„Kunst“ der Entwässerung

Ein denkmalgeschütztes Museumsgebäude auf der einen Seite, rechtlich vorgeschriebene Entwässerungsvorgaben, Flachdachrichtlinien und DIN-Normen auf der anderen Seite: Mit einem kreativen Entwässerungskonzept realisierten die am Bau Beteiligten Konsens auf dem sanierten Flachdach des Historischen Museums in Hannover.

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Das Flachdach des Historischen Museums am Hohen Ufer vom Beginenturm aus gesehen Bild: Sita
Das Flachdach des Historischen Museums am Hohen Ufer vom Beginenturm aus gesehen Bild: Sita

Das Historische Museum am Hohen Ufer beherbergt Exponate zur Geschichte der Stadt Hannover und des Landes Niedersachsen. Geschichte ist aber nicht nur in der Museumsausstellung versammelt, sondern auch im Baukörper selbst. Als der namhafte Architekt Professor Dieter Oesterlen den 1966 eröffneten Museumsbau plante, integrierte er den Beginenturm, den letzten noch erhaltenen Stadtturm, und einen Abschnitt der alten Stadtmauer, die Bruchsteinmauer des von 1643 bis 1649 erbauten herzoglichen Zeughauses. Sie wurden Teil des polygonal angelegten, dreistöckigen Gebäudes, das sich um einen fünfeckigen Innenhof gruppiert. „Als beispielgebender international bekannter Museumsbau und stadtbildprägendes Gebäude steht das Historische Museum unter Denkmalschutz“, erläutert Architekt Willi Reichert, der die Erben Dieter Oesterlens auch in Denkmalschutzfragen berät.

Schwieriges Erbe

Das dreigeschossige Gebäude besitzt ein durchgängiges rund 2.620 m² großes Flachdach mit vier abgestaffelten Sheddächern. Im Laufe der Jahrzehnte wurde dieses Dach wiederholt repariert, aber nie vollständig saniert. „Es wies erhebliche Mängel bezüglich Dichtigkeit, Wasserableitung, Wärmeschutz, Oberflächenschutz, Absturzsicherung und Blitzschutz auf. Diese Mängel sollten mit der Dachsanierung unter Berücksichtigung des Denkmalschutzes dauerhaft behoben werden. Der Denkmalschutz hatte absolute Priorität.“ So fasst Architekt Willi Reichert die Herausforderung zusammen, ein denkmalgeschütztes Bauwerk zeitgemäß zu sanieren.

Das alte Flachdach, das undicht und mit einer lediglich 4 cm hohen Wärmedämmung versehen war, musste komplett erneuert werden. Das Gefälle war weder ausreichend angelegt noch technisch einwandfrei gebaut. Bei Regen bekamen einige Gullys so viel Wasser, dass sie es nicht abführen konnten, und andere so gut wie gar keins. In vielen Bereichen gab es quasi kein Gefälle. Es war eher ein klassisches Flachdach, auf dem sich das Wasser anstaute. Dies wurde nun ersetzt durch eine Gefällewärmedämmung, die das Wasser gezielt zu den Abläufen führt – mit 2 % Gefälle. Heute existiert hier eine lineare Entwässerung mit einer so genannten linearen Tiefpunktkehle. Die Position der Altgullys blieb jedoch erhalten.

Bestandsgullys als „Altlast“

Bei dem Versuch, die Bestandsgullys aus der Betondecke zu stemmen, stießen die Dachdecker schon nach 3 cm auf die tragende Bewehrung der Decke. Und obwohl die gesamte Decke nur 6 cm dick ist, wurde dort noch ein Teil der Gebäudeheizung untergebracht. Das besondere Problem war, dass die alten Abläufe in den Grundsäulen des Gebäudes einbetoniert waren. Da das Gebäude unter Denkmalschutz steht, konnten diese nicht einfach entfernt und gegen neue, rückstausichere ausgetauscht werden. Es galt, mit dem alten Bestand, halbrund, aus gegossenem Eisen, irgendwie zurecht zu kommen.

