Brennwert optimieren

Im Abgas ist noch Dampf

In der Wohnanlage Amorbacher Weg in Berlin-Spandau sorgt eine Heizzentrale mit zwei erdgasbetriebenen Heizkesseln für die Beheizung und Warmwasserbereitung von insgesamt 117 Wohnungen der Charlottenburger Baugenossenschaft. Zur Verbesserung ihrer Effizienz wurde bei der Modernisierung ein intelligentes Brennwerttuning durchgeführt. Der dafür eingesetzte Wärmetauscher wird mit Wärmepumpen betrieben.

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1 – Brennwerttuning Ingenieurbüro Lang Berlin – Verdeutlichung des Brennwerteffekts Bild: Ing.-Büro Lang, Berlin-Köpenick
1 – Brennwerttuning Ingenieurbüro Lang Berlin – Verdeutlichung des Brennwerteffekts Bild: Ing.-Büro Lang, Berlin-Köpenick

Modernisierung in zwei Schritten

Die Heizzentrale wurde mit dem Ziel modernisiert, die Energieeffizienz der Kesselanlage, bestehend aus Grund- und Spitzenlastkessel mit einer Gesamtheizleistung von 715 kW, deutlich zu verbessern.

Im ersten Schritt wurde die Kesselregelung modernisiert. Es wurde sichergestellt, dass der Grundlastkessel ganzjährig in Betrieb ist und den Basiswärmebedarf abdeckt. Der Spitzenlastkessel soll hingegen nur zugeschaltet werden, wenn der Grundkessel den tatsächlichen Bedarf nicht mehr liefern kann. Diese selbstverständliche Betriebsführung ist in der Praxis leider nicht immer vorzufinden. Des Weiteren wurde das vorhandene Speicherladesystem der zentralen Trinkwassererwärmung durch eine sehr effiziente Frischwassererwärmung mit einer hohen Sicherheit gegen Legionellen ersetzt und so auf den neuesten technischen Stand gebracht.

In einem zweiten Schritt wurde der Heizbetrieb der Anlage analysiert. Bei dem Grundlastkessel handelt es sich um einen Brennwertkessel. Ziel der Untersuchung war es, den Grad des Brennwerteffekts im laufenden Betrieb zu untersuchen. Es zeigte sich, dass sich, wie häufig anzutreffen, der Brennwertnutzungseffekt zu selten einstellt und somit ein Teil der Heizenergie ungenutzt durch den Schornstein abgeleitet wird.

Das Problem

Ein Brennwerteffekt stellt sich ein, wenn das Abgas kondensiert, sich also soweit abkühlt, bis der Taupunkt unterschritten wird. Bei diesem Übergang wird die so genannte latente Abgasenergie freigesetzt. Perfekt ist es, wenn dieser Vorgang im Heizkessel stattfindet. Immer wenn aber aus einem Schornstein weißer Qualm entweicht – bei der Verbrennung von Gas ist das hauptsächlich Wasserdampf – zeigt das an, dass die Kondensation des Abgases in der Außenluft stattfindet. Der Brennwerteffekt erfolgt somit nicht dort, wo er eigentlich stattfinden soll, nämlich im Brennwertkessel. Das Abgas muss also im Kessel „dampfen“ und nicht, wenn es den Schornstein verlässt.

Um die Kondensation in der Praxis effizient zu nutzen, sind ganzjährig Heizungs-Rücklauftemperaturen von <40 °C notwendig.

Die Abgastemperatur bei der hier beschriebenen Anlage lag jedoch häufig oberhalb von 55 °C. Der Grund ist, dass die Kesselanlage bei Gebäuden aus den 20er-Jahren mit klassischer Heizkörper-Ausstattung mit einer viel höheren Vorlauftemperatur betrieben werden muss als etwa bei modernen Gebäuden mit Fußbodenheizung und Volldämmung. Auch die Trinkwassererwärmung, die den Hygienevorschriften zufolge mindestens 60 °C betragen muss, führt zu hohen Vorlauftemperaturen. In der Folge ist die Rücklauftemperatur ebenfalls hoch, so dass sich das Abgas im Brennwertkessel nicht ausreichend abkühlt.

Über den Brennwerteffekt

Ein wesentlicher Bestandteil der Wärmeerzeugung aus fossilen Brennstoffen ist die Nutzung der Wärme des erzeugten Abgases. Dabei sollte nicht nur der sensible, sondern auch der latente Wärmeinhalt genutzt werden. Die latente Abgaswärme ergibt sich aus der Kondensation des Wasserdampfanteils im Abgas. Dieser beinhaltet ca. 10 % des gesamten Abgaswärmeinhalts bei der Verbrennung von Erdgas. Die Kondensation des Abgases einer Gaskesselanlage beginnt ab einer Temperatur unterhalb von 60°C. Sollte man das Abgas bis auf 35 °C abkühlen können, hätte man einen Effizienznutzen von ca. 10 % erzielt. Der Brennwerteffekt wäre bestens ausgenutzt. Bild 1 verdeutlicht diesen Effekt. Der Nutzungsgrad, also der Energieanteil, der aus dem warmen Abgas gewonnen wird, steigt nur linear (roter Verlauf), bis die Kondensation beginnt (blauer Verlauf).

