Ungenutzte Energie effizient genutzt
Autor: Sven Mahlitz, Vertriebsleiter Energiesysteme, YADOS Vertriebs GmbH, Hoyerswerda
Als volatile Energiequellen erzeugen Windkraft und Solarenergie an besonders wind- oder sonnenreichen Tagen Energiemengen, die zu groß für das Stromnetz sind und für eine regelrechte Stromschwemme im Land sorgen. Das veranlasst Netzbetreiber wegen drohender Überlastung das so genannte Einspeisemanagement, abgekürzt Einsman, vorzunehmen, d.h. die Einspeisung von erneuerbaren Energien in das Stromnetz abzuregeln. Konkret bedeutete das für die Bundesrepublik im Jahr 2021 einen Umfang von 6,1 TWh elektrischer Energie an Ausfallarbeit. Da in den meisten Fällen am Erzeugungsort keine Technologien zur Speicherung oder Umwandlung dieser Energie installiert sind, verpufft der so anfallende Strom ungenutzt.
Abgeregelte Energie dezentral verwerten
Dieser ungenutzte Ertrag aus erneuerbaren Energien ist seit einigen Jahren ein Motor für bundesweite Pläne zur Sektorenkopplung, die primär auf einer dezentralen Umnutzung der elektrischen Energie aufbauen. Ein solches Projekt ist „eFarm“ des Unternehmens GP JOULE, das auf die sektorenübergreifende Integration von Solar und Wind spezialisiert ist. „eFarm“ nutzt den Stromüberschuss diverser Ortschaften in Nordfriesland, um durch Power-to-Gas-Verfahren die Wasserstoff-Mobilität in der Region voranzubringen.
Zu diesen Ortschaften gehört die kleine Gemeinde Bosbüll, die über zwei Windenergie- und Flächensolaranlagen verfügt, deren EEG-Förderung in den kommenden Jahren ausläuft. Neben der Wasserstoff-Produktion wird der überschüssige Strom mittels Power-to-Heat-Verfahren in die lokale Wärmeversorgung kanalisiert. Beide Verfahren sichern die Wirtschaftlichkeit der erneuerbaren Anlagen über ihr Förderende hinaus.
Power-to-Heat: Wärmepumpen in grünem Betrieb
Drei vorlaufgeregelte Luft/Wasser-Wärmepumpen mit einer Gesamtleistung von 240 kW wandeln den erneuerbaren Strom in grüne Wärme um und speisen diese in das 2,7 km lange Bosbüller Wärmenetz ein. Ein 750 kW starker Elektroheizstab erwärmt zusätzlich Wasser in einem 14 m hohen und 84 m³ fassenden Speicher, in dem es bis zu vier Wochen zwischengelagert werden kann.
Damit lässt sich der errechnete Bedarf von aktuell 25 Haushalten (500 MWh/a) und einer Schweinemast (600 MWh/a) decken. Neben der direkten Umwandlung des regenerativen Stroms in Wärme, wird auch die Abwärme aus der parallellaufenden Elektrolyse im Umfang von 100 MWh verwertet. Dadurch erreichen die Wasserstoff-Elektrolyseure einen Wirkungsgrad von 95 %. Spitzenlasten deckt zusätzlich ein Gasheizkessel ab und für Sicherheit in allen Lagen steht eine Notheizung bereit.
Verteilsystem aus Hydraulikstation und smarten Wärmeübertragern
Das Zusammenspiel zwischen Erzeugern und Verbrauchern reguliert eine zentrale Hydraulikstation des auf die objektbezogene Anlagenplanung und -fertigung v.a. von Wärmenetzen spezialisierten Unternehmens Yados GmbH aus Hoyerswerda. Durch passgenaue Steuerung der Volumenströme werden Antriebsenergie und thermische Verluste minimiert und das Zusammenwirken von Energie- und Wärmeerzeuger sowie Wärmespeicher und Wärmeverteilungssystem optimiert. Eine hohe Spreizung zwischen Vorlauf (70-85°C) und Rücklauf (50-55°C) gewährleistet den effizienten Netzbetrieb.
