„Die Wärmewende ist elementar, um die deutschen und internationalen Klimaziele zu erfüllen und unabhängig vom Import fossiler Energiequellen zu werden“, so formuliert es der Energieeffizienzverband für Wärme, Kälte und KWK e. V. (AGFW) in seinem Positionspapier zur Verbesserung der Abwärmenutzung. In den urbanen Räumen könne dies nur durch Dekarbonisierung und den Ausbau der Wärmenetze gelingen. Während zahlreiche erneuerbare Wärmepotenziale in den Städten durch Flächenkonkurrenzen begrenzt seien, stehe vielerorts mit den Abwärmequellen eine – häufig unterschätzte – rentable, klimaneutrale Wärmequelle zur Verfügung, so der AGFW.
Was ist Abwärme?
Die bestehenden Abwärmedefinitionen in Gesetzen und Verordnungen sind nach Meinung des AGFW-Verbandes inkonsistent und schließen ein oder mehrere für die Fernwärme relevante Teilgebiete aus. Für die Nutzung und Bewertung der Abwärmequellen, insbesondere im Hinblick auf ihr Dekarbonisierungspotenzial und die Vergleichbarkeit mit erneuerbaren Energiequellen sowie die Förderfähigkeit von Projekten ist eine einheitliche, rechtssichere und konsistente Definition unerlässlich. Dafür wird folgende Wortwahl vorgeschlagen: „Abwärme ist die Wärme, die in einem Prozess entsteht, dessen Hauptziel die Erzeugung eines Produktes oder die Erbringung einer Dienstleistung (inkl. Abfallentsorgung) oder einer Energieumwandlung ist, und die dabei als ungenutztes Nebenprodukt an die Umwelt abgeführt werden müsste.“
Dazu zählt:
Produktion (Raffinerien, Stahlverarbeitung, chemische Industrie)
Dienstleistung (Rechenzentren, Wäschereien, Kühlhäuser, (Ab-)Wasserwirtschaft)
Abfallentsorgung (thermische Abfallbehandlung, Schließung von innerbetrieblichen Stoffkreisläufen)
Energieumwandlung (Kondensationskraftwerke, Abgaswärme aus Verbrennungsprozessen)
Eine solche erschlossen im Bundesland Nordrhein-Westfalen die beiden Unternehmen Uniper Wärme GmbH und die Ruhr Oel GmbH – BP Gelsenkirchen, die seit 2017 zu 100 % zur BP Europa SE gehört. Ziel war und ist es, Abwärme aus der Erdölraffinerie im großen Stil für ein Fernwärmenetz zu nutzen.
Die Uniper Wärme GmbH besteht seit über 50 Jahren und ist ein regionales Fernwärmegeschäft mit derzeit etwa 14.500 Anschlussobjekten. Diese werden über eine Trasse mit insgesamt 735 km und einer Einspeisemenge von 1.600 GWh im Jahr mit Wärme versorgt.
Ein zentraler Einspeisepunkt ist das Kraftwerk Scholven der Uniper. „Wir haben ideale Standortbedingungen aufgrund der Nähe zueinander und auch zu unserem Fernwärmenetz“, formuliert es Lisa Winking von der Uniper Wärme GmbH. Das gemeinsame Ziel von Uniper und BP ist es, industrielle Wärme aus den Raffinerieanlagen von BP auszukoppeln, über eine Fernwärmetransportleitung an das Fernwärmenetz zu bringen und dort einzukoppeln. An insgesamt acht Quellen soll die Wärme ausgekoppelt werden, wodurch rund 54 MW Wärme für das Fernwärmenetz nutzbar gemacht werden. Da es sich um rein industrielle Abwärme handelt, können damit nach Kalkulationen von Uniper bis zu 60.000 t CO2 pro Jahr eingespart werden.
Das Gesamtsystem teilt sich auf in einen Primär- und einen Sekundärkreis. An der Schnittstelle findet die Übergabe der Abwärme von BP an das Netz der Uniper und des Kraftwerks Scholven statt.
Die Transportleitung verläuft überwiegend über öffentliche Bereiche, aber auch über Gelände der Ruhr Oel GmbH – BP Gelsenkirchen und über privates Gelände und letztlich über das des Kraftwerks Scholven. „Die Trassenführung war anspruchsvoll, da es sich um einen historischen Industriestandort handelt, wo viel Infrastruktur bereits im Boden liegt“, weiß Winking zu berichten.
„Zusätzlich zur Wärmetauscherstation zwischen Primär- und Sekundärkreis wird derzeit noch ein zentraler Kühler gebaut, der für die Regelung der Temperatur im Primärkreis erforderlich ist“, ergänzt Dr.-Ing. Eric Jennes, Projektleiter bei der Ruhr Oel. „Dieser Kühler wird auch zu Regelungszwecken benötigt, damit die Uniper eine gewisse Flexibilität bei der Wärmenutzung hat.“ Für BP hatte während der Bauphase die Stabilität der Produktion hohe Priorität, da Wärme ein Nebenprodukt der Raffinerieprozesse ist, so Eric Jennes.
