Es muss kein Widerspruch sein

Brandschutz und Holzfaserdämmung

Holzfaserdämmstoffe haben die „Öko-Nische“ längst verlassen: Heute gibt es vielseitig einsetzbare Dämmsysteme. Klassisch kommen sie im Holzbau oder bei geneigten Dächern zum Einsatz. Doch sie eignen sich auch für Wärmedämmverbundsysteme (WDVS) auf allen Untergründen, für Innendämmungen sowie für Flachdächer.

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Die Feuerwehr im Tübinger Stadtteil Lustnau setzte bei der Dämmung ihres neuen Feuerwehrgebäudes auf eine Holzfaserdämmung Bild: Gutex/Oliver Rieger
Die Feuerwehr im Tübinger Stadtteil Lustnau setzte bei der Dämmung ihres neuen Feuerwehrgebäudes auf eine Holzfaserdämmung Bild: Gutex/Oliver Rieger

Der Autor: Rainer Blum ist Diplom-Bauingenieur und Leiter der Anwendungstechnik bei Gutex.

Systemaufbauten mit abgestimmten Komponenten vereinfachen die Planung und sorgen mit ihrem diffusionsoffenen Aufbau und hohem Sorptionsvermögen für bauphysikalisch sichere Konstruktionen. Das gilt auch für den Brandschutz.

Holzfaserdämmstoffe werden aus dem regional verfügbaren und nachwachsenden Rohstoff Holz gefertigt. Sie sind deshalb besonders nachhaltig und ressourcenschonend. Darüber hinaus eignen sie sich als dauerhafte Kohlenstoffspeicher. In der Diskussion um Klimaschutz findet das immer mehr Beachtung – und ist relevant für eine Bauwende, die sowohl die energetische Sanierung als auch den Neubau in den Blick nimmt.

Gleichzeitig ist Holzfaserdämmung weit mehr als ein ökologischer Baustoff für umweltbewusste Bauherren oder zertifizierte Projekte. Mit ihren bauphysikalischen und technischen Eigenschaften lässt sie sich für alle wesentlichen Dämmaufgaben an und in Gebäuden einsetzen.

Holzfaserdämmstoffe werden nach der europäisch harmonisierten Produktnorm DIN EN 13171 produziert und sind in nationalen Anwendungsnormen wie DIN 4102,DIN 4108 und DIN 68800 berücksichtigt. Es handelt sich um industriell hergestellte, anwendungstechnisch zugelassene beziehungsweise normativ geregelte Dämmstoffe.

Vom Rohstoff zum Dämmsystem

Holzfaserdämmung wird vor allem aus Fichten- und Tannenholz hergestellt. Deren Faserqualität kombiniert hohe Festigkeit mit effizienter Dämmleistung. Besonders nachhaltig lassen sich die Produkte an forstnahen Produktionsstandorten fertigen. Diese gewährleisten kurze Transportwege und die Nutzung von Restholz (Hackschnitzel) aus Sägewerksbetrieben. Zudem fungiert der Baustoff Holz als Kohlenstoffsenke: Der Wald nimmt während seines Wachstums große Mengen an Kohlenstoff auf, die im Dämmstoff gebunden bleiben. Holzfaserdämmung trägt langfristig zur Reduzierung des CO2-Gehalts und damit zum Klimaschutz bei: sowohl durch reduzierte Energieemissionen bei Gebäuden (Dämmen) als auch über die Entlastung der Atmosphäre (Material).

Aus Hackschnitzeln werden druckfeste Holzfaserdämmplatten, flexible Dämmmatten sowie Einblasdämmung produziert. Durch Zuschläge können sie wasserabweisend oder regendicht ausgerüstet werden, behalten dabei aber ihren diffusionsoffenen Aufbau. Für die Einstufung als normal entflammbarer Baustoff (Baustoffklasse E nach DIN EN 13501-1) ist lediglich bei den leichten Dämmmatten und der Einblasdämmung eine Zugabe von Brandschutzmitteln erforderlich.

Heute stellen Holzfaserdämmprodukte in der Regel Anwendungssysteme dar, in denen jede Komponente für bestimmte Einsatzzwecke optimiert ist. Für eine einfache Anwendung der Systemaufbauten haben die Hersteller ihre Problemlösungen vielfach getestet und die Ergebnisse nachprüfbar dokumentiert. Das gilt insbesondere für Eigenschaften beim Brandschutz und beim Schallschutz. Planer profitieren durch bauphysikalisch und anwendungstechnisch regelkonforme und funktionstaugliche Systemaufbauten.

