Wärmenetze

Die Wärmewende im Gebäudesektor – Herausforderungen und Handlungsoptionen

Eine konsequente Umsetzung der Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens verlangt einen komplett klimaneutralen Gebäudebestand. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Fernwärmenetze und ihre Dekarbonisierung. Sie sind einer der zentralen Aspekte einer neuen Studie von Fraunhofer ISE, Öko-Institut e. V. und Hamburg Institut.

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1 – Die Fernwärmeerzeugung steht vor einem tiefgreifenden Strukturwandel: Szenario zur Fernwärmeerzeugung in Deutschland Bild: Hamburg Institut mit Daten aus (Gerbert et al. 20181), -95 % THG-Szenario)
1 – Die Fernwärmeerzeugung steht vor einem tiefgreifenden Strukturwandel: Szenario zur Fernwärmeerzeugung in Deutschland Bild: Hamburg Institut mit Daten aus (Gerbert et al. 20181), -95 % THG-Szenario)

Im Rahmen der internationalen Klimaschutzziele hat sich Deutschland zu einer Emissionsminderung um 80 bis 95 % bis 2050 (gegenüber 1990) verpflichtet. Um das Ziel zu erreichen, müssen die Emissionen in allen Anwendungsbereichen signifikant sinken. Dem Gebäudesektor wird hierbei eine enorme Bedeutung beigemessen, denn er verursacht ca. 35 % des gesamten Endenergieverbrauchs. Angesichts der Mitigationsbeschränkungen in anderen Sektoren (v. a. Landwirtschaft, Industrieprozesse) muss der Gebäudebestand komplett klimaneutral werden. Eine besondere Herausforderung bei der Wärmewende ist die große Heterogenität von Techniken, Markt-, Akteurs- und Kostenstrukturen. Lange Investitionszyklen schaffen einen sehr trägen Sektor. Daher müssen technische und politische Maßnahmen vorausschauend geplant und frühzeitig implementiert werden.

Hintergrund

In der Studie Systemische Herausforderung der Wärmewende, die am 26. April 2021 veröffentlicht wurde, analysierten das Fraunhofer ISE, Öko-Institut e. V. und Hamburg Institut im Auftrag des Umweltbundesamtes (FKZ 37EV 17 105 0) notwendige Maßnahmen für den Gebäudesektor zur Reduktion der gesamten Treibhausgasemissionen Deutschlands um mindestens 95 % bis 2050 und formulierten ein mögliches Instrumentenset in Form einer Roadmap. Ein Schwerpunkt der Analysen ist die Rolle der Wärmenetze für die Wärmewende.

Grundlage der Arbeiten ist die Analyse von Studien, in denen Szenarien notwendige Transformationen zur eingangs genannten Zielerreichung (min. –95 % THG-Emissionen) im Gebäudebereich und im Energiesystem aufzeigen.

Versorgungsstruktur 2050

Bild 2 zeigt den Endenergiebedarf und die Verteilung der Endenergieträger in den untersuchten Szenarien 2050. Insbesondere in den Referenzszenarien (THG-Minderungsziele werden nicht erreicht) spielen flüssige und gasförmige Brennstoffe noch eine größere Rolle als in den Zielszenarien, die stark von Wärmepumpen dominiert sind. Unterschiede zeigen sich auch hinsichtlich der Endenergiebedarfsreduktion durch Sanierungen.

Die Rolle der Biomasse wird unterschiedlich bewertet; es werden zwischen 11 und 100 TWh pro Jahr in Gebäuden genutzt. Beide Werte liegen unterhalb des heutigen Biomasseeinsatzes für die Gebäudewärme. Das Biomassepotenzial ist in den Szenarien vergleichbar hoch, jedoch unterscheidet sich die Allokation. Biomasse wird verstärkt für Anwendungen mit hohen Temperaturanforderungen und die Bereitstellung von Treibstoffen genutzt, also in Bereichen, in denen es weniger effiziente und kostengünstige Alternativen gibt als in Gebäuden. Der derzeitige ordnungsrechtliche und Förderrahmen gibt allerdings der Nutzung von Biomasse zur Wärmebereitstellung nach wie vor starke Präferenz. Hinsichtlich einer zielgerichteten Energiesystemtransformation ist aufgrund begrenzter nachhaltiger Biomassepotenziale ein Dialog zur Biomasseallokation dringend notwendig und der (Förder-)Rahmen entsprechend zeitnah anzupassen.

