Fossilfreie Raumklimatisierung für ein besonderes Gebäude
Der Bauingenieur und Unternehmer Ulrich Müther (1934–2007) war ein Meister seines Fachs. Auch Jahrzehnte nach ihrer Entstehung werden seine Bauwerke bestaunt und bewundert ob ihrer Leichtigkeit und technischen Raffinesse. Die Stadthalle in Neubrandenburg, der Warnemünder Teepott oder das Planetarium in Wolfsburg sind nur die bekanntesten Werke des auch international tätigen Baumeisters.
Müthers Genialität und sein gestalterischer und bautechnischer Mut manifestiert sich vor allem in der Dachkonstruktion seiner Bauten. So genannte Hyparschalen aus Stahlbeton spannen sich stützenfrei über dutzende Meter, elegant geschwungen und nur wenige Zentimeter stark.
Als erster der mehr als 70 Schalenbauten Müthers überhaupt entstand 1966 ein Pavillon für die Ostseemesse in Rostock-Schutow. Mit der Messe wollte die DDR-Führung die Leistungsfähigkeit der sozialistischen Wirtschaft demonstrieren und Aufträge aus den Nachbarländern entlang der Ostsee generieren. Für den Bereich Bauwesen und die Mineralöl AG der DDR errichtete Müther in nur 160 Tagen einen rundum verglasten zweiteiligen Pavillon mit einer Fläche von insgesamt 800 m² mit einer Raumhöhe von 3 bis ca. 8 m.

Kaum beheizbar, große raumklimatische Probleme
Jahrzehnte später steht es um das stolze Bauwerk nicht gut. Das ursprünglich unbeheizte Bauwerk wurde über Jahre falsch temperiert und nicht fachgerecht belüftet. Die Folge sind große Schäden, hervorgerufen durch Tauwasser, u. a. an den Stahlstützen der Glasfassade und am Sockel aus gebrannten Mauerziegeln. Dass das Gebäude mit seiner nur 7 cm dünnen Betonschale überhaupt noch zwischen Baumärkten und Discountern auf dem ehemaligen Messegelände steht, ist dem Zufall und dem beherzten Eingreifen der Denkmalbehörde zu verdanken. Zuvor als Autohaus genutzt, steht es Anfang der 2020er Jahre seit zehn Jahren leer, auch wegen der enormen Heizkosten. Ein privater Investor kauft das Gebäude und findet mit dem TGA-Profi Hans-Christian Berndt, Geschäftsführer der Helmut Lehner GmbH in Altenhagen, und dem Bauingenieur und Sanierungs- und Denkmalschutz-Spezialisten Carsten Großmann, zertifizierter Sachverständiger für hygrothermische Bauphysik aus Bad Doberan, zwei Experten, die seine Begeisterung für schwierige Aufgaben und die Lösung eigentlich unlösbarer Herausforderungen teilen.
Die denkmalgerechte Sanierung der Gebäudehülle umfasst alle Bereiche: Die Glasfassade erhält eine Zweischeiben-Wärmeschutzverglasung in den ertüchtigten Stahlprofilen. Das superschlanke Dach wird mit Zustimmung des Denkmalamtes so gedämmt, dass an den Rändern nur 7 cm und in der Mitte bis zu 14 cm PU-Dämmstoff aufgebracht werden, um die schlanke Ansicht der Dachschale beizubehalten.
Wärmepumpen und Erdkollektoren als Gamechanger
Um die thermische Speichermasse zu vergrößern, wird ein überdimensionierter Heizestrich mit einer Fußbodenheizung eingebaut. „Angesichts der mittleren Raumhöhe von fünf Metern war die Idee, nur die ersten zweieinhalb Meter Raumhöhe so zu temperieren, dass der Aufenthalt dort angenehm ist“, berichtet Carsten Großmann. Unter dem Dach sollte die Temperatur deutlich niedriger sein, um Kondensationsschäden zu vermeiden. Etwa einen halben Meter unter der Decke installierte Ansaugöffnungen der Lüftungsanlage führen die aufsteigende warme Luft ab und leiten sie zur Wärmerückgewinnung über die Kreuzstromwärmetauscher der vier Lüftungsgeräte. Die Einteilung in Nutzungszonen war ein Wagnis. „Wir sind das Risiko eingegangen, dass unsere Annahmen korrekt sind. Genau wissen oder berechnen konnte man das nicht“, scherzt TGA-Experte Berndt.
Die Wärmepumpenanlage mit zwei als Kaskade geschalteten Sole/Wasser-Wärmepumpen Viessmann Vitocal G 350 G mit insgesamt 84 kW Gesamtwärmeleistung ist so berechnet, dass Vorlauftemperaturen von nur 25–28 °C eine Laufzeit von etwa 2.000 Jahresbetriebsstunden ergeben. Als Wärmequelle dienen Erdkollektoren des Herstellers GeoCollect. Dank des besonderen Designs, der hohen Entzugsleistung sowie der Verlegung auf zwei Ebenen (erste Lage Unterkante 1,70 m, zweite Lage 2,70 m unter der Erdoberfläche) reicht eine Fläche von rund 570 m² neben dem Gebäude aus, um mit jeweils 46 Strängen à 10 Kollektoren insgesamt 92 kW Entzugsleistung zu generieren.

Die Anlage einer Grünfläche über den Kollektoren war unproblematisch, da Hersteller GeoCollect eine Bepflanzung mit einer Wurzeltiefe von 80 cm zulässt. „Beim Aushub für die Anlage haben wir festgestellt, dass das Erdreich kontinuierlich von Seitenwasser durchströmt wird und die Kollektoren immer im feuchten Bereich liegen, was die Effizienz nochmal steigert“, berichtet Dipl.-Ing. Hans-Christian Berndt.