Träges Brandverhalten, lange Feuerwiderstandszeiten

Holz brennt – Holzfaserdämmstoffe natürlich auch. Daher sind sie in der Regel als „normal entflammbar“ der Baustoffklasse E zugeordnet. Holz als Rohstoff hat mit Blick auf den Brandschutz ein vergleichsweise günstiges Verhalten. Holzfaserdämmstoffe weisen, über die Plattendicke, nur träge thermische Zersetzungen auf. Vor allem aber bleiben sie, wenn verkohlt, als Substanz im Systemquerschnitt erhalten: Sie bilden keine Hohlräume durch Wegschmelzen. So können sie die weitere Bauteilkonstruktion vor schnellem Abbrand beziehungsweise einer schnellen Brandweiterleitung im Bauteil schützen. In der Brandphase entwickeln sie verhältnismäßig wenig Rauch und tropfen auch nicht ab – im Gegensatz zu Dämmstoffen aus fossilen Rohstoffen.

Das erste FSC-zertifizierte Gebäude in Deutschland wurde mit dem Deutschen Holzbaupreis 2023 ausgezeichnet. Das Wohnhaus „Buggi 52“ mit Kita und Gewerbe in Freiburg im Breisgau mit sieben Geschosse entstand komplett in Holzbauweise.  Die Gutex Pyroresist wall erfüllt die brandschutztechnischen Anforderungen an einen schwer entflammbaren Dämmstoff und führt den ökologischen Grundgedanken im Projekt „Buggi 52“ konsequent fort. Bild: Gutex/Martin Granacher

Die hohe Wärmespeicherkapazität von Holzfaserdämmung verhindert zudem eine schnelle Temperaturerhöhung auf jener Bauteilseite, die dem Brand abgewandt ist. Diese Eigenschaft wirkt sich insbesondere bei den Feuerwiderstandszeiten sehr positiv aus.

In mehrschichtigen Bauteilaufbauten des Holzbaus führt das Brandverhalten von Holzfaserdämmung zu sicher dimensionierten Feuerwiderstandsdauern. Geprüfte tragende Aufbauten mit 30 bis 90 Minuten Feuerwiderstand sind im Holzbau seit Jahren im Einsatz.

Fassade: Anwendungsbereich mit großem Potenzial

Holzfaserdämmung wird schon lange für hinterlüftete Fassaden im Holzbau eingesetzt, denn sie ist diffusionsoffen und kann wasserabweisend ausgestattet werden. In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurden die energetischen Anforderungen an die Gebäudehülle verschärft. Dickere Dämmebenen und neue Lösungen für die Fassade waren gefragt. Ansätze mit direkt beplankten und putzbeschichteten Holzfaserdämmplatten aus den 1990er Jahren wurden um die Jahrtausendwende zu robusten System-Fassadenlösungen ausgebaut (zum Beispiel WDVS) und durch bauaufsichtliche Zulassungen für den Holzbau erschlossen.

Brandverhalten von Dämmsystemen

In der Baustoffklassen-Bewertung nach DIN EN 13501-1 werden holzfaserbasierte WDV-Systeme auf Grundlage des SBI-Tests (Single Burning Item) in der Regel als „schwer entflammbar“ klassifiziert: B-s1,d0. In Deutschland ist diese Klassifizierung jedoch nicht gleichzusetzen mit der Anforderung „schwer entflammbar“ aus dem Baurecht, weil der SBI-Versuch das Glimmverhalten nicht abdeckt.

Entsprechende Großbrandversuche (Flashover-Situation im Fensterbereich) zeigen, dass die Brandweiterleitung über die Fassadenoberfläche sehr begrenzt bleibt. Das Putzsystem – in der Regel basierend auf einem mineralischen Unterputz – schützt die Plattenoberfläche wirksam vor intensiver Brandentwicklung. Ein offener Brand mit Flammenbildung bleibt daher auf die Einwirkzeit der direkten Beflammung begrenzt. Sobald diese endet, beschränkt sich die weitere Materialzersetzung der Holzfaser primär auf die Stirnseite der Dämmebene. Es findet ein sehr langsamer – allerdings stetiger – Zersetzungsprozess hinter der schützenden Putzbeschichtung statt (Glimmverhalten). Dies kann dazu führen, dass sich ein Abbrand über Tage hinzieht – mit äußerst geringem Brandfortschritt und lokal begrenzter Temperaturerhöhung.

Dieses Verhalten spricht für einen konstruktiven, aber auch aktiven Brandschutz von außen. In geringer Entfernung des Glimmherds (15 bis 20 Zentimeter) liegt die Temperatur im Dämmstoff quasi im Normalbereich. Bei entsprechender Erreichbarkeit ist deshalb ein streifenförmiger Rückbau des Systems denkbar. So könnte der Glimmprozess unterbrochen werden, ähnlich wie bei einer Brandschneise.

Bei brennbaren Dämmstoffen auf fossiler Basis führt ein Brand dazu, dass sich hinter der Putzbeschichtung Hohlräume bilden, aus denen wiederum Kamineffekte resultieren können.