Ähnliche Herausforderungen zeichnen sich auch bei der künftigen Rolle synthetischer Brennstoffe in Gebäuden ab. Im Rahmen der Debatten rund um die Wasserstoffstrategien Deutschlands und der EU gewann das Thema im vergangenen Jahr an Bedeutung. Synthetische Brennstoffe spielen in den untersuchten Szenarien im Gebäudesektor aber meist keine oder nur eine untergeordnete Rolle, da es günstigere und effizientere technische Alternativen zur Bereitstellung von Raumwärme und Warmwasser gibt.

Im Rahmen der Wärmewende wird die Fernwärme erheblich an Bedeutung gewinnen. Ihr Anteil am Endenergiebedarf Wärme steigt bis 2050 auf bis zu 40 % und liegt im Mittel zwischen 15 und 22 % (Anteil 2008: 9 %). Um im gesamten Energiesystem eine THG-Minderung um 95 % zu erreichen, muss der Gebäudesektor komplett mit erneuerbaren Energien versorgt und die Fernwärme entsprechend dekarbonisiert werden.

Aus den Analysen können Anforderungen an neue, zusätzliche bzw. weiterzuentwickelnde Instrumente abgeleitet werden. Die Instrumente müssen so ausgestaltet sein, dass sie folgende zentrale Funktionen erfüllen:

  • Erhöhung Sanierungsaktivität (Wärmeschutz + Energieträgerwechsel)
  • ambitioniertere Sanierungsniveaus
  • Infrastrukturentwicklung v. a. bei Wärmenetzen (Ausbau, Dekarbonisierungsstrategien); gleichzeitig Transformationsstrategien Gasinfrastruktur
  • Einhaltung Zwischenziele in Bezug auf THG-Emissionsminderung (vor allem Ziele des Klimaschutzgesetzes), um langfristige Ziele erreichen zu können
  • Sicherstellung zügige Dekarbonisierung Energiesektor, insbesondere der Stromerzeugung
  • Aufbau Infrastruktur für Import und inländische Erzeugung von Power-to-Gas- und Power-to-Liquid-Produkten für das gesamte Energiesystem (für Gebäudewärme nur in Nischen relevant).

Rolle der Wärmenetze

Die Fernwärme besitzt für die Wärmewende eine tragende Funktion. Der Fernwärmeabsatz in Deutschland wird größtenteils bestimmt durch den Betrieb großer urbaner Fernwärmenetze. Nach einer Sektoruntersuchung des Bundeskartellamtes werden mehr als 80 % der Fernwärme über etwa 40 Großnetze mit mehr als 100 km Trassenlänge abgesetzt. Der Anteil erneuerbarer Energien ist mit ca. 14 % (v. a. Biomasse) vergleichbar mit dem Anteil bei der objektbasierten Versorgung. Obwohl die Integration erneuerbarer Energien und Abwärme in Wärmenetze systembedingt diverse Vorteile gegenüber gebäudebezogenen Lösungen aufweist, sind diese Potenziale in der Praxis noch wenig genutzt.

Die Fernwärme in Deutschland bedarf eines tiefgreifenden technisch-ökologischen Strukturwandels, wenn sie einen wichtigen Beitrag für eine klimaneutrale Wärmeversorgung liefern soll. Der Wandel betrifft alle Wertschöpfungsstufen von der Wärmeerzeugung bis zum -vertrieb. Auf der Erzeugungsseite sind die Verwendung emissionsärmerer bzw. -freier Brennstoffe und die Abwärmenutzung besonders große Hebel, um die THG-Emissionen schnell deutlich zu senken und langfristig vollständig zu dekarbonisieren.

Die Erzeugungslandschaft wird dezentraler und vielfältiger werden. Heute basiert die Fernwärme vor allem auf fossiler KWK, die je nach Auslegung und verfügbarem Brennstoff nahezu überall anwendbar ist. Dagegen ist die künftige Erzeugung stärker von lokal vorhandenen Voraussetzungen abhängig, etwa ausreichend großer und kostengünstiger Wärmequellen für Wärmepumpen, oder dem geologischen Potenzial. Es wird keine „one-size-fits-all“ Technologie geben, sondern es müssen standortspezifisch die günstigsten Lösungen ermittelt werden.