Die komplette Anlagen- und Leittechnik, darunter ein 950 l Pufferspeicher, ist in einem vorgefertigten Ground-Cube untergebracht, der nahezu unsichtbar neben dem nicht unterkellerten Gebäude in der Erde steht. Mit einer Jahresarbeitszahl von mindestens 5,5 liegt die Effizienz der Anlage im oberen Bereich der aktuell üblichen Skala. Auch die Berechnung des Energiekennwerts zeigt den Erfolg der eigentlich unmöglichen Sanierung: Mit 103 kWh/m2a unterschreitet der Wärmebedarf den Ursprungszustand um mehr als ein Drittel. Er liegt beinahe auf dem Level eines KfW-Effizienzhauses 40 EE und damit deutlich unter Neubauniveau. Das erste Betriebsjahr bestätigte mit einem Stromverbrauch von 20.000 kWh/a für die 800 m² Verkaufsfläche die Berechnungen.
Effiziente Erdkollektoren
Die verwendeten Erdkollektoren von GeoCollect haben eine hohe, flächenbezogene Entzugsleistung. Mit bis zu 150 W/m² je nach Bodenbeschaffenheit und Region gelingen kompakte Anlagen im Neubau wie im Bestand – vom Einzelobjekt bis in den Megawattbereich für Quartiersversorgungen und Kalte Nahwärmenetze. Dadurch ergibt sich bei den Kollektoren von GeoCollect eine hohe Flächeneffizienz, standardmäßig mit dem Faktor 1 zu 3: Ein Quadratmeter Grundstücksfläche heizt drei Quadratmeter Gebäude. Bei Verlegung auf zwei Ebenen steigt der Faktor sogar auf 1 zu 5. Quellenmanagement-Hydraulikmodule können beliebige andere (erneuerbare) Wärmequellen in Verbindung mit GeoCollect zu einem regenerativen Gesamtsystem verbinden.
Ein über Jahre nachlassender Ertrag, wie oft bei Erdsonden, ist nicht vorhanden, der Erdboden in 1,50 m Tiefe wird vollständig durch Sonneneinstrahlung und Niederschläge regeneriert. Der verwendete PP-Kunststoff ist recyclingfähig und auf eine Lebensdauer von 100 Jahren zertifiziert. Vor Ort werden je 10 Kollektoren zu einem Strang mit einer Entzugsleistung von jeweils 1 kW verschweißt und einzeln oder per Tichelmann-Verschaltung an Verteilerschächte angeschlossen.
Im Sommer ist natural cooling ohne Betrieb der Wärmepumpe möglich. Genehmigungen und eine Versicherung wie bei Bohrungen sind nicht erforderlich, möglich ist die Installation auch in Trinkwasserschutzgebieten der Klasse 3a/b. Der Hersteller gibt an, dass GeoCollect-Anlagen durchschnittlich um bis zu 15 % günstigere Investitionskosten haben, als Erdwärmebohrungen. Nach Installationshandbuch installierte Anlagen erhalten eine Garantie von 10 Jahren.
Natural Cooling und Nachtlüftung halten Sommerhitze im Rahmen
Auch in Rostock immer wichtiger ist eine Berechnung des Sommerfalls an Hitzetagen mit über 30 °C Außentemperatur. Bei einem Gebäude, das nur über eine sehr geringe thermische Masse und eine durchgehend verglaste Fassade verfügt, ist sie unerlässlich. Die neuen Zweischeiben-Verglasungen haben einen G-Wert von nur 0,3 (Ug-Wert 1,0 W/m2K), so dass die Wärmeeinstrahlung und die thermische Last relativ gering bleiben. An solchen Tagen entzieht die Anlage mittels eines gesonderten Wärmetauschers dem Verkaufsraum über die Fußbodenheizung Wärme. Sie wird über die Erdkollektoren in das Erdreich abgegeben, das während der Heizperiode abkühlte. Bei diesem Prozess, dem so genannten Natural Cooling, sind die Wärmepumpen außer Betrieb. Die Sommerwärme regeneriert damit das Erdreich für die nächste Heizsaison. Zusätzlich führt die Lüftungsanlage nachts verstärkt warme Luft ins Freie, so dass der nächste Tag regelmäßig mit angenehmen Temperaturen beginnt.

Sowohl energetisch wie baulich ist die denkmalgerechte Sanierung gelungen. Der ganzjährige Betrieb ist raumklimatisch und von den Energiekosten her unproblematisch. Dazu wurde das ikonische Gebäude kaum in seiner Anmutung verändert, die wesentlichen Gestaltungsmerkmale wie die geschwungenen, stützenfreien Dächer und die Glasfassade blieben in ihrer Grundkonstruktion erhalten. „Das war nur möglich im vertrauensvollen Zusammenwirken von Bauherr, Architekt und TGA-Planer und indem wir uns auf unsere Erfahrung verlassen konnten“, sagt Hans-Christian Berndt. „Geht nicht, gibt′s nicht war unsere Devise, auch wenn wir uns in vielen Dingen auf keine Norm stützen konnten“. Damit steht die Ingenieursleistung und der Mut zu unkonventionellen Lösungen bei der Reaktivierung direkt in der Tradition des Baumeisters und Ingenieurs Ulrich Müther, der für seine visionären Bauwerke oft genug die Grenzen des Gängigen verlassen hat.
Volker Lehmkuhl

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