Infektionsschutz in Neu- und Bestandsbauten
Die weltweite Ausbreitung des Coronavirus (SARS-CoV-2) hat verdeutlicht, dass in zahlreichen Infrastrukturen die Voraussetzungen zur Aufrechterhaltung des alltäglichen Lebens während einer Pandemie nicht gegeben sind. Vielmehr besteht Handlungsbedarf in der Umsetzung von baulichen, technischen und prozessualen Maßnahmen, um künftig das Übertragungsrisiko von Infektionserregern zu verringern und den Weiterbetrieb zu ermöglichen. Während der COVID-19-Pandemie bestand akuter Handlungsbedarf in den vorhandenen Infrastrukturen. Planenden und Nutzenden fehlten gezielte Handlungsempfehlungen und Leitlinien.
Das Bundesgesundheitsministerieum (BMG), das RKI, die WHO, RHEVA und ASHRAE veröffentlichten diverse Empfehlungen zum Infektionsschutz, die auf hygienische- und lüftungstechnische Maßnahmen und Verhaltenshinweise zielten, jedoch häufig im Bestand nicht umsetzbar waren. Am stärksten waren während der COVID-19-Pandemie Kindergärten, Schulen, Arztpraxen sowie Alten- und Pflegeheime von Einschränkungen betroffen. Da diese Einrichtungen eine bedeutende Rolle bei der Aufrechterhaltung des öffentlichen Lebens und der Vermeidung von Versorgungsengpässen spielen, standen sie im Fokus der Betrachtungen des Forschungsprojektes.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Forschungsinstitutionen
Das Projekt „SAVE – Effektive Strategien zur Kontrolle und zum Umgang mit Ausbreitungswegen von Erregern zum Schutz kritischer Infrastrukturen“ (FKZ: SWD-10.08.18.7–20.02) ist ein interdisziplinärer Zusammenschluss von Architekt:innen, Epidemiolog:innen, Hygieniker:innen, Materialwissenschaftler:innen und Haustechniker:innen des Instituts für Konstruktives Entwerfen, Industrie- und Gesundheitsbau der TU Braunschweig (Projektleiter), des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin der Charité – Universitätsmedizin Berlin, des Instituts für Baustoffe, Massivbau und Brandschutz der TU Braunschweig und des Hermann-Rietschel-Instituts der TU Berlin. Alle Institute haben langjährige und gemeinsame Erfahrung in der Forschung im Bereich der Gesundheit und der Infektionsprävention. In beratender Funktion wurde das Forschungskonsortium durch das Robert Koch-Institut unterstützt.
Infektionsprävention im Bau
Das gemeinsame Ziel der Forschungspartner war die Identifizierung prozessualer Abläufe, die gemeinsame Betrachtung und sektorübergreifende Bewertung von Infektionsrisiken in den genannten kritischen Infrastrukturen. Es wurden lüftungstechnische, baukonstruktive, materielle und prozessuale Maßnahmen und Empfehlungen zur Unterbrechung von Infektionsausbreitungswegen im Normal- und auch pandemischen Betrieb erarbeitet. Insbesondere folgenden Fragen wurde im Forschungsprojekt SAVE nachgegangen: Welche Materialien eignen sich für eine effektive Reinigung und Desinfizierung? Wo entstehen die meisten Hygienefehler? Welche technischen Maßnahmen unterstützen nachhaltig und effektiv die Infektionsprävention? Welche Entwurfsprinzipien können das Infektionsrisiko mindern?
Die gemeinsam erarbeiteten Empfehlungen sollen zur Unterbrechung von Infektionen in Neu- und Bestandsbauten durch präventive, reaktive und adaptive Maßnahmen beitragen. Im Normalbetrieb sollen die Zahlen der Infektionen dadurch verringert werden und in pandemischen Situationen soll die Nutzung der Infrastrukturen weiter gewährleistet werden.
Methodisches Vorgehen
Durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit konnte eine Großzahl sehr unterschiedlicher Methoden angewandt werden, um die Empfehlungen zum Thema infektionspräventives Bauen zu erarbeiten.
Typische Materialen (u. a. Kautschuk, Linoleum und Steinzeuge) wurden ausgewählt und einem chemischen, mechanischen und physikalischen künstlichen Alterungsprozess unterzogen. Durch diese Prozesse konnten Materialien identifiziert werden, die die geringste Veränderung ihrer Oberflächeneigenschaften erfuhren und dadurch u. a. besser zu reinigen sind. Gezielte Interviews innerhalb der kritischen Infrastrukturen konnten Einblicke in das Verhalten der Nutzenden ermöglichen und durch Expertenbefragungen sowie typologische Bewertungen konnten in Workshops fundierte Informationen zusammengestellt werden. Weiter wurden Systemic Reviews zu der internationalen Studienlage über den Einfluss der Luftqualität auf das Infektionsgeschehen sowie Simulationen und nummerische Modellierungen zu Lüftungsmaßnahmen durchgeführt.
Mit Hilfe des Wells-Riley-Modells wurden kritische Faktoren, die einen Einfluss auf die Übertragung luftgetragener Erreger haben, ermittelt. Außerdem wurden CFD-Simulationen durchgeführt, anhand derer die Schadstoffverteilung in verschiedenen Raumarten bewertet werden konnte. Hierbei sollten v. a. verschiedene Lüftungskonfigurationen und die möglichen Kreuzkontaminationen zwischen benachbarten Räumen untersucht werden. Zu diesem Zweck wurden vier verschiedene Lüftungsfälle in einem Finger eines Gebäudes mit Kamm-Struktur definiert (siehe Bild 2):

