Abwärme aus Rechenzentren

Wärmenetz für 4.500 neue Wohnungen in Berlin Spandau

In Berlin Spandau entsteht ein neues Stadtquartier mit hohen Ansprüchen an Nachhaltigkeit. Die Wärme für Heizung und Warmwasser kommt künftig von zwei  Rechenzentren.

Dass die Abwärmenutzung nicht nur bei neuen, sondern auch bei einem 18 Jahre alten Rechenzentrum möglich und wirtschaftlich ist, zeigt ein neues Projekt in Berlin Spandau. Die Vertragsunterzeichnung wurde am 2. April vor Ort im NTT Data Rechenzentrum an der Berliner Nonnendammallee gefeiert.* Grafik: GASAG Solution Plus | Engie Deutschland
Dass die Abwärmenutzung nicht nur bei neuen, sondern auch bei einem 18 Jahre alten Rechenzentrum möglich und wirtschaftlich ist, zeigt ein neues Projekt in Berlin Spandau. Die Vertragsunterzeichnung wurde am 2. April vor Ort im NTT Data Rechenzentrum an der Berliner Nonnendammallee gefeiert.* Grafik: GASAG Solution Plus | Engie Deutschland

Abwärme aus Bestandsrechenzentrum ermöglicht klimaschonendes Wärmekonzept

Auf der Spandauer Insel Gartenfeld entsteht derzeit auf 31 ha ein neues Stadtquartier mit 4.500 Wohnungen, 200 Gewerbeeinheiten sowie Kitas und Schulen für mehr als 10.000 Menschen. Im 1. Bauabschnitt des Projektes Das Neue Gartenfeld" errichtet das landeseigene Wohnungsunternehmen Gewobag bis Mitte 2026 rd. 1.000 Wohnungen im KfW-55-Standard und ein Parkhaus mit ca. 1.000 Stellplätzen. Baubeginn war im Frühjahr 2024. Die BUWOG will auf der Industriebrache, auf der ehemals Kabel produziert wurden, Eigentumswohnungen errichten.

Das Quartier, dessen Fertigstellung für 2031 geplant ist, soll hohe Ansprüche an die Nachhaltigkeit erfüllen. Einen Beitrag dazu leistet das Wärmeversorgungskonzept: Das gesamte Quartier wird über ein Nahwärmenetz versorgt, das von der GASAG Solution Plus und Engie Deutschland mit Kosten im zweistelligen Millionenbereich geplant und gebaut sowie nach Fertigstellung betrieben wird. Wärmequelle sind die Kühlanlagen zweier in ca. 2 km Entfernung stehender Rechenzentren von Global Data Centers, einem Geschäftsbereich von NTT Data. Hier werden bis zu 8 MW Heizleistung für das Projekt bereitgestellt. Zur bedarfsgerechten Abwärmeauskopplung sind im Rechenzentrum zwei 4 MW und ein 3 MW Wärmetauscher installiert.

NTT Data übergibt die Wärme in eine noch zu errichtende Übergabezentrale am eigenen Standort. Die Energiezentrale des Quartierswerks auf dem Gartenfeld-Gelände bekommt sie über eine ca. 2 km lange Abwärmetrasse geliefert, die von Gasag Solutions und Engie verlegt wird. Die beiden gut gedämmten Rohre (jeweils DN 400 für Vor- und Rücklauf) werden die Nonnendammallee kreuzen und nordwärts durch den Spandauer Haselhorst verlaufen. Per Düker unter dem Hohenzollernkanal werden sie zum Quartier Gartenfeld geführt.

Vier Wärmepumpen heben die gelieferte Abwärme in der Energiezentrale auf die benötigte Temperatur. Die Leistung der in Kaskade geschalteten Wärmepumpen beträgt jeweils 2,2 - 2,6 MW. Aus 8 MW Abwärmeleistung entstehen so ca. 13 MW Heizleistung. Zur Absicherung temporärer Spitzenlasten im Winter wird zusätzlich ein Power-to-Heat-Kessel mit einer Leistung von 3,6 MW installiert. Dieser diene im Übrigen auch als Back-up-Lösung (obwohl man für die Rechenzentren mit weiteren Jahrzehnten Betriebsdauer rechne, so ein Sprecher von NTT Data.) Die Energiezentrale im Neubauquartier erhält zudem einen Warmwasserspeicher mit einem Fassungsvermögen von 300 m3. Des Weiteren befindet sich dort die Anlagentechnik wie Pumpen, Speicher, hydraulische Weichen und die Gebäudeleittechnik.

Mit dem Bau der Energiezentrale wird Ende 2025 begonnen; Ende 2026 soll die lokale Wärmeversorgung des Quartiers über die Abwärme aus den Rechenzentren beginnen können. 

Wärmequelle Kühlanlagen

Die beim Betrieb der IT-Systeme in den NTT Data Rechenzentren entstehende Abwärme hat jahreszeitenunabhängig eine Temperatur von 22 bis 30 °C. Sie liefert damit ein für Wärmepumpen optimales und verlässliches Wärmeniveau, um die für das Nahwärmenetz im Gartenfeld vorgesehene Vorlauftemperatur von 65 °C zu erzeugen. Für die Temperaturanhebung vor Ort sorgen vier leistungsstarke Wärmepumpen, für die Verteilung der Wärme für Raumheizung und Trinkwarmwasserbereitung ein rund 5 km langes Nahwärmenetz.

