Klimawandelanpassung

Retention auf begrünten Flachdächern berechnen

Vermehrte Starkregenereignisse in fataler Kombination mit fortschreitender Flächenversiegelung bringen die Kanalisationen zunehmend an Grenzen. Immer mehr Kommunen reagieren mit Einleitbeschränkungen. Ein offizielles, normiertes Berechnungsverfahren lässt noch auf sich warten. Vor dem Hintergrund der täglichen Planungspraxis hat Entwässerungsspezialist Sita ein eigenes Berechnungsverfahren entwickelt, das die Zeit bis zu DIN-basierten Regelungen überbrücken hilft.

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Regenrückhaltung und Entwässerung im Schneckentempo, dank Dachbegrünung und Retention Bild: Bauder
Regenrückhaltung und Entwässerung im Schneckentempo, dank Dachbegrünung und Retention Bild: Bauder

Der Trend zur Regenrückhaltung auf dem Dach gewinnt derzeit endlich an Fahrt. Neben der verzögerten Einleitung der Regenspenden in überlastete Kanalisationen bietet dieses Verfahren eine Vielzahl von positiven Nebeneffekten, die sich gerade in Großstädten auszahlen: Begrünte Dächer nehmen CO2 auf, vermindern die Feinstaubbildung und senken die Lufttemperatur. Ein Teil des Wassers, das sonst in die Kanalisation fließen würde, verdunstet.

2 - Retention hat viele gute Eigenschaften Bild: Sita

Auf das Gleichgewicht kommt es an

Generelles Ziel ist es, Regenwasser zurückzuhalten und Abflussmengen zu mindern. Aber dabei muss ein Gleichgewicht von Rückhaltung und Abfluss entstehen. Falsch berechnete Rückhaltung lässt Dachbegrünungen versumpfen und gefährdet die Statik des Gebäudes bis Schadenfall.

4 - Stauendes Wasser: Ein unerwünschter Effekt, der die Statik sowie die Abdichtung belastet und die Vermoosung begünstigt. Bild: Sita

Bei der Erstellung eines Berechnungsverfahrens stellte sich auch die Frage: „Müssen wir überhaupt entwässern, wenn wir Regen zurückhalten wollen? Könnte es sinnvoll sein, Wasser zu 100% auf dem flachen Dach zurückzuhalten und darauf zu hoffen, dass es von der Begrünung aufgenommen wird und der Rest einfach verdunstet?“

Regenrückhaltung auf dem Dach zu 100 %?

Diese Hypothese wurde bei der Analyse der statistischen Regendaten-/mengen am Beispiel Steinfurt, näherer Betrachtung unterzogen, aber schließlich verworfen. In den Sommermonaten könnte dieses Rechenexempel noch funktionieren, aber in den Herbst- Wintermonaten nicht mehr (Tabelle 1).

Bild: Sita

Die Monatssumme der Niederschlagshöhe in mm, die in diesem Zeitraum verzeichnet wurde, würde dazu führen, dass die Dächer „überlaufen“ und versumpfen. Mit zunehmender Wasserlast verstärken sich die Auswirkungen auf die Statik und die Gefährdung der Dachkonstruktion, die im Extremfall zum Einsturz führen kann. Zudem steigen auch die Anforderungen an den Dachaufbau und an die Abdichtung, weil gegen drückendes Wasser abgedichtet werden muss. Zudem müssen die Retentionsboxen höher bemessen werden und nicht zuletzt steigen auch Baukosten. Aus diesen Gründen ist eine hundertprozentige Regenrückhaltung auf dem Dach nicht sinnvoll.

Retentionsdach ist nicht gleich Retentionsdach

Das Ziel bei der Bemessung von Retentionsdächern ist, die Anstauhöhen und das Speichervolumen zu ermitteln, das auf dem flachen Dach zurückgehalten werden soll.

Die Wasserspeicher- und Regenrückhaltefähigkeit hängt von vielen Faktoren ab. Einer der wichtigsten ist das Porenvolumen. Eine begrünte speicherfähige Dachfläche hat ein anderes Porenvolumen, als eine bekieste. Daraus lassen sich die Druckhöhen ermitteln, um die Retentionselemente und auch die Dachgullys festlegen zu können. Letztendlich ist jedes Gründach in gewisser Weise ein Retentionsdach, aber ein Retentionsdach hält wesentlich mehr Wasser zurück.