Im Gegensatz dazu bleibt das zersetzte Material bei Holzfaserdämmstoffen hohlraumfüllend in der Dämmebene. Sogenannte Brandriegel, die geschossweise beziehungsweise über Öffnungen angeordnet werden, um den Kamineffekt zu unterbrechen, sind daher bei Holzfaserdämmplatten nicht zielführend. Sehr wohl können aber – falls ein Rückbau nicht möglich ist – Glimmbarrieren eine konstruktive, planbare Möglichkeit darstellen, um eine Brandweiterleitung präventiv zu verhindern. Entsprechende Glimmbarrieren bestehen aus nicht brennbaren Dämmstoffriegeln mit 15 bis 20 Zentimeter Breite – ähnlich der Brandriegel, aber mit anderer Wirkungsweise.

Die erste nicht glimmende Holzfaserdämmplatte

Holzfaserdämmstoffe sind in der Regel normal entflammbar; das Verhalten von WDVS-Lösungen (Putz-Platte-Interaktion) ist deutlich besser. Dennoch bleiben normale Holzfaserdämmstoffe und entsprechende Systeme glimmend. Für die Anwendung in den Gebäudeklassen 4 und 5 fordert das deutsche Baurecht schwer entflammbare Systeme.

Der Hersteller Gutex hat einen speziellen Holzfaserdämmstoff entwickelt, um auch für diese Anwendung eine Lösung auf Holzfaserbasis anbieten zu können: die Dämmplatte Gutex Pyroresist wall. Das 2019 auf dem Markt eingeführte Produkt erfüllt als erste Holzfaserdämmplatte die Eigenschaft des Nichtglimmens.

Bei der Herstellung wird eine intumeszierende mineralische Komponente hinzugefügt. Sie bewirkt im Brandfall, dass sich auf der Plattenoberfläche ein volumenvergrößernder Schutzschirm ausbildet. Dadurch wird der Glimmprozess nachweisbar verhindert. Für den Nachweis des Nichtglimmens wird die europäische Prüfnorm DIN EN 16733 herangezogen.

Gutex Pyroresist wall ist das erste Dämmprodukt aus Holzfasern nach Produktnorm DIN EN 13171, das neben der europäischen Baustoffklasse C-s1,d0 (schwer entflammbar) auch die Eigenschaft des Nichtglimmens nachweisen kann. Die WDV-Systemlösung ist aktuell im Zulassungsprozess; zahlreiche Pilotprojekte mit vorhabenbezogener Bauartgenehmigung wurden bereits umgesetzt.

Neubau mit ökologischem Anspruch: Das familiengeführte Hotel in Friedrichshafen wurde durch einen fünfgeschossigen Neubau erweitert. Für die Außendämmung war Gutex Pyroresist wall als ökologische Holzfaserdämmplatte mit brandhemmenden Eigenschaften speziell für die Gebäudeklassen 4 und 5 die richtige Lösung. Bild: Gutex/Martin Granacher

Brandbegrenzung in der Praxis

Im Frühjahr 2021 kam es in Landau in der Pfalz zu einem Brand bei einem mehrgeschossigen Holzbau, der mit Gutex Pyroresist wall realisiert worden war. Dieses Ereignis zeigte, wie gutmütig sich die innovative Dämmplatte im Brandfall verhält und dass sie ein Brandereignis effektiv begrenzen kann: Im Bauzustand – die Platten waren noch nicht putzbeschichtet – kam es zu einer Brandstiftung. Dabei wirkte das Feuer mit sehr intensivem Energieeintrag auf die noch unbeschichtete Plattenoberfläche ein. Das Baugerüst wurde aufgrund der Hitzeeinwirkung massiv beschädigt. Die angebrachte Holzfaserdämmung mit Pyroresist wall hingegen bildete einen wirksamen Schutzschild vor der tragenden Konstruktion. Tage später, als die intumeszierte, verkohlte Schutzschicht von den Dämmplatten teilweise entfernt wurde, zeigte sich, dass die Holzfasern auf der Plattenrückseite unversehrt geblieben waren: Das Brandverhalten entsprach den durchgeführten Brandprüfungen vor der Markteinführung.

Brandschutz und klimafreundliches Bauen sind kein Widerspruch

Die vielversprechende Lösung verdeutlicht: Biogene Dämmstoffe können auch in mehrgeschossigen Bauprojekten mit hohen Brandschutzanforderungen zum Einsatz kommen. Bereits heute ist ihr Stellenwert für die Bauwende beachtlich und er wird weiter zunehmen. Mit neuen Produkteigenschaften und erweiterten Einsatzmöglichkeiten wird biogene Dämmung, insbesondere die Holzfaserdämmung, einen wachsenden Beitrag zum klimafreundlichen und nachhaltigen Bauen leisten. ⟵

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Brandschutz und Holzfaserdämmung
Seite 26 bis 29
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