Den tiefgreifenden Strukturwandel im Fernwärmebereich zeigt Bild 1 eindrücklich. Trotz einer ambitionierten Minderung des Gebäudewärmebedarfs um 49 % bis 2050 steigt die Fernwärmebereitstellung deutlich an. Auch sind die zu erwartenden Änderungen im Erzeugungsmix ersichtlich. Während Wärmepumpen, Solarthermie, Geothermie und Abwärme mit einem Anteil von nur 3 % der Fernwärmeerzeugung heute noch Nischenanwendungen sind, so bilden diese Technologien 2050 mit etwa 70 % das Rückgrat der Fernwärme.

Der Strukturwandel bezieht sich nicht nur auf die Erzeugung, sondern auch auf den Netzbetrieb. Die hydraulische Optimierung der Verteilsysteme und die Absenkung der Netztemperatur können parallel dazu beitragen, die Effizienz der Einbindung von Niedertemperatur-Wärmequellen zu verbessern. Große Wärmespeicher werden künftig ein zentrales Element, um kostengünstige Wärme (z. B. Abwärme) effizient zu nutzen und einen Ausgleich zwischen Dargebot und Wärmelast zu ermöglichen.

Darüber hinaus kann durch Digitalisierung die Systemsteuerung optimiert werden. Dazu kommen Maßnahmen zur Verbesserung der Kundenakzeptanz (Preise, Transparenz usw.) und neue Geschäfts- und Vermarktungsmodelle, die den Fernwärmeausbau ermöglichen.

Als Zielsystem des technisch-ökologischen Strukturwandels können Wärmenetze vor Ort zu intelligenten Wärmeplattformen entwickelt werden, die verschiedene lokal verfügbare Wärmequellen kosteneffizient bündeln, speichern und verteilen.

Potenziale für den Fernwärmeausbau und zur Einbindung erneuerbarer Energien und Abwärme in Wärmenetze sind ausreichend vorhanden. Jedoch bestehen für das Heben dieser Potenziale verschiedene Hemmnisse, die zu beseitigen sind. Ferner sind eine wirksame Förderkulisse notwendig, um Investitionen anzureizen (hier ist darauf zu achten, dass der Einsatz erneuerbarer Energien und Abwärme gegenüber dem Einsatz fossiler Brennstoffe (z. B. KWKG-Förderung) ökonomische Vorteile erzielt), sowie ein regulatorischer Rahmen, der den Transformationsprozess flankiert.

Roadmap für die Wärmewende im Gebäudesektor

Im Rahmen der obengenannten Studie entwickelten die Projektpartner Fraunhofer ISE, Öko-Institut e. V. und Hamburg Institut eine technisch orientierte Maßnahmen- und eine Instrumenten-Roadmap. Die Maßnahmen-Roadmap (s. Bild 3) beschreibt, wie ein zielorientierter und volkswirtschaftlich sinnvoller Transformationsprozess im Spannungsfeld Gebäudesanierung, lokaler Nutzung erneuerbarer Energien sowie netzgebundene Wärmeversorgung ausgestaltet werden kann. Die Instrumenten-Roadmap beschreibt ein mögliches Bündel politischer Instrumente, das geeignet erscheint, die Leitplanken für die Transformation des Wärmesektors voranzutreiben.

Für die Zielerreichung ist die vollständige Dekarbonisierung der genutzten Gase und flüssigen Brennstoffe essenziell. Synthetische Brennstoffe wie grüner Wasserstoff werden nur in sehr begrenztem Umfang in Gebäuden benötigt und genutzt. Daneben ist die Energiebedarfsreduktion in Gebäuden wichtig. Hierfür muss die Sanierungsrate sukzessive erhöht werden. Neubau- und vor allem Sanierungsniveaus müssen deutlich ambitionierter als derzeit sein (Neubau Effizienzhaus-40, Sanierung Effizienzhaus-55 ab ca. 2026).2)

Bei der Versorgungsstruktur muss angesichts der technischen Lebensdauer der Kessel von 20 bis 25 Jahren bis spätestens 2030, besser 2025, klar sein, welcher Technologiepfad beschritten wird, um Lock-In-Effekte und höhere Kosten zu vermeiden. Ein frühes Verbot monovalenter fossiler Heizkessel ist unabdingbar und auch bivalente Ölkessel müssen komplett durch andere Techniken ersetzt werden. Biomasse spielt in Gebäuden langfristig keine Rolle mehr, da sie in anderen Sektoren benötigt wird. Für die Zielerreichung muss die Fernwärme ausgebaut und vollständig dekarbonisiert werden.

