Eine gute Balance bei der Gebäudeeffizienz heißt, dass das Gebäude lowtech sein kann und dennoch in seinem thermischen Verhalten die Bedürfnisse der Nutzenden deckt. Gleichzeitig muss Architektur die Nutzung erneuerbarer Energiequellen ermöglichen, was – vor allem im Bestand – eine gestalterische Herausforderung ist. Das Forschungsprojekt Einfach Bauen hatte das Ziel, die Komplexität auf ein Minimum zu reduzieren und sich dem Ziel durch radikale Robustheit zu nähern.
Hintergrund
Eine der größten Herausforderungen bei der Einhaltung der Klimaschutzziele ist die nachhaltige Transformation und die Dekarbonisierung des Gebäudesektors – häufig als Bauwende beschrieben. Ihre Notwendigkeit wird in der Fachwelt nicht in Frage gestellt. Die Gründe und Problemstellungen sind zahlreich, so z.B.:
- Der Gebäudesektor ist in der westlichen Welt für 20 bis 40 % des gesamten Energiebedarfs verantwortlich /1/. In Deutschland selbst werden ein Drittel der CO2-Emissionen durch den Bau und Betrieb von Gebäuden verursacht. Die Carbon Roadmap der Europäischen Union sieht vor, dass, im Vergleich zu 1990, die CO2-Emissionen des Gebäudesektors bis zum Jahr 2050 um 90 % zu reduzieren /2, 3/.
- Um die nationalen Klimaschutzziele zu erreichen, soll bis zum Jahr 2050 der Primärenergiebedarf des Sektors um 80 % gegenüber dem Jahr 2008 sinken /3/.
- Auf den Gebäudesektor entfallen während Herstellung, Bau und Betrieb etwa 50 % der weltweit verarbeiteten Rohstoffe /3/.
- Deutschland verpflichtet sich laut KSG zur Klimaneutralität bis 2045. Bereits bis 2030 sollen die Emissionen um 65 % in 2030 verglichen mit 1990 sinken, bis 2040 müssen es 88 % sein /4/.
Wissenschaftliche Studien zeigen, dass der real gemessene Energieverbrauch oft deutlich größer ist als der in der Planung berechnete /5, 6/. Eine umfangreiche englische Studie untersuchte knapp 60.000 Bildungseinrichtungen mit dem Ergebnis, dass 95 % den vorhergesagten Energiebedarf überschreiten /7/. Diese Diskrepanz wird als Performance Gap bezeichnet. Das Missverhältnis resultiert aus der Differenz zwischen Prognose und Realität, insbesondere bei den Präferenzen der Nutzenden /6/.
Diesen Einfluss zeigt auch das Forschungsprojekt e%– Energieeffizienter Wohnungsbau der TU München im geförderten Geschosswohnungsbau /8/. Es fällt auf, dass der Performance Gap bei Gebäuden umso größer ausfällt, je komplexer das Technikkonzept ist. Die Studien zeigen den eklatanten Mangel an Qualitätssicherung im Bauwesen. Für eine zwingend erforderliche Verbesserung lassen sich zwei durchaus konträre Ansätze ableiten:
- Hightech: Optimierung der Gebäudetechnik, vor allem der Mess-, Steuer- und Regelungstechnik (MSR); ggf. mit einem smarten Nutzerinterface.
- Lowtech: Optimierung der Architektur mit dem Ziel, den Bedarf an Technik zu minimieren.
Hightech versus Lowtech?
Energieeffizienz war in der vergangenen Dekade vor allem technologisch getrieben. Doch es gibt ein Umdenken. Neben einem angemessenen Einsatz von Technologie werden die richtigen Bilanzgrenzen diskutiert, etwa der quartiersbezogene bzw. städtische Maßstab zusätzlich zur Gebäudeebene. Außerdem wird die Aufenthaltsqualität in die Betrachtung einbezogen. Hinzu kommen die Nutzer, die durch ihr Verhalten häufig die getroffenen technischen Maßnahmen konterkarieren. Architekten und Ingenieure sprechen von einem Nutzerfehlverhalten, wobei zu hinterfragen ist, ob es sich tatsächlich um eine Fehlnutzung oder einen von vornherein falschen Ansatz handelt.