a) Einfache Abluftventilatoren, die einen Unterdruck in den Räumen erzeugen. Die Türen bleiben geöffnet und der Hauptströmungsweg der Luft ist vom Flur zu den Räumen gerichtet.
b) Einfache Zuluftventilatoren fördern Außenluft in die Räume. Die Schadstoffkonzentration der Innenraumluft wird verdünnt und die Luft strömt weiter in den Flur.
c) Jeder Raum erhält eigene Zu- und Abluftventilatoren.
d) Die Zu- und Abluftventilatoren des Falls c) werden in ihrer Geschwindigkeit variiert, wodurch dem Raum ein Unter- oder Überdruck aufgeprägt werden kann.
Durch die Vielzahl der Methoden konnte der Komplexität des Projektes begegnet und aus den Erkenntnissen Empfehlungen abgeleitet werden. Die Gebäudelage, der Grundriss, die Haustechnik, die Ausstattung, das bauliche Detail bis hin zur Prozessplanung standen dabei im Fokus.
Ergebnisse
Die partizipierenden Architekt:innen der TU Braunschweig haben als Ergebnis der Nutzendeninterviews und der typologischen Bewertungen 12 Entwurfsprinzipien herausgearbeitet. Diese wurden in gemeinsamen Forschungstreffen interdisziplinär diskutiert und ausformuliert. Die Entwurfsprinzipien dienten als Grundlage zur Entwicklung von baukonstruktiven und prozessualen Maßnahmen, die die Reduzierung der Kontaktanzahl, der Kontaktzeit, der Anzahl gemeinsam genutzter Objekte und eine bessere Luftqualität beinhalten.
Die Möglichkeit der kohortenkonformen1) Nutzung von Gebäuden sollte durch dezentral gelegene und großzügig gestaltete Treppenhäuser, Aufzüge und Zugänge ermöglicht werden. Sanitäranlagen sowie Lagerflächen, ausgenommen in Arztpraxen, sollten ebenfalls dezentral gelegen sein, um Schmierinfektion zu vermeiden, der Kreuzung von Personengruppen entgegenzuwirken und die Bildung von Kohorten zu ermöglichen. Hierdurch können autarke Organisationseinheiten gebildet werden, die in einzelne Gebäude- als auch Lüftungseinheiten trennbar sind. Zur Minimierung von Kontaktzeiten sollten Erschließungsflächen mit hoher Belegungsdichte großzügig gestaltet werden, Wege zwischen hochfrequentierten Bereichen möglichst kurz sein und eine Übersichtlichkeit der Gebäudestruktur gegeben sein.

