Die Revolution findet (nicht) statt
Liebe Leserinnen und Leser,
sehe ich mich in Berliner Wohnquartieren um, kommen mir Zweifel, dass die Mehrfamilienhäuser unterschiedlichster Baujahre, Standards und Eigentumskonstrukte bis zum Jahr 2045 klimaneutral werden. Fenster müssten getauscht, Gebäudehüllen gedämmt und die Wärmeversorgung dekarbonisiert werden. Ab sofort. Unzählige Wohnungen sind etwa mit Gasetagenheizungen ausgestattet und ich glaube kaum, dass Eigentümer hier aktiv werden, solange sie nicht müssen oder finanziell gewinnen. Landeseigene Wohnungsbaugesellschaften könnten vorangehen, aber können deren teils eingefahrenen Strukturen den Wandel leisten?
Das sind subjektive Fragen und Eindrücke und kein empirisches Beweismaterial. Dennoch, der deutsche Gebäudesektor verfehlte, wenig überraschend, 2020 das Klimaziel. Damit wurde ein Sofortprogramm notwendig. Der Expertenrat für Klimafragen sollte das im Juni vorgelegte Programm des BMI bewerten, musste aber Ende August mitteilen, dass eine Erfolgsprognose nicht möglich ist. In jedem Falle kann es die notwendigen Emissionssenkungen auch 2021 nicht sichern. Weit ambitioniertere Vorschläge machen hingegen Agora Energiewende, Stiftung Klimaneutralität und Agora Verkehrswende. Ihr Impulspapier zur Bundestagswahl fordert u. a. eine Anpassung des § 72 GEG, der zufolge der Einbau fossiler Heizungen in Neubau und Bestand ab 2024 unzulässig sein soll und Heizungen für Mehrfamilienhäuser, die nicht mit Fernwärme versorgt werden, mit mindestens 65 % erneuerbaren Energien laufen müssen. Des Weiteren soll es eine Sanierungsverpflichtung – mit sozialer Abfederung – für Gebäude geben, die EU-Mindestenergiestandards nicht erfüllen.
Problematisch bleibt auch die Lage im Bereich Lüftung. Nach fast zwei Jahren Pandemie werden Coronaviren in Schulen nun teils mit mobilen Luftreinigern bekämpft und teils noch immer zum Fenster hinaus gelüftet. Zugleich besteht das chronische Problem mangelnder Ausrüstung von Bildungseinrichtungen und anderen viel frequentierten Gebäuden mit langfristig geeigneten RLT-Anlagen weiter. Vorausdenken statt Bekämpfung von Symptomen fordert der Autor des diesbezüglichen Beitrags auf S. 16 und liefert dazu Argumente und Berechnungsgrundlagen.
Ihre
Silke Schilling
MSc, Dipl.-Ing. Silke Schilling

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