Liebe Leserinnen und Leser,
das gezielte Säen von Zweifeln hat sich in der Vergangenheit als wirksame Strategie erwiesen, Veränderungen zu verhindern oder zu verzögern, die etablierte Geschäftsmodelle in Gefahr bringen.
Angewendet wurde sie beispielsweise von der Tabakindustrie in den USA, die die Schädlichkeit von Zigaretten durch eigens beauftragte Pseudowissenschaftler bestreiten ließ.1 Große Ölkonzerne machten sie sich u. a. zu eigen, um Wissenschaftler zu diskreditieren, die das Klima erforschen und die Gefahren fossiler Energiegewinnung benennen. In den Medien landete vielfach die (Fehl)information, die Wissenschaft sei sich nicht einig darüber, dass Rauchen Krebs und das Verbrennen von Kohle, Öl und Gas den Klimawandel verursacht. Im Ergebnis starben die Leute weiter an Lungenkrebs und Regierungen verschoben wichtige Maßnahmen für eine Energiewende um Jahrzehnte.
Dieses Jahr begann, soweit ich mich erinnere, mit großen Erwartungen für den deutschen Gebäudebestand. Es endet mit einem großen Warten. Das hat mehrere Ursachen, zu denen nicht zuletzt die aktuelle Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Klimatransformationsfonds gehört. Doch zum einen sollen Förderzusagen im Gebäudesektor davon nicht betroffen sein und zum anderen wurden Aufträge im Bereich Gebäudetechnik schon Monate vorher storniert. Die Industrie hält sich mit Investitionen zurück. Große Branchenmessen rechnen im kommenden Jahr mit deutlich weniger Ausstellern. Der Ruf der Wärmepumpe hat gelitten. Die Zahl der Förderanträge ging drastisch zurück. Die Gasheizung feiert ein Comeback.
Zu einem Zeitpunkt in der ersten Jahreshälfte, bei dessen genauer Festlegung mir eine Google-Suche leider nicht weiterhilft, wurde aus dem Gebäudeenergiegesetz, das sich auch, aber nicht nur, um die Heizung dreht, ein medial heiß diskutiertes „Heizungsgesetz“ gemacht. Sicherheiten bröckelten – in der Bevölkerung und in der Politik. Der finale Gesetzestext verlor viel von der Entschlossenheit des ersten Entwurfs, eine kommunale Wärmeplanung wurde Voraussetzung für die Entscheidung bei der Heizungssanierung im Bestand. Die Wärmewende, in deren Beschleunigung noch vor wenigen Monaten viel Energie floss – von der Regierung und auch von der Heizungsindustrie – ist damit verschoben. Die Verantwortung für den nächsten Schritt liegt nun auf Schultern, die unterschiedlich effizient damit umgehen werden, aber auf jeden Fall mehrere Jahre dafür Zeit haben.
Die Schuld an der Unsicherheit wird vielfach einer schlechten Kommunikation des Klimaministeriums zugeschrieben und es ist sehr gut möglich, dass es da Luft nach oben gab. Doch die Frage „Wer profitiert von der Situation?“ stellt sich mir trotzdem.
Fußnote
1 Im Einzelnen lässt sich dies in den Büchern der Journalistin Jane Mayer und der Wissenschaftshistorikerin Naomi Oreskes nachlesen. Mayer recherchierte mehrere Jahre lang über die Gebrüder Koch von Koch Industries und ihr Netzwerk; ihr Buch zum Thema, Dark Money, erschien 2016. Oreskes studierte die PR-Strategie des Zweifels; ihre Analyse erschien 2012 unter dem Titel Merchants of Doubt; deutsch: Die Machiavellis der Wissenschaft: Das Netzwerk des Leugnens, 2014.
Augen auf und durch!
Nun wird zu meiner Erleichterung nicht überall abgewartet: Für eine ganze Reihe von Bauherrn und Planungsbüros, Unternehmen und Kommunen ist es ganz normal, sich auf Basis erwiesener wissenschaftlicher und technischer Fakten in ihren Bau- und Sanierungsprojekten für die auch wirtschaftlich sinnvolle Transformation zu entscheiden.
Meine Hoffnung ist, dass, nachdem die ermüdende Debatte nun beendet ist, auch andere den Kopf dafür frei bekommen.
Ich wünsche Ihnen ein besinnliches Weihnachtsfest und unermüdlichen Optimismus für das Jahr 2024.
Ihre
MSc, Dipl.-Ing. Silke Schilling
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