„Entscheidend ist die Bedarfsbeschreibung des Bauherrn“
Die integrale Planung mit der Arbeitsmethodik Building Information Modeling (BIM) wird für Großprojekte künftig der Regelfall. Durch die dafür notwendige Bedarfsplanung geht das mit einer ganz neuen Rolle für den Bauherrn bzw. Investor einher. Zudem verändern sich in der Folge die Prozesse, weg vom seriellen hin zum kollaborativen Bauen.
Das sind einige der wesentlichen Erkenntnisse aus dem Neubau des interaktiven Weiterbildungszentrums Viega World. Das Seminarcenter in Attendorn-Ennest gilt als Leuchtturmprojekt des integralen Planens und Bauens mit BIM. Erstmals wurde hier ein Bildungsbau entlang eines digitalen Zwillings konsequent integral nach dieser Arbeitsmethodik über alle Leistungsphasen hinweg realisiert. Unter wissenschaftlicher Begleitung der RWTH Aachen University konnten dadurch zahlreiche Standards gesetzt werden, die sich inzwischen auch in der Normen- und Richtlinienarbeit rund um BIM wiederfinden.
Leuchtturmprojekt für die Zukunft des Bauens
Die Viega World ist eines der nachhaltigsten Bildungsgebäude der Branche und wurde bereits in der Planungsphase durch die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen für ihre technische und ökologische Qualität mit dem Platin-Zertifikat als höchster Stufe ausgezeichnet. Mindestens genauso herausragend ist das didaktische Konzept, denn in dem interaktiven Weiterbildungszentrum wird Installationstechnik anfassbar und erlebbar. Unter anderem mit sichtoffenen Schächten und einem detaillierten Monitoring ist das Gebäude selbst Schulungsinhalt.
Als Leuchtturmprojekt definiert der Bau der Viega World den Prozess der integralen Planung mit der Arbeitsmethodik BIM, da kein anderes Bildungsgebäude bisher so konsequent im Hinblick auf die Technische Gebäudeausrüstung mit BIM geplant wurde.
Fakten und Zahlen
Standort: Attendorn
Geschosse: 5 Ebenen
Bruttogeschossfläche: 12.200 m²
Nettogeschossfläche: 11.150 m²
Ausstellungsfläche: 2.850 m²
Verkehrsfläche/Tiefgarage: 2.500 m²
Räume: 9 (teilbare) Seminarräume, 2 Konferenzräume
Nutzung: Flexibles Seminargebäude mit Lern- und Arbeitswelten und Ausstellungsbereich
Auszeichnungen: Höchste Bewertungsstufe „Platin“ durch die DGNB (Vorzertifikat für die Bauplanung)
Energieversorgung: PV-Anlage mit 2.700 m²; jährliche Leistung bis zu 210.000 kWh; 1 Wärmepumpe mit 700 kW Wärme- und 575 kW Kälteleistung sowie 1 Wärmepumpe zur Trinkwassererwärmung (32,5 kW) mit Abwärmenutzung aus der benachbarten Produktionshalle
Eröffnung: Januar 2023
Start Seminarbetrieb: Februar 2023
Investitionssumme: hoher zweistelliger Millionenbetrag
Es geht in erster Linie um Prozesse
Ein wesentlicher Punkt der Lernkurve war die grundlegende Erkenntnis, dass die integrale Planung mit der Arbeitsmethodik BIM nicht in erster Linie datengetrieben ist, sondern viel eher eine Frage der Prozessorganisation, sagt Ulrich Zeppenfeldt, Vice President Global Service & Consulting bei Viega: „Im Vergleich zum herkömmlichen, seriellen Bauen verändert sich bei der integralen Planung mit der Arbeitsmethodik BIM vor allem die Objektbeschreibung durch den Auftraggeber (Stichwort: Auftraggeber-Informationsanforderungen, AIA), also gleich der Auftakt des Projektes. Dann folgen die Prozessorganisation selbst und nicht zuletzt die Projektabwicklung (Stichwort: BIM-Abwicklungsplan) mit der Kollaboration der verschiedenen Gewerke. Gewissermaßen als Klammer wird das Ganze dann von einer übergreifenden Datenstruktur getragen, die ihren sichtbaren Ausdruck in dem digitalen Zwilling findet.“
Für Viega als Investor und Betreiber des interaktiven Weiterbildungszentrums bedeutete das beispielsweise, die vorgesehene Nutzung des Gebäudes und die dahinterstehenden Prozesse vorab in einer bemerkenswerten Detailtiefe zu beschreiben. Aufbauend auf den Erfahrungen des bereits bestehenden Seminarcenters aus den 1990er Jahren entstand dabei ein umfassendes Lastenheft, in dem unter anderem übergeordnete Ziele wie