3 - Entwässerung in Zeitlupe: Regenrückhaltung auf dem Dach Bild: Sita

Bemessung des Rückhaltevolumens von Retentionsdächern am Beispiel Steinfurt:

  • Standort: Steinfurt, Stegerwaldstraße 39
  • Dachfläche: ADges = 1.000 m²
  • umlaufender Kiesstreifen: AKies = 136 m²
  • mit Porenvolumen: Kies = 30 %
  • Lichtkuppeln und Aufbauten: ALK = 100 m²
  • Retentionselement mit Hohlraumvolumen von 95 %
  • Drosselabfluss QDR = 1,0 l/s.

Porenvolumen und Speichervolumen

Am Beispiel des Standortes Steinfurt lässt sich gut zeigen, welche Daten relevant sind. Wir gehen hier von einer Dachfläche mit 1.000 m² aus, die über einen umlaufenden Kiesstreifen verfügt. Kies hat ein Porenvolumen von ca. 30 %. Wichtig bei der Bemessung sind überdies Lichtkuppeln und Aufbauten, die bei der späteren Berechnung in Abzug gebracht werden müssen, da sie keine Rückhalteräume darstellen. Im aktuellen Beispiel wurden die Retentionselemente von BauderGreen RWR 100 eingeplant, die über ein Hohlraumvolumen von 95 % verfügen. Zu berücksichtigen ist weiterhin der Drosselabfluss, also die Einleitbeschränkung der Kommune, der hier bei QRD 1,0 l/s liegt. QRD meint den Drosselabfluss eines Retentionsdaches.

5 - Bei der Bemessung einkalkulieren: Lichtkuppeln und Dachaufbauten reduzieren die speicherfähigen Flächen. Bild: Bauder

Das Speichervolumen ergibt sich aus der Subtraktion vom größten anzunehmenden Volumen aus den Regenereignissen zwischen 5 min und sieben Tagen, abzüglich des Drosselabflusses.

Bemessung Speichervolumen:

  • VDR = ADges· rD,100· 1/10.000 · fZ· 0,06 – D · fZ· QDR· 0,06
  • D = 5 min bis 7 Tage
  • T = 100.

KOSTRA DWD als Basis

Basis aller Berechnungen ist KOSTRA DWD, Version 2020. In Tabelle 2 lassen sich die Regenereignisse der Dauerstufe D, also von 5 min bis zu sieben Tagen ablesen. Dort sehen wir z. B. ein fünfminütiges Jahrhundertregenereignis, das innerhalb von 5 min z. B. 780 l/s · ha Regen bringt.

Bild: Sita

Ein siebentägiges Starkregenereignis geht mit 2,6 l/s · ha in die Berechnung ein. Für jede Dauerstufe wird das Speichervolumen ermittelt. Der Extremwert markiert das größte anzunehmende Regenereignis.

Der Extrempunkt unseres Beispiels zeigt sich bei 240 min (Tabelle 3 mit Bild 6). Das ist das größte zu erwartende Regenereignis mit dem größten zurückzuhaltenden Speichervolumen, das hier bei einem Wert von 60,61 m3 liegt.

Bild: Sita
6 - Bei 240 min (siehe obenstehende Tabelle 3) ist das das größte zu erwartende Regenereignis mit dem größten zurückzuhaltenden Speichervolumen zu finden, das hier bei einem Wert von 60,61 m³ liegt. Bild: Sita

Speicherfähig oder nicht?

Ist das Speichervolumen errechnet, gilt es, die speicherfähigen Flächen zu ermitteln. Lichtkuppelflächen und Dachaufbauten, also alle nicht speicherfähigen Flächen, müssen abgezogen werden. In diesem Beispiel ergibt sich eine Rückhaltefläche von 900 m2. Weiterhin müssen alle bekiesten Flächen in Abzug gebracht werden, unter denen keine Retentionselemente verbaut sind. In diesem Fall hat das Dach eine Fläche von 764 m2 mit Retentionselementen.