Das Gelingen der Wärmewende bedarf politischer Instrumente, die zielkonforme Entwicklungen und ein abgestimmtes Vorgehen unterstützen. Einer verpflichtenden strategischen kommunalen Wärmeplanung kommt daher eine zentrale Rolle zu. Mit dieser werden anhand lokaler Gegebenheiten Dekarbonisierungsstrategien auf kommunaler Ebene entwickelt und systematisch umgesetzt. Sie muss ab sofort verankert werden. Weiterhin muss die finanzielle Attraktivität regenerativer, insbesondere strombasierter, Wärmebereitstellung gegenüber fossiler Alternativen gesteigert werden. Insgesamt ist ein Mix aus ordnungsrechtlichen Instrumenten, Beratung und Information sowie angepassten, zielkonformen Förderungen notwendig, um die Wärmewende erfolgreich zu vollziehen. Im Zentrum stehen die Energiebedarfsreduktion und die vollständige Umstellung auf erneuerbare Energien bis spätestens 2050. Das Gebäudeenergierecht muss auf die Langfristziele ausgerichtet werden, aber auch Verbote bestimmter Techniken und eine Reduktion von Ausnahmen sind notwendig.

Fazit

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass das aktuelle Ambitionsniveau zur Erreichung der Klimaschutzziele im Gebäudebereich nicht ausreichend ist. In Zukunft werden strombasierte Techniken, insbesondere Wärmepumpen und die Fernwärme dominieren und der Endenergiebedarf der Gebäude muss drastisch gesenkt werden. Die Fernwärme- und Strombereitstellung muss dementsprechend vollständig dekarbonisiert werden. Biomasse wird in Gebäuden langfristig keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielen. Synthetische Brennstoffe spielen in Gebäuden voraussichtlich ebenfalls nur eine i. d. R. untergeordnete Rolle.

Um die Wärmewende erfolgreich zu gestalten sind neue, zusätzliche und weiterentwickelte Politikinstrumente so auszugestalten, dass sie zur Erhöhung der Sanierungsaktivität und ambitionierteren Sanierungsniveaus beitragen und die für die Wärmewende wichtigen Infrastrukturentwicklungen v. a. bei Wärmenetzen umgesetzt werden. Wichtig ist, die Zwischenziele (Treibhausgasemissionsminderung) zu erreichen und insbesondere den Strom- und Fernwärmesektor frühzeitig vollständig zu dekarbonisieren.

Die Langfassung der Studie steht online auf den Seiten des UBA kostenfrei zur Verfügung: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/5750/publikat…

  • 1) Gerbert et al. (2018): Klimapfade für Deutschland. Hg. v. The Boston Consulting Group und Prognos AG

  • 2) Die KfW-Niveaus beziehen sich hierbei jeweils nur auf die Anforderungen an die Gebäudehülle und nicht an die Bewertung hinsichtlich Primärenergiebedarf der Gebäude.

  • 3) Engelmann et al. (2021): Engelmann, P.; Köhler, B.; Meyer, R.; Dengler, J.; Herkel, S.; Kießling, L.; Quast, A.; Berneiser, J.; Bär, C.; Sterchele, P.; Heilig, J.; Bürger, V.; Braungardt, S.; Hesse, T.; Sandrock, M.; Maaß, C.; Strodel, N.: Systemische Herausforderung der Wärmewende – Abschlussbericht. Climate Change 18/2021, Umweltbundesamt (Hrsg.), Dessau-Roßlau

M. SC. Robert Meyer

M. SC. Robert Meyer

M. Eng. Benjamin Köhler

M. Eng. Benjamin Köhler

Dr. Veit Bürger

Dr. Veit Bürger

Dr. Peter Engelmann

Dr. Peter Engelmann

Dr. Matthias Sandrock

Dr. Matthias Sandrock
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Die Wärmewende im Gebäudesektor – Herausforderungen und Handlungsoptionen
Seite 12 bis 16
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