- eine herausragende Qualität der Seminare
- eine Demonstration der Technologieführerschaft des Herstellers
- eine Kompetenzdarstellung unter anderem zu den Themen „Erhalt der Trinkwassergüte“ und „Brandschutz“
- die gefordert hohe Qualität der Planung, der handwerklichen Ausführung und des Gebäudemanagements
- eine Beschreibung des Projektaufbaus
- die Verpflichtungen zur Kollaboration der beteiligten Gewerke
- eine Zertifizierung der Nachhaltigkeit und
- eine Orientierung an den politischen Zielvorgaben der Energiewende
beschrieben wurden. Darüber hinaus beinhaltet das Lastenheft Vorgaben zu BIM im Sinne von Auftraggeber-Informationsanforderungen (AIA), darunter:
- eine vollständige digitale Dokumentation über den gesamten Lebenszyklus
- ein konsolidiertes vollständiges „living open BIM“ für Gebäudemanagement, Seminarbetrieb und Ausstellung („as built“) und
- eine entsprechende Breitenwirkung, speziell auf die Fachöffentlichkeit (Stichwort: „total integrated BIM“).
Das Lastenheft stellte damit im Ergebnis eine Dokumentation sämtlicher Anforderungen aus Sicht der Nutzung (Nutzungsprozesse) und des Betriebs (FM-Prozesse) dar und enthielt Vorgaben zu BIM im Sinneder AIA. Parallel wurden weiterhin Ausführungen zu Projektorganisation und Organisationsprozessen, Leistungsbilder und Verpflichtungen festgeschrieben.
Daraus entstanden, lange vor dem ersten Spatenstich, ein projektübergreifendes Organisationshandbuch sowie in der Folge ein hoch detailliertes BIM-Konzept, in dem Modellinhalte und -qualitäten, mehrstufige BIM-Prozesse, Vorgaben zur technischen Umsetzung, die Modellprüfung sowie Vorgaben zum Datenaustausch usw. geregelt wurden, die dann in den BIM-Abwicklungsplan (BAP) einflossen. „Im Ergebnis führte das zu einer komplett neuen konzept- und prozessbasierten Herangehensweise, die für derartige Großprojekte künftig aber zum Standard werden dürfte“, so Professor van Treeck, RWTH Aachen University, Lehrstuhl für Energieeffizientes Bauen.
Daten in nur einer „wahren Quelle“
Ein zukünftiger Standard, der beim Bau der Viega World aber erst einmal auch juristisch abzusichern war. Dazu mussten einheitliche Regelungen, insbesondere die Vertragsbedingungen BIM, formuliert werden, bevor sich die einzelnen Gewerke im wahrsten Sinne des Wortes „am runden Tisch“ trafen, um in die eigentliche Projektrealisierung einzusteigen. Vereinfacht wurde das, angesichts der Dimension des Projektes, durch die Zusammenarbeit von Viega als Investor mit einer den Bau realisierenden ARGE, die schon frühzeitig in die Ausführungsplanung eingebunden wurde. Denn diese hatte die detailgetreue (Vor-)Planung mit entsprechender Datentiefe in enger Kollaboration mit den weiteren Prozessbeteiligten nicht nur wie gewohnt in Baugruppe, Schalung, Beton und Hochbau umzusetzen, sondern im Prinzip jeden Schritt auch noch digital darzustellen. Ulrich Zeppenfeldt: „Nur dann kann das zugrunde liegende digitale Modell die ihm zugedachten Funktionen in der späteren Betriebs- und idealerweise sogar Rückbauphase nach Ende der Nutzungszeit erfüllen.“
Sowohl die Planung entlang des digitalen Zwillings als auch die verlangte kontinuierliche Fortschreibung „as built“ sowie das ebenfalls geforderte „living open BIM“ für die künftige Betriebsphase setzen dafür allerdings eine Datenbasis voraus, die in dem Viega Projekt als „single source of truth“ geführt wurde. Dabei handelt es sich um eine zentrale Datenbank, in dem alle Fachmodelle in abgestimmten Prozessen einschließlich des Qualitätsmanagements BIM zu einem einheitlichen und konsistenten Datenmodell zusammengeführt wurden.
Zwingend notwendig dafür war ein einheitliches Attributmanagement, das eine enge Abstimmung zwischen den einzelnen Fachmodellen Architektur, Tragwerk, TGA, Gebäudeautomation und Bauphysik vorsah. Als Basis diente hier ein einheitliches Klassifikationssystem für Objekte und Attribute, das Redundanzen zwischen Teilmodellen verhinderte und funktionale Zusammenhänge der Automation berücksichtigte.
Die Nomenklatur, also das Attributmanagement und die Option zur durchgängigen Übergabe, war jedoch nur die eine Seite der Medaille. Die andere bestand in der Frage, welche Datentiefe im Einzelfall und je nach Prozessschritt notwendig war – wohl eine der praxistypischsten Herausforderungen, denen sich eine integrale Planung mit BIM grundsätzlich zu stellen hat. Professor van Treeck: „Modellkomplexität, Planungsfortschritt und Informationsliefergegenstände stehen hierbei in einem unmittelbaren Zusammenhang. Um über die gesamte Planungsphase hinweg ein performantes Arbeiten zu ermöglichen, ist nach den gemachten Erfahrungen beispielsweise das Arbeiten am Gesamtmodell nur für die Grundlagenarbeit und die Vorplanung sinnvoll, spätestens ab der Entwurfsplanung ist eine Zerlegung in Teilmodelle notwendig.“
Davon unabhängig aber kommt es erfahrungsgemäß in den verschiedenen Planungsstufen immer wieder zu Detaillierungsproblemen, für die es zumindest bislang noch keine pauschal anwendbaren CAD-Lösungen gibt. Das betrifft zum einen die mitgeführten Datenmengen. Je nach Genauigkeit der Geometrie werden hier pro Verbinder, pro Ventil oder welche Installationskomponente auch immer schnell 1 MB und mehr erreicht. Auf die Gesamtmenge eines Großprojektes wäre damit ein performantes Arbeiten nicht möglich. Im Projekt Viega World wurde der geometrische Detaillierungsgrad daher auf ein für die Planung sinnvolles Maß (LOG 3) beschränkt.
Ein anderes Beispiel ist die Vorplanung der medienführenden „Trassen“. Selbst mit reduzierten geometrischen Daten arbeitend sind für deren Dimensionierung genaue Angaben zu Nutzungsprozessen und zur Bauphysik notwendig – die es in der frühen Planungsphase jedoch auf Modellebene noch nicht gab. Im Projekt wurde daher zunächst mit entsprechend „groben“ Informationscontainern gearbeitet, die die im Lastenheft spezifizierten semantischen Informationen etwa auf Raum- bzw. Trassenebene definieren und zudem den geometrischen Installationsraum für die TGA reservieren. Somit wurde auf der Basis planerischen Fachwissens mit Objekten wie Segmenten, Räumen oder Trassen gearbeitet, die sich von der bislang üblichen Sichtweise auf 3D-Objekte (wie Bauteile und Komponenten) unterschieden. Insbesondere für die Gebäudeautomation dienen die genannten Informationscontainer zur Abbildung funktionaler Eigenschaften, beispielsweise der Raumfunktionen. Mit Hilfe des „groben“ BIM-Modells können zudem durch die Abstimmung zwischen Tragwerksmodell und Raumbedarf der TGA viele Kollisionen per se vermieden werden. Ein Ergebnis daraus: Auch bei der integralen Planung mit BIM erfordert eine vergleichbar einfache Aufgabenstellung wie besagte Trassenmodellierung neben Sorgfalt ein hohes Maß an Planungskompetenz, die der zuständige Fachplaner in das Projekt einzubringen hat.
