Deutschland diskutiert über den besten Weg der Wärmeversorgung. Auch in Ländern wie Frankreich, Belgien, Dänemark, Österreich und Norwegen steht das Aus für neue Öl- und Gasheizungen auf der politischen Tagesordnung.
Eine Reihe von Kommunen setzen Kurs Richtung Klimaneutralität, ohne Bürgerinnen und Bürger zu überfordern. So zeigt etwa das Städtchen Steinheim an der Murr bei Stuttgart, wie es geht: Um von den alten Öl- und Gas-Heizungen auf Wärmepumpen und Nahwärme umzustellen, unterstützt der Ort zunächst die Hausbesitzer:innen mit einer Energieberatung, um dann ein Nahwärmenetz mit niedrigem Temperaturniveau aufzubauen.
„Der Ausbau der Niedertemperatur-Wärme wie in Steinheim ist der richtige erste Schritt, um die Wärmewende in den Kommunen umzusetzen“, erklärt Martin Pehnt, Studienleiter und Geschäftsführer des ifeu.
Die Kombination von Temperaturabsenkung in einzelnen Gebäuden und dem folgenden Ausbau der Fernwärmeversorgung, die auch von großen Wärmepumpen gespeist wird, sei in Städten und Gemeinden ein neuer Weg, die Welt der Öl- und Gas-gestützten Heizungen zu verlassen.
Cooler heizen: Runter auf 55 Grad
Üblicherweise arbeiten ältere Heizsysteme in Europa mit Vorlauftemperaturen von 70 Grad und mehr. Bei Niedertemperatursysteme hingegen arbeiten auch an den kältesten Tagen des Jahres mit weniger als 55 Grad. Oftreicht es, zu kleine Heizkörper gezielt auszutauschen. Auch ein hydraulischer Abgleich des Heizkreises, die Dämmung von Teilen der Gebäudehülle oder der Austausch von alten Fenstern
und Türen helfen, die Vorlauftemperatur zu senken.
„Das niedrige Temperaturniveau macht den Einsatz von Wärmepumpen, Solarkollektoren und Fernwärme attraktiver und kostengünstiger“, sagt Pehnt. Ist der Umstieg auf niedrige Vorlauftemperaturen in den Häusern erst geschafft, wird auch der Betrieb von Nahwärmenetzen deutlich günstiger: Niedertemperatur-
Netze verlieren weniger Wärme und sparen so direkt Energiekosten ein.
Viertel in Steinheim als Vorbild
„Es ist wegen der dort vorherrschenden Öl- und Gaskessel und seiner relativ dünnen Bebauung eigentlich nicht für den Ausbau der Fernwärme prädestiniert“, sagt Pehnt. Die beratende Energieagentur Kreis Ludwigsburg hatte aber früh die Idee, eine kostengünstige und weitgehend auf Erneuerbaren aufbauende Versorgung mit Fernwärme anzubieten – das kam gut an. Denn gerade die Erfahrungen mit den enormen Energiepreissteigerungen bei Gas infolge des Ukraine-Krieges haben die Vorteile der Erneuerbaren vielen Menschen klar vor Augen geführt. Und das Niedertemperatur-Fernwärmenetz entlastet die Bürgerinnen und Bürger von den Kosten und dem Aufwand, ihre Gebäude individuell umzurüsten.
Erst beraten, dann Fernwärme ausbauen
Damit aber auch alle angeschlossenen Gebäude niedertemperaturfähig sind, werden zunächst Energieberatungen und Sanierungsfahrpläne erstellt. Dazu wird auch eine raumweise Heizlastberechnung erstellt. Bei Bedarf können die Besitzer:innen in den kommenden Jahren die Heizflächen vergrößern oder die Gebäudehülle besser isolieren. Dabei kann es ausreichen zu prüfen, welche Räume oft genutzt werden und ob die Heizkörper dort ausreichen, den Raum zu beheizen.
Weil nicht alle Gebäude vom Start weg bereit für kühleres Heizen sind, wird die Nahwärme zunächst mit 64 Grad betrieben und erst um 2030 herum auf 58 °C gesenkt. Der Erfolg: Im Schnitt sinken die Wärmeverluste und damit die Energiekosten im Netz gegenüber 90-°C-Systemen um 30%. Ebenfalls wichtig für den Erfolg ist eine professionelle Planung und eine städtische Gesellschaft als Betreiber des Fernwärmenetzes, die nicht auf Gewinnmaximierung setzt.
Role-Model für Europa
„Die Erfahrungen etwa aus Steinheim können ein Role-Model für Gemeinden in ganz Deutschland und Europa sein“, erklärt Pehnt. „Die Erfolgsfaktoren für die Wärmewende in den Kommunen gelten für Gemeinden in ganz Europa und auch für sehr viele Siedlungen in Deutschland.“
Die Studie „Towards low flow temperatures: Making buildings ready for heat pumps and modern district heat“ („Richtung Niedertemperatur-Wärme: Gebäude fit machen für Wärmepumpen und moderne Nahwärmenetze“) hat das ifeu zusammen mit der NGO „The Regulatory Assistance Project“ (RAP) erstellt. Sie wurde von der European Climate Foundation gefördert und untersucht dabei auch die Übertragbarkeit des Konzeptes der Niedertemperaturfähigkeit auf andere europäische Mitgliedsstaaten und die Einbeziehung der Vorlauftemperatur in Förderprogrammen, Informationsaktivitäten und rechtliche Instrumente.