Auf Verbraucherseite übertragen Wärmeübergabestationen von Yados die thermische Energie aus dem Wärmenetz in die Gebäudeheizungsanlagen. Je nach Anforderung werden Druck sowie Temperatur des Mediums reguliert und hydraulisch getrennt durch einen Plattenübertrager in den Heizkreislauf des Kunden eingespeist. Die elektronische Steuerungstechnik berechnet dabei den nötigen Vorlauf und lässt auch Faktoren wie Wetter, Uhrzeit und spezifische Komfortvorgaben des Nutzers einfließen. Die Wärmebedürfnisse des Verbrauchers lassen sich auch aus Distanz an die Station übermitteln, die Smart Home-fähig ist und mit entsprechender Software verbunden werden kann.
Power-to-Gas: Grüner Wasserstoff treibt Brennstoffzellenbusse an
Neben Wärme sorgt der anfallende Wind- und Solarstrom auch für eine lokale Gasproduktion: Zwei Polymer-Elektrolyt-Membran-Elektrolyseure mit jeweils 225 kW Leistung spalten Wasser und setzen dabei grünen Wasserstoff in einer Höhe von 400 kg täglich frei. Das leichte Gas wird seit dem dritten Quartal 2021 in mobilen Speichercontainern per LKW zu einer Wasserstoff-Tankstelle im benachbarten Niebüll und einer weiteren im knapp 50 Kilometern entfernten Husum transportiert. Dort dient es im Rahmen des „eFarm“-Projekts als Treibstoff für zwei Linienverkehrsbusse mit Brennstoffzellenantrieb sowie für die Betankung von LWKs und privaten PKWs. Den nötigen Druck von 350 und 700 bar baut beim Tankvorgang eine Verdichtungsanlage auf.

Vernetzte Regelungstechnik mit transparenter Visualisierung
Unter anderem als Schnittstelle für die Kommunikation zwischen eingebundenen Erzeugern und Elektrolyseuren fungiert die Leittechnik YADO | Link. Das System wertet empfangene Daten aus und greift regulatorisch in laufende Prozesse ein, indem es eine Wärmebedarfsmeldung an die Elektrolyseure sendet oder die Arbeit der Zubringer-Pumpen anpasst.

Die speziell auf die anlagentechnischen Anforderungen zugeschnittene Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnologie aus Hoyerswerda ist für die reibungslose Verzahnung von Wärmebereitstellung und Wasserstoff-Produktion sowie die Koordination sämtlicher Energieflüsse, Erzeuger und Verbraucher im komplexen Gesamtsystem zuständig. Sie visualisiert die Daten zu Temperaturen, Drücken, Leistungen etc. transparent und bedienfreundlich auf einem großflächigen Display. Die Informationen sammelt die Leittechnik aus vernetzten Sensoren, Aktoren sowie modularen Regelungseinheiten.
Das Leitsystem wurde bereits vormontiert und verdrahtet in Form zweier Schaltschrankgehäuse geliefert. Leistungsabgänge und Zuleitungen sowie Steuerabgänge und Anschlüsse für aufzuschaltende Signale sind getrennt in jeweils einem Schrank untergebracht.
Weniger Kosten und CO2-Reduktion von 760 Tonnen
Durch die Umstellung der 25 Haushalte auf grüne Wärme und die Abschaffung eines Ölheizkessels im Schweinemastbetrieb kann ein Verbrauch von bis zu 180.000 l Heizöl jährlich eingespart werden, was nicht nur kostensenkend wirkt, sondern auch einem CO2-Äquivalent von 760 t CO2 im Jahr entspricht. Zudem bewahren die Bosbüller Ü20-Anlagen durch die ausgeweitete Nutzung trotz auslaufender Förderung ihre Wirtschaftlichkeit, und die Kombination aus Power-to-Heat und Power-to-Gas kann auch anderen Gemeinden als Vorbild für eine gelingende Transformation bestehender Energiesysteme dienen. Das würdigte die Gesellschaft für Energie und Klimaschutz GmbH, die im Rahmen der „EnergieOlympiade“ jährlich renommierte Preise vergibt: Wegen der erfolgreichen Umstrukturierung in der Energieversorgung ging im Jahr 2021 der Preis in der Kategorie „EnergieKonzept“ an Bosbüll.
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