Fazit
Die Planung des interaktiven Weiterbildungszentrums Viega World mit einem ganzheitlichen und am Lebenszyklus orientierten Ansatz stellt eine neue methodische Herangehensweise an ein derartiges Großprojekt dar. Ebenso neu war die an dieser Stelle erstmals über alle Leistungsstufen hinweg umgesetzte integrale Planung mit der Arbeitsmethodik BIM. Das stellte insbesondere Viega als Investor und Betreiber vor die Herausforderung, extrem früh die künftigen Bedarfe hochgradig detailliert beschreiben zu müssen. Erschwert wurde diese Aufgabe nicht zuletzt durch die Zielforderung, dass das rund 12.000 m2 große Gebäude selbst Schulungsinhalt sein sollte: Die meisten Inhalte der über 700 Seminare zu mehr als 20 Fachthemen können nun in der Viega World an praktischen Beispielen unter Realbedingungen verifiziert werden. Als didaktisches Konzept ist das mindestens in der TGA-Bildungslandschaft einmalig.Kasten Strukturgeber
TGA als Strukturgeber
Die Rolle der Gebäudetechnik als Strukturgeber bei der Planung von Neubauten und Bestandssanierungen wird zunehmen, meint Professor Dr.-Ing. habil. Christoph van Treeck von der RWTH Aachen University. Über die dezidierte Bedarfsplanung bekamen die „Lebensadern des Gebäudes“ in der Viega World – wie die (Rohr-)Leitungssysteme für Wärme, Kälte, Trinkwasser und Energie – ein solches Gewicht, dass die dahinterstehenden Trassenkonzepte zum Teil noch vor Architektur und Tragwerk im Planungsprozess berücksichtigt wurden.
„Mit der Gebäudetechnik als wichtigstem Strukturgeber wurde eine vollkommen neue Herangehensweise in der Planung etabliert“, so van Treeck. „Dies führte auch in den beteiligten Planungsbüros zur Einführung neuer Organisationsformen. Das Projekt hat damit eine Vorbildfunktion, insbesondere für eine fundierte Bedarfsplanung und Projektentwicklung. Bereits vor Beginn der eigentlichen Planung wurde ein gewerkeübergreifender Dialog gefordert, um integrale Zusammenhänge in Konzepten zu lösen. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse sind inzwischen sogar schon erfolgreich auf andere Bauvorhaben im In- und Ausland übertragen worden.“
Im Ergebnis war die wissenschaftlich begleitete Herangehensweise damit in der Frühphase der Planung zwar deutlich aufwändiger, als dies bei einem seriellen Ansatz wahrscheinlich der Fall gewesen wäre. „Entscheidend ist aber für uns als Investor und Betreiber unter ökonomischen und ökologischen Aspekten nicht nur die Gestehung des Gebäudes, sondern dessen auf mehrere Jahrzehnte gerechnete Nutzungsphase“, sagt Ulrich Zeppenfeldt: „Und spätestens dann zahlt es sich aus, dass wir beim Entwurf der Viega World die Technische Gebäudeausrüstung als den zentralen Strukturgeber für das gesamte Gebäude identifiziert und darüber maßgebliche Betriebsbedingungen wie den Energieverbrauch – Stichwort: CO2-Fußabdruck – oder Folgen von Nutzungsunterbrechungen in der Trinkwasserinstallation – Stichwort: Hygieneerhalt – dauerhaft zuverlässig abgesichert haben.“
Ulrich Zeppenfeldt
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