Einen Gegenpol bilden eine Reihe neuer Gebäude, nach dem Prinzip Lowtech entwickelt. Passive Strategien, wie aus vernakularer Architektur bekannt, zeigen, dass die Aufenthaltsqualität bei minimiertem Einsatz von Klimatechnik optimiert werden kann. Auf Basis der adaptiven Komfortstandards (DIN EN 16798) kann man zeigen, dass die Aufenthaltsqualität in historischen Gebäuden relativ hoch ist. Die gläserne Architektur des 20. Jahrhunderts und der Glaube an Technik hat zu einer Aufrüstung der Gebäude beigetragen. Viele wurden mit Klimatechnik ausgestattet, ohne die Aufenthaltsqualität ganzheitlich zu betrachten, was häufig zu einer Unzufriedenheit bei den Nutzern führte.
Was kann Lowtech-Architektur leisten?
Im Rahmen der Buchreihe DBU Bauband stellte die TU München ihre Messungen zur Aufenthaltsqualität in 12 Schulen verschiedener Epochen vor /9/. Das älteste betrachtete Gebäude ist die Staatliche Grundschule an der Haimhauserstraße in München, 1897/98 von Theodor Fischer erbaut. Mit einer Raumhöhe von fast 4 m und einer Grundfläche von 82 m2 je Klassenraum ist das Luftvolumen pro Schüler ca. doppelt so groß wie in einer vergleichbaren modernen Schule. Aufgrund der Raumhöhe erreichen die hohen Fenster bei geringem Fensterflächenanteil eine gute und gleichmäßige Belichtung der Unterrichtsräume. Aus diesem Grund und wegen der thermischen Masse ist der sommerliche Komfort, trotz nicht vorhandenen Sonnenschutzes, im Vergleich zu allen Schulen ohne maschinelle Kühlung am besten. Das große Luftvolumen hat außerdem zur Folge, dass die Häufigkeit eingeschränkter Luftqualität im Winter für eine natürlich belüftete Schule vergleichsweise gering ist. Selbst die energetische Betrachtung zeigt, dass das Gebäude nur 20 bis 30 % schlechter abschneidet als eine moderne Hightech-Schule /9/.
Das Beispiel zeigt, was passive Ansätze leisten können; gleichzeitig wurde in den letzten Jahrzehnten die Leistungsfähigkeit diverser Materialien stetig weiterentwickelt. In diesem Zusammenhang ragt das Bürogebäude 2226 von Baumschlager Eberle Architekten heraus, das nach eigenen Angaben komplett ohne Heizungs-, Lüftungs- und Klimatechnik (HLK) auskommt und gleichzeitig in der Lage ist, komfortable Innenraumverhältnisse (22–26 °C) zu gewährleisten /10/.
Kann Einfach Bauen eine robuste Architektur schaffen?
Der International Style mit seiner Idee von räumlicher Qualität, architektonischem Ausdruck und Ingenieurbaukunst muss im Sinne der Nachhaltigkeit neu gedacht werden. Robustheit kann eine Antwort sein. Ein robustes System ist weniger anfällig gegenüber klimatischen Schwankungen, Nutzerverhalten oder baulichen Mängeln. Eine detaillierte Modellierung ermöglicht es, verschiedene Parametersätze zu testen. Eine robuste Optimierung ist in vielen Industriezweigen Stand der Technik, hat jedoch im Bauwesen noch keinen Einzug gehalten. Gleichzeitig bestehen gerade hier unsichere Randbedingungen. Eine robuste Optimierung lässt sich – im Gegensatz zu Begriffen wie Lowtech – wissenschaftlich beschreiben /11/.
Im Kontext einer robusten Optimierung manifestiert sich seit 2016 der Verbund Einfach Bauen von Lehrstühlen der TU München, die den Ausgangspunkt zu einer neuen, gegenläufigen Bauentwicklung schaffen wollen. Die Strategie umfasst unter anderem die Reduktion der Gebäudetechnik, monolithische, klimatisch träge Bauten und angemessene Fensterflächen.
Im ersten Teil der Forschung wurden die Wechselwirkungen von Raum, Konstruktion und Gebäudetechnik untersucht. Knapp 3.000 Varianten von Raummodellen wurden thermisch-dynamisch simuliert, wobei neben der Bauweise auch die Himmelsrichtung, die Raumtiefe und Raumhöhe, der Fensterflächenanteil, die Art der Verglasung sowie die Schichtdicke der Außenwand parametrisiert untersucht wurden. Auf der Gebäudeebene wurde eine Lebenszyklusanalyse durchgeführt.
Die theoretische Grundlagenforschung ermittelte als wesentliche Elemente des Einfachen Bauens:
- Sortenreinheit
- einschichtige Wand- und Deckenkonstruktionen
- klimatisch träge Bauteile durch Speichermasse
- angemessene Fensterflächen ohne Sonnenschutz, natürliche Fensterlüftung
- wenig Aufwand für den Betrieb durch geringe Komplexität
- keine kontrollierte (maschinelle) