Frische Luft in der Schule

Memmingen hat das große Areal an der Schlachthofstraße mit einer neuen staatlichen Realschule, Sporthallen und der städtischen Sebastian-Lotzer-Realschule wiederbelebt. An den Neubau der Lotzer-Realschule waren hohe klimatechnische Anforderungen gestellt. Erfüllt wurden diese durch eine Bauteilaktivierung mit Luft, die die Eigenschaften einer Bauteiltemperierung und einer Lüftungsanlage vereint.
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Der Neubau der Sebastian-Lotzer-Realschule in Memmingen erhielt ein Bauteilaktivierungs-Lüftungssystem. Bild: Klaus Mauz
Der Neubau der Sebastian-Lotzer-Realschule in Memmingen erhielt ein Bauteilaktivierungs-Lüftungssystem. Bild: Klaus Mauz

Bereits 2008 fand ein europaweiter Architektenwettbewerb für den Neubau der städtischen Realschule Memmingen statt. Den ersten Preis erhielt eine ARGE, bestehend aus hahne + mauz architektur, München, Herle + Herrle Architekten, Neuburg a. D. und grabner + huber Landschaftsarchitekten, Freising. Das Siegerkonzept sah kompakte Baukörper vor, die die zwei Realschulen durch verschiedene Gestaltungsansätze miteinander in einen Wettbewerb schickt.

Die Architekten setzten dabei auf das Leitmotiv „Es ist nichts wie es scheint“, wonach der Mensch vor allem durch Neugierde und Änderung der Betrachtungsperspektive lernt. Entstanden ist ein zweigeschossiger Stahlbetonmassivbau mit horizontal gegliederten Fassaden. Unregelmäßige Fensterbänder sowie individuelle Motive in Anlehnung an schulische Tafelanschriebe prägen das äußere Erscheinungsbild des Schulgebäudes.

Hohe klimatechnische Anforderungen des Bauherrn

Die Stadt Memmingen wollte beim Schulneubau den entsprechend der EnEV zulässigen Heizwärmebedarf deutlich unterschreiten. Zusätzlich wünschte sich der Bauherr die Verwendung alternativer Energien. Das Ingenieurbüro Güttinger aus Kempten erarbeitete daraufhin ein ambitioniertes Energiekonzept, das den Neubau auf Basis eines KfW-55-Hauses vorsah. Hierfür lag das Anforderungsniveau 45 % über dem gesetzlich vorgeschriebenen Standard.

Die umfangreichen Anlagentechniken sorgten dafür, dass die Umsetzung wunschgemäß erfolgen konnte. So befinden sich beispielsweise Photovoltaik-Module auf dem Gebäudedach. Die Wärmeversorgung erfolgt über einen Gas-Brennwertkessel und zwei Gasabsorptions-Wärmepumpen, die das Grundwasser als Wärmequelle nutzen. Zudem wird die Beleuchtung in den Klassenzimmern tageslichtabhängig geregelt, was elektrische Energie einspart. Nach Fertigstellung des Gebäudes liegt der Gesamtprimärenergiebedarf bei 54 % des maximal zulässigen Wertes. Einen entscheidenden Anteil daran hat die Luft- und Klimatechnik.

Bauteilaktivierung mit Lüftungsfunktion

In Schulen und Bildungsstätten haben viele Personen auf einer vergleichsweise nur geringen Fläche einen hohen Frischluftbedarf. Das Ansteigen des CO2-Gehalts in der Raumluft zu verhindern ist die Grundvoraussetzung für konzentriertes Arbeiten und die damit verbundenen Lernerfolge. Für solche Anforderungen ist das Bauteilaktivierungs-Lüftungssystem Concretcool von Kiefer Luft- und Klimatechnik aus Stuttgart bestens geeignet.

Die Bauteilaktivierung (BTA) arbeitet wie eine Kühldecke, die aber zusätzlich ein großes Energiespeichervolumen besitzt. Dadurch ist es möglich, gespeicherte Wärme zu einem späteren, energetisch sinnvolleren Zeitpunkt (in der Nacht oder den frühen Morgenstunden) abzuführen. Tagsüber lässt die Wärmekapazität des Bauteils die Raumtemperatur nur gering ansteigen. Die Energie im Raum dient der Nacherwärmung der Zuluft.

