„Digital Twins“ sind digitale Abbilder materieller oder immaterieller Objekte in der gegenwärtigen oder gar zukünftigen Wirklichkeit. Zum Einsatz kommen sie bei der Simulation von Bauteilen, Prozessen oder gar ganzen Anlagen – aber eben auch bei smarten Softwarelösungen zur verbrauchsgerechten Abrechnung von Mieterstrom.
Win-Win-Win-Situation
Mieterstrom wird durch Solaranlagen auf den Dächern von Mehrparteienhäusern erzeugt und an die Bewohnerinnen und Bewohner der Immobilie weitergegeben, ohne dass das öffentliche Netz genutzt und belastet wird. Neben Energiegenossenschaften, -versorgern und anderen Energiedienstleistern profitieren auch Eigentümer von Mehrparteien-Immobilien und Wohnungseigentümergemeinschaften (WEGs) davon. Für sie amortisieren sich die Investitionen in Solaranlagen schnell. Zugleich eröffnen sich ihnen neue Geschäftsmodelle. Mieter und Mieterinnen bekommen dafür einen besonders günstigen und obendrein umweltschonenden Stromtarif.
Wachsende Komplexität
Was sich auf den ersten Blick verlockend und einfach anhört, ist in der Umsetzung deutlich schwieriger. Denn es geht um zahlreiche Datenquellen, die in unterschiedlichster Beziehung zueinanderstehen: Stromzähler mit Zählernummer, Zählerstand sowie Zählerplätze mit detaillierteren Angaben wie Stockwerk und Wohnungsnummer. Mancher verliert da schnell den Überblick. Messkonzepte, die Informationen darüber beinhalten, welcher Verbraucher von welchen Erzeugern beliefert wird, und Abrechnungen über verschiedene Zeiträume hinweg erhöhen die Komplexität weiter. Kommen dann noch Themen wie die EEG-Umlage, die Umsatzsteuer und diverse andere Umlagen hinzu, wird eine genaue Abrechnung zur Mammutaufgabe.
Einfach durch Abstraktion
Wie also lässt sich die Komplexität reduzieren? Grundsätzlich sind es stets Abstraktionen, die es uns Menschen ermöglichen, schwierige Sachverhalte besser zu verstehen. Straßenverkehrsschilder sind nur ein Beispiel, wie komplexe Informationen, etwa ein eingeschränktes Halteverbot, durch einfache Abstraktion in Form eines runden, blau-roten Schildes verständlich werden.
Beim Mieterstrom aus PV-Anlagen liegt die Komplexität in der Anzahl der verschiedenen Daten, deren Zusammenhängen und den unterschiedlichen Berechnungen, die den Mietern zur Verfügung gestellt werden sollen. Was liegt also näher, als zunächst eine Abstraktionsebene zu finden, auf der die zuvor genannte Flut von Details noch nicht sichtbar ist?
Digitale Zwillinge als vereinfachtes Abbild
Digitale Zwillinge ermöglichen als eine Art Container aus Datenmodell, Algorithmen und Schnittstellen eine vereinfachte Betrachtung der Wirklichkeit. Sie können die Komplexität, die durch die digitale Abbildung physikalischer Messgrößen wie etwa dem Stromverbrauch und gesetzlicher Vorgaben wie EEG-Umlage & Co. entsteht, geeignet abstrahieren und damit abmildern. Die gewonnenen Erkenntnisse, wie in diesem Fall die verbrauchergerechten Stromkosten, können wieder in die Realität zurückgespielt werden, indem sie beispielsweise in passende Stromabrechnungen für Mieter und Vermieter sowie in gegebenenfalls erforderliche Berichte für Energieunternehmen fließen. Werden die digitalen Zwillinge durchgehend eingesetzt, ergeben sich fachlich sinnvolle Interaktionen, die auch von Laien im Stromzuordnungs- und Abrechnungsbereich verstanden werden können.
Der digitale Zwilling im Solarstrom-Szenario
Ein digitaler Zwilling ist nicht nur eine virtuelle Abbildung, wie zum Beispiel ein CAD-Modell, sondern besteht aus verschiedenen Softwarekomponenten: einem digitalen Modell, einer Analysesoftware, Datenbanken, Schnittstellen und grafischen Oberflächen. Das Besondere ist die Sammlung und Verarbeitung von unterschiedlichen Daten. Dazu gehören der Stromverbrauch und die Konfiguration der entsprechenden Datenquellen, wie in diesem Fall die unterschiedlichen Zähler. Ebenso muss diesen die Energieherkunft zugeordnet werden: hier die Solaranlage auf dem Dach oder das öffentliche Stromnetz. Die Kosten, die durch den Verbrauch an einem Zähler (1) (Bild1) entstehen, lassen sich zu jeder Zeit genau beziffern – in Abhängigkeit davon, welcher Erzeuger genutzt wird. Eine Rechnungsstellung kann also nutzungsorientiert erfolgen, so dass dem Mieter oder der Mieterin beispielsweise nur der Betrag in Rechnung gestellt wird, der für die Nutzung des Stroms tatsächlich angefallen ist. Dies ist dann abhängig von der Zeit des Verbrauchs: Bei schönem Wetter ist der solarerzeugte Strom günstiger als der reguläre Strom nachts.
Gute Aussichten für die Zukunft
Mit den erweiterten Funktionen der digitalen Zwillinge lassen sich Vorhersagen treffen, wann der Stromverbrauch vergleichsweise günstig ist. So können beispielsweise Wetterdaten in die Vorhersage eingehen, genauso wie Statistiken, auf Basis derer sich der Verbrauch an den verschiedenen Zählern, vor allem (1–3) (Bild 1), im Voraus berechnen lässt. Das Wissen der digitalen Zwillinge in die Steuerung des Haushalts und sogar weiterer Verbraucher, wie etwa der Ladesäule für E-Autos in der Tiefgarage, zu integrieren, ist damit keine Zukunftsmusik mehr.Es geht sogar noch abstrakter, indem die Immobilie selbst zum digitalen Zwilling wird. So lässt sich für Quartiere oder ganze Städte die Nutzung von Energie lokalisieren, um damit die öffentlichen Netze zu entlasten – und das bei gleichzeitiger Kostenoptimierung für Verbraucher und (private) Erzeuger.
Jonas Grundler
Dr. Martin Lowinski
Anhang | Größe |
---|---|
Beitrag als PDF herunterladen | 488 KB |
· Artikel im Heft ·