Durch die Möglichkeit der Erschließung im Außenbereich kann das Ansteckungsrisiko durch die natürliche Belüftung und weitere Faktoren gesenkt werden. Für die temporäre Nutzung von Flächen im Außenbereich sollte es partielle Überdachungen geben. Falls in Innenräumen keine mechanische Lüftung installiert ist, sollte auf Querlüftung geachtet werden, um eine möglichst hohe Luftaustauschrate zu gewährleisten.
Die An- und Abfahrtsbereiche sollten großzügig gestaltet werden, um in pandemischen Situationen beispielsweise Test- oder Screeningstationen errichten zu können. Außerdem sollten sie mit ausreichend Fahrradstellplätzen ausgestattet sein, da das Fahrrad in Zeiten mit hohem Infektionsgeschehen das sicherste Verkehrsmittel mit den kürzesten Kontaktzeiten darstellt.
Die von den Epidemiolog:innen und Hygieniker:innen durchgeführten Scoping Reviews zur aktuellen Studienlage zu allen vier Infrastrukturen ergaben folgende Ergebnisse:
- Persönliche/medizinische, soziale und Umweltfaktoren haben einen unterschiedlichen Einfluss auf die Ausbreitung von luftgetragenen Infektionen in den vier Infrastrukturen.
- Die Luftqualität in allen vier betrachteten Infrastrukturen kann insgesamt als nicht ausreichend angesehen werden. Sehr häufig wurden CO2-Konzentrationen von über 1.000 ppm gemessen. Eine Verbesserung der Luftqualität durch ausreichende natürliche oder mechanische Belüftung ist in jedem Fall notwendig, um die CO2-Konzentration und somit das Infektionsrisiko2) zu minimieren. Zudem sollte die Luftqualität durch CO2-Sensoren kontrolliert werden.
- Die Aufenthaltszeit in Räumlichkeiten ist ein sehr wichtiger Faktor in Bezug auf das Infektionsrisiko. Im Falle der Schulen und Kindergärten kann die Reduzierung der Aufenthaltszeit ein unterstützendes Mittel darstellen.
Fußnoten
1 Eine Kohorte stellt eine bewusst gebildete Gruppe von Menschen dar. In Schulen können dies Klassen oder Jahrgänge sein. Durch die Bildung von Kohorten (Kohortierung) soll im Kontext der Infektionsprävention vermieden werden, dass sich Erreger über geschlossene Personengruppen hinaus verbreiten.
2 Durch die Höhe der CO2-Konzentration kann gleichzeitig auf eine mögliche Kontamination durch Erreger rückgeschlossen werden. CO2 und Erreger werden beim Atmen ausgestoßen und reichern sich in der Raumluft an.
Die detaillierten Ergebnisse des Scoping Reviews zum Thema Schulen wurden im Paper „The Influence of Ventilation Measures on the Airborne Risk of Infection in Schools: A Scoping Review“ im International Journal of Environmental Research and Public Health veröffentlicht /1/. Ergänzend wurde von den Projektbeteiligten eine Hygiene-Baseline formuliert, die besagt, dass die CO2-Konzentration im Normalbetrieb durchschnittlich 1.000 ppm, im pandemischen Betrieb 800 ppm nicht überschreiten darf.
Durch die am Hermann-Rietschel-Institut durchgeführten CFD-Simulationen konnte gezeigt werden, dass einzelne Gebäudebereiche durch geeignete Lüftungsstrategien zur Kohortierung genutzt werden können, da entweder gar keine Querkontamination stattfindet oder die Kontamination der Luft stark verdünnt wurde. Vor allem durch die Nutzung von Luftschleiern, die im Lüftungsfall c) (Bild 2) zusätzlich zur Zu- und Abluft implementiert wurden, konnte die Querkontamination verhindert werden (Bild 4). Die Ergebnisse zeigten zudem, dass eine CFD-Simulation für jede Gebäudeart erfolgen sollte, da die verschiedenen Strukturen einen großen Einfluss auf die Luftströmung in den Räumlichkeiten haben.