Das Brennwerttuning

Nachdem für die Wohnanlage in Spandau die üblichen Möglichkeiten zur Reduzierung der Heizungsrücklauftemperaturen z. B. durch eine Heizkurvenanpassung in der Hausanlage ausgereizt worden waren, kam die Brennwerttuning®-Technologie zum Einsatz. Dieses Verfahren wurde vom Ingenieurbüro Lang aus Berlin-Köpenick entwickelt und bisher in mehreren Berliner Heizzentralen erfolgreich eingesetzt.

Die Grundidee lautet: Wenn der Brennwerteffekt nicht im Kessel stattfinden kann, muss man eine technische Umgebung schaffen, in der er nachgeschaltet abläuft. Daher wird das Abgas durch einen Abgas-/Wasser-Wärmetauscher geleitet und kühlt sich dabei auf 35 °C ab. Der Brennwerteffekt erfolgt nachgelagert in dem Wärmetauscher.

3 – Anlagenlayout: rechts der Grundlast- und links der Spitzenlastkessel Bild: AkktorMSR-Automationssoftware; Akktor GmbH
3 – Anlagenlayout: rechts der Grundlast- und links der Spitzenlastkessel
Bild: AkktorMSR-Automationssoftware; Akktor GmbH
4 – Die Anlage im Detail: 1. Das Abgas wird durch einen Abgas-Wärmetauscher geführt. Es kühlt sich von über 60 auf unter 30 °C ab. Der Brennwerteffekt erfolgt im Wärmetauscher. 2. Im Tauscher erwärmt sich der Kaltwasserkreis. Die Pumpe leitet es in einen Puffer. 3. Zwei Hochleistungswärmepumpe entziehen dem Kaltwasserkreis die Wärme und leiten kaltes Wasser (blau) in den Puffer zurück. 4. Die beiden Wärmepumpen erzeugen heißes Wasser (hier 64 °C) und leiten es in den Hochtemperaturanschluss des Brennwertkessels.
4 – Die Anlage im Detail:
1. Das Abgas wird durch einen Abgas-Wärmetauscher geführt. Es kühlt sich von über 60 auf unter 30 °C ab. Der Brennwerteffekt erfolgt im Wärmetauscher.
2. Im Tauscher erwärmt sich der Kaltwasserkreis. Die Pumpe leitet es in einen Puffer.
3. Zwei Hochleistungswärmepumpe entziehen dem Kaltwasserkreis die Wärme und leiten kaltes Wasser (blau) in den Puffer zurück.
4. Die beiden Wärmepumpen erzeugen heißes Wasser (hier 64 °C) und leiten es in den Hochtemperaturanschluss des Brennwertkessels.
Quelle: AkktorMSR-Automationssoftware; Akktor GmbH

 

Am Wärmetauscher ist ein Kaltwasserkreis angebunden, der das Abgas abkühlt. Zwei elektrisch betriebene Wasser/Wasser-Wärmepumpen mit einer Kühlleistung von insgesamt 25 kW kühlen den Kaltwasserkreis auf Temperaturen <20 °C herunter. Damit wird eine Vollstromkondensation im Abgasstrom erreicht und der Nutzungsgrad der Wärmeerzeugung steigt heizwertbezogen auf über 107 % (siehe Diagramm). Die dabei erzeugte Heizwärme wird in den Hochtemperaturanschluss des Brennwertkessels eingeführt, d. h. außerhalb der kesselinternen Brennwertnutzung.

Die Wärmepumpen arbeiten ganzjährig mit einem COP von 5,5. Das ist möglich, da sie speziell für hohe Wärmequellen- und Wärmesenken-Temperaturen entwickelt wurden.

Durch den Einsatz der Brennwerttuning®-Technologie konnte in der Wohnanlage der Charlottenburger Baugenossenschaft eine Primärenergieeinsparung von über 105.000 kWh/a bei einer Reduzierung der CO2-Emissionen von ca. 20 t/a nachgewiesen werden. Insgesamt wurde der Gasverbrauch der Anlage als Folge aller Maßnahmen um 17 % gesenkt. Die Akktor GmbH Berlin belegte mit diesem Projekt den dritten Platz beim SmartHome Deutschland Award 2020 in der Rubrik „Bestes smartes und naturschützendes Projekt“. Wir bedanken uns an dieser Stelle recht herzlich beim Ingenieurbüro Lang für die gute Zusammenarbeit. Das Büro Lang erhielt für die Brennwerttuning®-Technologie im Jahr 2014 den DEUTSCHEN TGA-AWARD der Huss-Medien GmbH.

Jürgen Reimann

Jürgen Reimann
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· Artikel im Heft ·

Im Abgas ist noch Dampf
Seite 22 bis 24
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