebaut, eine...
10.10.2024
Schöner heizen
Wärmepumpen sollen mit dazu beitragen, die Energiewende zu bewältigen und fossile Energieträger zu ersetzen. Das Für und Wider dieser Technologie wird nach wie vor heiß diskutiert. Doch Bauherren wie...