Das System nutzt dabei effizient die freie Kühlung und vereint die Bauteilaktivierung mit der Lüftungsfunktion. Grundsätzlich ist das System der Bauteilaktivierung träge – eine schnelle Änderung der Mediumtemperatur bewirkt also eine sehr langsame Veränderung der Oberflächentemperatur der Decke. Dennoch bewirkt ein Anstieg der Raumlast und damit der Raumtemperatur ohne Verzögerung eine Leistungsabgabe der Decke und somit eine sofortige Reaktion ohne großen Regelungsaufwand. Hierbei wird mit reiner Außenluft gearbeitet, die an bis zu 6.000 h/a bereits mit Temperaturen unter 12 °C kühl und kostenlos zur Verfügung steht – ein klarer Vorteil gegenüber einer Bauteilaktivierung mit Wasser als Energieträger. Zusätzlich kann die Zuluft die Innenräume gleichzeitig mit Frischluft versorgen und im Sommer die Raumluftfeuchte reduzieren.

In die Betondecken integriert

Bei der Sebastian-Lotzer-Realschule verlegte man vorkonfektionierte Kühlrohre mit dem Durchmesser 80 mm aus gut wärmeleitendem Aluminium in der statisch neutralen Zone der Betondecke zwischen oberer und unterer Bewehrung. Mit Hilfe von Abstandshaltern wurde die Lage fixiert und gegen Aufschwimmen gesichert. Das anschließende Vergießen der Decken bettete die Kühlrohre in den Beton ein.

Die innere Oberfläche der Rohre ist berippt, was den Wärmeübergang verbessert und für eine Wärmeübertragungsfläche von ca. 1 m2/m sorgt. Bevor die Zuluft den Räumen zugeführt wird, durchströmt sie die Kühlrohre innerhalb der Betondecken. Dabei erwärmt sich die kalte Zuluft auf annähernd Deckentemperatur. Die dafür notwendige Wärme wird der Decke entzogen und kühlt somit gleichzeitig das Bauteil.

Im Anschluss wird die Zuluft über Deckendralldurchlässe (hier: GLS 230 von Kiefer) den Räumen zugeführt und deckt den hygienischen Frischluftbedarf. Das sorgt für ein behagliches Raumklima: Denn das System erreicht eine Austrittstemperatur von rund 21 °C komplett ohne Nacherhitzer und ohne Primärenergie. Der Prozess erfolgt selbstregulierend und fast schwankungsfrei mit hoher Stabilität der Temperatur aufgrund der großen Speicherkapazität der Betondecken. Concretcool ist somit eine Symbiose zwischen Bauteiltemperierung und Zuluftanlage.

Die maximale Ausnutzung der freien Kühlung sorgt für Behaglichkeit bei hoher Energieeffizienz. Der Wärmerückgewinn der RLT-Anlage wird durch die Ergänzung mit dem System Concretcool auf über 95 % gesteigert. Damit werden alle Anforderungen nach dem EEWärmeG übertroffen. Zusammen mit dem Potenzial der freien Kühlung führt dies zu unerreicht günstigen Betriebskosten und hoher Energieeinsparung.

Insgesamt werden alle 16 Klassen- und drei Ausweichräume, die Fachlehrsäle Chemie, Biologie und Informatik, die Werk-, Textil- und Zeichenräume sowie die Lehrerzimmer, das Direktorium und das Sekretariat auf diese Weise kombiniert mit Frischluft versorgt und gekühlt. Die Luftaufbereitung für diese Bereiche erfolgt über vier Lüftungsanlagen, die eine hocheffiziente Wärme- und Feuchterückgewinnung besitzen. Die Außenluft wird über einen Wärmetauscher, der vom Grundwasser versorgt wird, im Winter erhitzt und im Sommer passiv gekühlt. In den Übergangszeiten reicht die freie Kühlung, um die Zuluft (in Verbindung mit der Wärmerückgewinnung) auf die entsprechende benötigte Temperatur aufzuheizen bzw. abzukühlen.

Ästhetik wird nicht beeinträchtigt

Auch optisch bietet das System einen Vorteil: Die Luftleitung ist im Raum unsichtbar, lediglich die Luftdurchlässe werden in der Betondecke oder in der Flurtrennwand unauffällig integriert. Zusätzliche Lüftungsrohre unter der Decke sind somit nicht erforderlich.