Wärmeauskopplung aus der Kältezentrale. Bild: NTT Data
Wärmeauskopplung aus der Kältezentrale. Bild: NTT Data

Die Rechenzentren erhalten derzeit den Strom für den Betrieb einschließlich der Server und Kältemaschinen (2x10 kV Anschlussleistung) aus dem Berliner Stromnetz, sagt NTT Data Pressesprecher Günther Eggers. Ab 2027 solle jedoch entsprechend den gesetzlichen Vorgaben nur noch Grünstrom bezogen werden, ggf. nachgewiesen durch entsprechende Zertifikate der Lieferanten. Damit steht auch die komplett CO2-freie Abwärme, die man sich für das Gartenfeld als Ziel gesetzt hat, zu 100 % auf erneuerbaren „Füßen".

Abwärmenutzung ist für NTT Data kein komplettes Neuland. Bereits heute wird ein Teil der Wärme im eigenen Haus genutzt, etwa für die Beheizung der Büroräume. Die Menge beträgt jedoch nicht einmal 5 % des künftigen Lieferumfangs für das Neubauquartier.

Startschuss für das Abwärme-Joint-Venture

Beim Empfang am 2. April 2025 feierten die Partner im Beisein des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Kai Wegner, sowie hochrangigen Vertreterinnen und Vertretern aus Politik und Wirtschaft die kürzlich erfolgte Vertragsunterzeichnung.

Gruppenfoto beim Empfang am 2. April in den NTT Data Rechenzentren in Berlin Spandau.
V.l.n.r.: Günther Eggers, Director Public, Global Data Centers EMEA, Konstantin Hartmann, Managing Director EMEA bei Global Data Centers, Kai Wegner, Regierender Bürgermeister von Berlin, Niklas Wiegand, Geschäftsführer Engie Deutschland, Leif Christian Cropp, Managing Director GASAG Solution Plus. Bild: NTT Data

Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) betont die Vorbildfunktion der Abwärmenutzung aus den Spandauer Bestandsrechenzentren: „Wir müssen Berlin für die nächsten Generationen klimagerecht, resilient und zukunftssicher aufstellen. Daran arbeitet der Berliner Senat mit seinen Partnern aus der Wirtschaft wie der Gasag schon heute mit vollem Einsatz und innovativen Konzepten. „Das Neue Gartenfeld” ist ein Vorzeigeprojekt – und ein gelungenes Beispiel dafür, wie die Wärmewende gelingen kann: mit einer Energieversorgung, die verschiedene lokale Energiequellen einbindet“, so Wegner.  

In Berlin ebenso wie im Bundesland Brandenburg seien eine Reihe weiterer Rechenzentren geplant. Die Infrastruktur für deren klimaneutrale Stromversorgung könne errmöglicherweise aus dem Sondervermögen gesichert werden, vorausgesetzt, die Koalitionspartner einigen sich dahingehend und verabschieden künftig die nötigen Bundesgesetze.

Abwärmegewinnung im Bestandsrechenzentrum

Die NTT Data Rechenzentren wurden 2007 auf einem ehemaligen Schwermaschinenbaustandort errichtet.

„Bei der Planung neuer Rechenzentren wird die Nutzung der Abwärme in der Regel bereits berücksichtigt. Lösungen für Bestandsrechenzentren gibt es jedoch nur selten", sagt Konstantin Hartmann, Managing Director EMEA, bei Global Data Centers. „Wir haben mit allen Beteiligten nach den technisch und wirtschaftlich am besten passenden Lösungen gesucht und nun auch vereinbart. Gemeinsam mit unseren Projektpartnern realisieren wir das derzeit vermutlich größte Projekt zur Abwärmenutzung aus Bestandsrechenzentrumen. Wir zeigen damit, dass die CO2-freie Abwärme mit einem Temperaturniveau von 20 bis 30 Grad Celsius aus bestehenden Rechenzentren nachhaltig und effizient für ein großes Quartier genutzt werden kann.“ 

„Durch die Nutzung der thermischen Energie aus dem NTT DATA Rechenzentrum sparen wir jährlich rund 6.000 t CO2 ein und versorgen das Quartier autark mit Wärme“, sagt Niklas Wiegand, Geschäftsführer Engie Deutschland.

Matthias Trunk, Gasag-Vertriebsvorstand, fügt hinzu: „Die konstruktive Zusammenarbeit aller Beteiligten zeichnet das technisch anspruchsvolle Projekt aus. Die Partnerfähigkeit ist in diesem Projekt eine entscheidende Erfolgskomponente. Zudem bringen wir gerne unsere Erfahrungen mit der Abwärmenutzung aus Rechenzentren mit in diese innovative und zukunftsorientierte Lösung ein. Dieses große Quartiersprojekt wird einmal mehr zur Berliner Wärmewende beitragen.“ (Sc)

* Gemäß §16 Energieeffizienzgesetz für Rechenzentren müssen die betreffenden Unternehmen die beim Betrieb entstehende Abwärme nach dem Stand der Technik vermeiden bzw. reduzieren, soweit dies möglich und zumutbar ist. Die unvermeidbare Abwärme muss, ebenfalls soweit möglich und zumutbar, wiederverwendet werden. Rechenzentren, die ab 2026 in Betrieb gehen, müssen eine Energieverbrauchseffektivität von unter 1,2 im Jahresdurchschnitt nachweisen. Um diesen Grenzwert einzuhalten, muss auch das Kühlsystem unter die Lupe genommen und entsprechend ausgelegt werden.

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