Die gesamte Hauptentwässerung erfolgt über Fallrohre, die „unsichtbar“ in der Mitte der runden Stützen der Innenräume platziert sind. Bis auf einen neuen Gully an der einzigen Stelle, die den Zugang zu einer Fallleitung ermöglichte, mussten die alten Abläufe genutzt werden. Sie wurden sorgfältig gereinigt, mit einem neuen Dichtring und dem SitaSani 165 ausgestattet, der den Vorteil hat, den Leitungsquerschnitt der Abläufe nicht zu verringern. Dieser Aufbau wurde dann nach außen verklebt.

Eine absolut fachgerechte Sanierung der Altgullys war jedoch unmöglich, da diese nach unten halb rund zulaufen. Um einen halbrunden Gully rückstausicher anzubinden, war Kreativität gefragt – und so entwickelte Sita die Idee mit der „Opferplatte“.

„Opferplatte“ für den Worst Case

Die letzte Wärmedämmplatte, die den jeweiligen Gully umgibt, wurde zur „Opferplatte“ erklärt. Diese 1 m2 große Platte wurde zu allen Seiten wasserdicht abgeschottet und erst dann in die Dachabdichtung eingebunden. Sollte jemals Wasser bis nach oben durchdrücken, dann würde es um den Gully herum diese eine Platte treffen und mehr nicht. Selbst wenn das Wasser in den Fallleitungen ansteigt, kann schlimmstenfalls diese so genannte Opferplatte durchnässt werden, aber nicht die gesamte Wärmedämmung des neu gebauten Flachdachs.

Es ist vorgegeben, dass interne Entwässerungen – unabhängig von Flachdachabdichtungen oder Steildachdeckungen – grundsätzlich druckfest und rückstausicher auszuführen sind. Das heißt, wenn sich z. B. bei starken und ergiebigen Niederschlägen das Wasser in den Grundleitungen nicht ableiten lässt, dann muss es sich schadensfrei in der senkrechten Fallleitung anstauen können – im Zweifel bis zum Dach und ohne, dass das Gebäude Schaden nimmt. Das ist bei einem Trennsystem mit Regenfallleitungen und Schmutzwasserleitungen eher möglich, als bei einem Mischsystem, bei dem das Wasser im Ernstfall bis in ein Waschbecken und die Toilette rückstauen kann. Als wäre das Projekt nicht schon kompliziert genug, gibt es beim Historischen Museum noch eine Mischentwässerung. Diese ist heute eigentlich nicht mehr erlaubt, bei diesem Gebäude aber nicht mehr zu ändern und unter Ausnutzung des Bestandsschutzes insofern weiterhin zugelassen.

Zur Entspannung bei stärkeren Regenereignissen tragen heute die Wasserrückhaltungseigenschaften einer extensiven Dachbegrünung bei – der so genannte Retentionseffekt. Um die Berechnungsregenspende abzuleiten, wurde ein Gründach mit Faktor 0,5 realisiert. Das bedeutet eine 50-prozentige Regenwasserrückhaltung.

Gestaffelte Attika

Der Berechnungsregen r(5,5) am Standort ist nach KOSTRA DWD-2000 mit 327,80 l/(s × ha) angegeben. Diese im Landesdurchschnitt leicht erhöhte Regenspende wird heute über die Hauptentwässerung mit 21 Freispiegelgullys zu 99,9 % abgeführt. Das eher seltene Ereignis des Jahrhundertregens wird mit einer Notentwässerung aufgefangen. Auch bei der Notentwässerung galt es, eine kreative Lösung zu finden, um die Auflagen des Denkmalschutzes zu erfüllen. Bisher lief der Regen, den die Gullys nicht schlucken konnten, einfach über die 3 cm hohe Dachkante.