In diesem Fall sahen die Architekten eine durchgehend glatte Betondecke vor. Dafür wurden die Ausblaselemente geändert. Die Auslasskästen wurden mit Abstand zur Deckenunterkante in die Decke eingegossen sowie das Ausblaselement rückversetzt und oberhalb der Deckenunterkante montiert. Zusätzlich verkleidete man es mit einem deckenbündig angebrachten Lochblech.

Um bei dieser Anordnung weiterhin die strömungstechnischen Eigenschaften zu gewährleisten, wurde im Vorfeld im Entwicklungslabor von Kiefer eigens für dieses Projekt ein 1:1 Versuchsaufbau durchgeführt. Dadurch konnten über entsprechende Anpassungen in der Anordnung der einzelnen Elemente eine einwandfreie Funktion und ein behagliches Einbringen der Zuluft erzielt werden.

Individuelle Temperaturregelung

Die Raumlufttemperatur kann in jedem der Schulräume individuell über die Gebäudeautomation geregelt werden – die vorgewählte Starttemperatur beträgt bei Betriebsbeginn am Morgen 22 °C. Dabei werden die angeschlossenen Räume nur während der Belegungszeiten mit Zuluft versorgt.

Im Heizfall stellt die Heizung ebenfalls spätestens zu Betriebsbeginn die gewünschte Raumtemperatur durch automatisches Aufheizen ein. Dabei sind Heizungs- und Lüftungsregelung voneinander entkoppelt. Grundsätzlich unterscheidet man zwei Betriebszustände bei der Zuluftversorgung: Nachtbetrieb und Tagbetrieb.

Der Nachtbetrieb sorgt dafür, dass die Deckentemperatur zum Betriebsbeginn bei den voreingestellten 22 °C liegt. Hierfür hat die Decke im Laufe des vorangegangenen Tages Wärme eingespeichert. Der Sollwert kann über die Parametereingabe gewählt werden. Dieser Betrieb ist nur dann erforderlich, wenn die Deckentemperatur vom eingestellten Sollwert abweicht.

Als Messgröße der Deckentemperatur dienen die an den verschiedenen Deckenauslässen montierten Referenztemperaturfühler. Da direkt am Deckenauslass gemessen wird, entspricht die Temperaturerfassung annähernd der Deckentemperatur. Für das Ermitteln der Deckentemperatur schaltet sich die Lüftungsanlage einmal in jeder Nacht für ca. 10 min ein. Sollte die Deckentemperatur vom geforderten Startsollwert bei Betriebsbeginn abweichen, bleibt die Lüftungsanlage so lange eingeschaltet, bis dieser erreicht ist. Dadurch wird das Kühlpotenzial der kühlen Außenluft in der Nacht maximal genutzt und der Energieverbrauch weiter minimiert.

Der zweite Betriebszustand – der Tagbetrieb – setzt ebenfalls eine Anfangs-Deckentemperatur von rund 22 °C voraus. Im Rahmen des beschriebenen Nachtbetriebs wird dieser Zustand gewährleistet. Über die Ablufttemperatur wird eine gemittelte Raumtemperatur über die gesamte Zone erfasst. Mittels einer Führungsfolgeregelung wird die Temperatur der in die Decke eintretenden Zuluft geregelt, also gleitende Zulufttemperaturregelung in Abhängigkeit der Raum- bzw. Ablufttemperatur. Während der Nutzung der Räume befindet sich das System (durch die inneren Lasten) überwiegend im Kühlbetrieb.

Bautafel

Objekt: Sebastian-Lotzer-Realschule, Memmingen

Architekten: Arbeitsgemeinschaft MPRDO Mauz Pektor Architekten, München/Herle + Herrle Architekten Neuburg/Donau

Energiekonzept: Fraunhofer Institut für Bauphysik IBP, Stuttgart

HLS-Planung: Güttinger Ingenieure, Kempten

Energieeffizienz: KfW 55 nach EnEV

Wärme/Kälte: Grundwasser, 2 Gasabsorptions-Wärmepumpen mit je 40 kW, Gas-Brennwertkessel zur Spitzenlastabdeckung (raumluftunabhängig)

Lüftungsanlage: 5 Lüftungsanlagen mit Wärme- und Feuchterückgewinnung

RLT-System: Concretcool – Kiefer Luft- und Klimatechnik, Stuttgart

Bruttogeschossfläche: 7.717 m²

Bruttorauminhalt:28.793 m³

Jörg Kranich

Jörg Kranich
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Frische Luft in der Schule
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