Zu den Qualitätskriterien für die Materialqualität von Rohrleitungen und Wärmetauschern kommt noch die Herausforderung, die Wärmeauskopplung in den Produktionsprozess zu integrieren – vor allem, wenn die Wärmeabgabe witterungsbedingt schwankt. Das System, so die Vorgabe, muss auch dann funktionieren, wenn die Wärmeabgabe – aus welchen Gründen auch immer – auf Null fällt.
Wärmeauskopplung in der Raffinerie Scholven
Ein Raffinerieprodukt – beispielsweise aus dem Hydrocracker – kommt mit ca. 200 °C aus der Kolonne und muss, bevor es in den Tank gefüllt wird, auf 50 °C abgekühlt werden. Bisher wurde in Scholven das Produkt dafür durch einen Luftkühler geleitet, und die überschüssige Wärme wurde an die Umgebungsluft abgegeben. Nun wird der Produktstrom vor dem Luftkühler auf einen Wärmetauscher umgeleitet und anschließend wieder zurück auf den Luftkühler geleitet. Im Wärmetauscher wird die thermische Energie an das Heizwasser abgegeben, das über isolierte Fernwärmeleitungen der Uniper letztlich bis an die Übergabestationen und Heizungen bei den Endverbrauchern geleitet wird.
Gegenüber auf der Seite des Wärmeabnehmers sind die Herausforderungen ähnlich. Hier gilt es, die Wärme vernünftig im Verteilernetz zu integrieren, an das dann auch Abnehmer mit durchaus wechselnden Abnahmemengen angeschlossen sind.
„Wir müssen darauf achten, wie die Umschaltvorgänge in den Anlagen sind, und wie die Lastschwankungen der einzelnen Anlagen bei den Kunden aufgenommen werden“, so die Uniper-Managerin. Es müsse darauf geachtet werden, wie die Kundenanforderungen seien, und gleichzeitig dürfe der Primärkreis weder überhitzen noch auskühlen.
Viel Zeit, so bestätigen beide Partner, sei in die Vertragsausgestaltung investiert worden. Schließlich sei es um Fragen gegangen, wie es um die Lieferung der Wärme bestellt ist, wenn weniger davon anfalle. Man würde in solchen Fällen wohl kaum eine Raffinerie anschalten, heißt es bei der Ruhr Oel. Man habe sich letztlich auf Mindestangebotsmengen und Mindestabnahmemengen verständigt.
Uniper Wärme hat sich bereit erklärt, die initiale Investition in Höhe von 40 Mio. Euro zu übernehmen und wird nach der Fertigstellung auch der wirtschaftliche Eigentümer der Anlage sein. Der Wärmeliefervertrag läuft über 15 Jahre und beginnt mit dem Zeitpunkt, ab dem eine bestimmte Leistung ausgekoppelt wird. Nach dem ursprünglichen Geschäftsmodell wurde mit einer Wärmemenge von 240 GWh pro Jahr gerechnet, die ausgekoppelt werden soll; bei BP gibt man sich jedoch optimistisch, dass dies auch übertroffen werden könnte. Mit einer ausgekoppelten Wärmeleistung von 49 MW können dann rechnerisch etwa 30.000 Haushalte versorgt werden.
Die erste Inbetriebnahme war für das letzte Quartal 2023 geplant, doch der Termin verschiebt sich nach neuesten Informationen auf Anfang 2024. Die Ruhr Oel ging ursprünglich davon aus, dass zunächst eine Teilwärmeleistung von 35 MW erreicht werden kann. Inzwischen kalkuliert man mit anfangs rund 10 MW. „Diese Leistung erhöht sich dann sukzessive auf bis etwa 50 MW, wenn alle Einbindepunkte angeschlossen sind“, erklärt Jennes. Das dürfte vermutlich Ende 2025 der Fall sein.
Klimaschutzinstrumente-Szenario 2030 (KIS-2030) zur Erreichung der Klimaschutzziele 2030
Mit welchen Klimaschutzinstrumenten können die Sektor-Klimaziele des Bundes-Klimaschutzgesetzes im Jahr 2030 erreicht werden? Wie können die im Projektionsbericht 2021 identifizierten Lücken geschlossen werden? Das Szenario KIS-2030 wurde mit der instrumentenbasierten Modellierung, mit der auch der Projektionsbericht modelliert wird, modelliert und zeigt konkrete Handlungsmöglichkeiten auf.
Der Bericht ist beim Umweltbundesamt in der Reihe Climate Change (30/2023) erschienen und umfasst 462 Seiten. Er kann beim UBA als pdf-Dokument kostenfrei heruntergeladen werden: kurzelinks.de/6anw
Bei allen Diskussionen und technischen Herausforderungen haben zwei Dinge letztlich das Projekt ins Rollen gebracht: Einerseits gab es auch am Standort Scholven „Leute, die es wollten“, und andererseits trug die Förderzusage des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) entscheidend dazu bei, das Projekt im Rahmen des Programms „Energieeffizienz in der Wirtschaft“ mit 10 Mio. Euro zu fördern; der Förderzeitraum ist bis zum 31. Mai 2025 begrenzt.
Martin Boeckh
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