Fallrohre an der Fassade waren auch bei der Sanierung aus Denkmalschutzgründen nicht erlaubt. Also wurde eine Speierlösung erwogen, für die allerdings eine Attika erforderlich wurde. Der neue, wesentlich höhere Wärmedämmaufbau und der Wunsch der Stadt Hannover nach einem Gründach kamen dieser Planung entgegen. Architekt Reichert: „Damit die neue Aufkantung von unten nicht sichtbar ist, wurde in Abstimmung mit dem Denkmalschutz eine gestaffelte Attika geplant. Von unten, also auf 20 bis 25 Meter, sieht man nur die denkmalgeschützte 3 cm-Dachkante. Je weiter man zurückgeht, umso mehr sieht man von der neuen Aufkantung. Das war ein Kompromiss. Der wurde vorher mit Dummies ausprobiert, bis die Denkmalpflege „stop“ sagte. Unser Problem: Je weiter wir mit der zweiten Kante zurückgehen, umso mehr Wasser läuft natürlich außen herunter, was wir auch nicht so gut finden. Mit der Attika-Platzierung, 70 Zentimeter von der Dachkante entfernt, wurde es dann ein Kompromiss zwischen Denkmalpflege und Praxisanforderungen. Wir haben jetzt eine mit vorbewittertem Zinkblech verkleidete Dachkante, über die das Wasser bei Jahrhundertregen abläuft.“

Turbolösung

Angeschlossen an ein 125 DN Fallrohr erbringen SitaTurbo Attikagullys mit rechteckigem Einlauftopf die sehr hohe Ablaufleistung von bis zu 22 l/s. Da bei der Sanierung des Museums keine Fallrohre eingesetzt werden durften, musste mit der reduzierten Speierleistung gerechnet werden. Um den Jahrhundertregen r(5,100) von 651,90 l/(s × ha) sicher abzuführen, wurden 40 SitaTurbo berechnet. Als Basis für den Einbau der Notentwässerer dienen Überhöhungen aus Dämmstoff, die exakt auf die Vorgaben des Statikers abgestimmt sind. Zur Sicherheit wurden die Attikagullys sogar minimal tiefer gesetzt, als in der Anstauhöhenberechnung des Statikers vorgegeben. So ist sichergestellt, dass sie etwas eher anspringen und das Dach berechnungstechnisch auf der sicheren Seite ist. Die SitaAttika Turbos, die gemäß den Flachdachrichtlinien ca. 500 mm von der Gesimsaufkantung eingebaut wurden, speien jetzt frei auf die Zinkabdeckung und dann in die Tiefe auf die Straße.

Resümee: Kreativität am Bau gefragt

Professor Dieter Oesterlen war nicht nur Architekt, sondern auch Künstler. Die reine Optik hatte Priorität. Alles, was wasserführend ist, wurde verborgen, z. B. in den Stützen, was den Zugang im Rahmen der Sanierung erschwerte und teilweise unmöglich machte. Aber im Sinne des Erbauers und des Denkmalschutzes entwickelten die am Bau Beteiligten mit viel Kreativität eine Flachdachentwässerung, die Museumsgebäude, Menschen und Werte wirksam schützt.

Eine Information der Sita Bauelemente GmbH, Rheda-Wiedenbrück

Siehe Firmenprofil

Bautafel

 

 

Objekt: Historisches Museum Am Hohen Ufer, Hannover

Bauherr:Landeshauptstadt Hannover, FB Gebäudemanagement, Hannover

Realisierungszeitraum: 2017

Architekt:SR Architekten BDA, Dipl.-Ing. Willi Reichert, Hemmingen – Ohlendorf

Dachdecker:Heiko Bölling Dachdeckermeister GmbH, Laatzen

TGA-Fachplanung:SR Architekten BDA, Dipl.-Ing. Willi Reichert, Hemmingen – Ohlendorf

Wichtigste Ziele der Modernisierung/Neubau:Dachsanierung unter Berücksichtigung des Denkmalschutzes

Wichtigste Ergebnisse der Modernisierung/Neubaus:Komplette Erneuerung des Flachdachs und der Entwässerung

Leistungen und Lieferanten:Sita Bauelemente GmbH, Rheda-Wiedenbrück

Bemerkungen:Besonders hohe Anforderungen durch denkmalgeschützte „verborgene“ Fallrohre innerhalb der tragenden Säulen

Redaktion (allg.)

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„Kunst“ der Entwässerung
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