Durchschnittliches Porenvolumen

  • p = ARE· pRE/ARetD + AKies· pKies/ARetD
  • p = 764 m² · 0,95/900 m² + 136 m² · 0,3/900 m²
  • p = 0,85.

Bei der Berechnung des Retentionsaufbaus kommt es jetzt auf das Porenvolumen an. Alle Berechnungen hängen vom Porenvolumen der Installation ab. In unserem Beispiel rechnen wir mit einem pRE (Porenvolumen der Retentionselemente) von 95 %. Dieser Wert kann aber herstellerabhängig anders ausfallen. Bei der Kiesumrandung, auch abhängig vom eingesetzten Baustoff, setzen wir das pKies mit 30 % an. Zusammengefasst heißt dies: Es ist zu berücksichtigen, dass unterschiedliche Materialien mit unterschiedlichen Speicherfähigkeiten zum Einsatz kommen. Daraus lassen sich dann die Druckhöhen ermitteln (Bild 7).

7 - Grafik zur Stauhöhe/Druckhöhe Dachablauf Bild: Sita

Stauhöhe/Druckhöhe Dachablauf:

  • hRetD = VDR/(ARetD· p∅)
  • hRetD = 60,61 m³/(900 m² · 0,85)
  • hRetD = 0,079 m = 79 mm.

Die 20 Meter-Regel

Bei der Wahl der passenden Dachabläufe ist die DIN 1986-100 Pkt. 14.2.6 zu berücksichtigen. Sie schreibt vor, dass der Abstand von Gully zu Gully nicht größer als 20 m sein soll. Daraus folgt, dass pro 400 m2 ein Dachablauf/Notablauf zu platzieren ist. Bei einer Fläche von 1.000 m2 müssen somit drei Gullys eingeplant werden. Bestückt wurde unser Beispiel mit der Drosseleinrichtung SitaRetention Fix.

In unserem Rechenbeispiel darf der Drosselabfluss max. 1,0 l/s betragen. Daraus ergibt sich, dass jeder Gully auf 0,33 l/s bei einer Stauhöhe/Wassersäule von 79 mm gedrosselt wird. Bei der Wahl des passenden Retentionsgullys helfen Tabellen und ein Berechnungsprogramm. Alternativ kann der Sita Berechnungsservice projektbegleitend konsultiert werden. Dieser Service ist kostenlos, erleichtert die Arbeit und bietet Rückendeckung bei der komplizierten Retentionsberechnung.

Bei der Notentwässerung verhält es sich ähnlich. Wir haben die Fläche, das Regenereignis und kommen zu dem Schluss, dass wieder drei Gullys erforderlich sind, hier allerdings mit einer Ablaufmenge von 1,6 l/s. Die Entwässerungsarbeit bei 11 mm Druckhöhe am Notablauf übernehmen hier drei SitaIndra Attikagullys mit Anstauring, die frei auf schadlos überflutbare Flächen entwässern. Einerlei ob mit Speier oder mit Fallrohr ausgestattet, wichtig ist immer, dass die Notentwässerung frei auf schadlos überflutbare Flächen führt. Aus den errechneten Druckhöhen lässt sich die maximale Stauhöhe auf dem Dach und damit auch die Statik ermitteln (Tabelle 4).

Bild: Sita

Resümee: Leicht gemacht

Vorgestellt wurde hier ein vereinfachtes Berechnungsverfahren, entwickelt von Sita. Man kann das Ganze natürlich auch mit den entsprechenden Simulationsprogrammen für die Berechnung von Speicherbauwerken simulieren, z. B. Kosim oder STORM.

Retention auf dem Flachdach ist noch eine recht junge Technik, auf die Forderungen der Zeit zu reagieren. Daher empfehlen wir, die Berechnungsservices der Hersteller nutzen. Sita z. B. liefert nicht nur die sichere Berechnung, sondern auch komplette Materiallisten und auf Wunsch Produktdaten im BIM-fähigen Format.

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Dipl.-Ing. Rainer Pieper

Dipl.-Ing. Rainer Pieper
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