Die im Forschungskonsortium beteiligten Materialwissenschaftler:innen zeigten unter anderem, dass Linoleum im Bereich der chemischen Alterung und Behandlung mit Desinfektionsmitteln generell empfindlich gegenüber hohen Desinfektionsmittelkonzentrationen ist. Weitere Ergebnisse sind Bild 5 zu entnehmen.

Empfehlungsliste mit Erweiterungspotenzial
Um die Ergebnisse aller beteiligten Partner zusammenzufassen, wurde eine Maßnahmenliste erstellt. Die darin enthaltenen Maßnahmen wurden gemeinsam bewertet, formuliert und sortiert, so dass schließlich eine Empfehlungsliste erstellt werden konnte, die laufend erweitert und überprüft werden soll.
Insgesamt muss hervorgehoben werden, dass die bauliche Umgebung nur im Zusammenhang mit unterschiedlichen weiteren Faktoren, die das Infektionsgeschehen beeinflussen, betrachtet werden sollten. Da jede Infrastruktur individuelle nutzungsspezifische Faktoren beinhaltet, müssen angepasste, individuelle Empfehlungen formuliert werden. Neben der Beachtung von Entwurfsempfehlungen ist auch die Aufklärung und Fokussierung auf Handlungsempfehlungen enorm wichtig, da sich unter anderem eine fehlerhafte Nutzung der Gebäude oder fehlende Wartung der Gebäudetechnik negativ auf die Unterbrechung von Infektionswegen auswirken kann.
Verwertung der Ergebnisse
Erste Zwischenstände sowie das abgeschlossene Projekt wurden unter anderem auf dem TGA-Kongress 2023 in Berlin sowie auf dem Stand der Förderinitiative Zukunft Bau auf der Messe BAU 23 in München präsentiert oder in Journals veröffentlicht.
Da die gesammelten Erkenntnisse eine sehr gute Grundlage im Bereich infektionspräventives Bauen bilden und durch die Berücksichtigung der Empfehlungen in der Baupraxis eine wichtige Grundlage in der Vorbeugung von Infektionen entsteht, werden die hier gesammelten Erkenntnisse im Projekt „Database of Architecture and Health Environment“ (FKZ: F-20-21-1-229) ab Ende 2024 auf einer frei zugänglichen Wissensplattform veröffentlicht und dargestellt. Es sollen neben dem Grundlagenwissen allgemein anwendbare, aber auch gebäude- und prozessspezifische Lösungen mit unterschiedlichen Informationstiefen für die beiden Hauptzielgruppen Planende sowie Nutzende bereitgestellt werden. Durch unterschiedlichste Darstellungsformen sollen Informationen im Bereich infektionspräventives Bauen niedrigschwellig zugänglich gemacht werden.
Die Database soll kontinuierlich durch neue Erkenntnisse ergänzt werden und die Möglichkeit zur Erweiterung bieten, da die Beachtung der Empfehlungen nicht nur während einer akuten Pandemie helfen, sondern auch eine gute Grundlage zur Reduzierung von Infektionen im Alltag bieten kann.
Quelle:
/1/ Jendrossek, S. N.; Jurk, L. A.; Remmers, K.; Cetin, Y. E.; Sunder, W.; Kriegel, M.; Gastmeier , P. (2023). The Influence of Ventilation Measures on the Airborne Risk of Infection in Schools: A Scoping Review. International Journal of Environmental Research and Public Health.
Prof. Dr.-Ing. Martin Kriegel

Lukas Adrian Jurk

Kirsten Remmers

Dr.-Ing. Wolfgang Sunder

Claudia Kopic

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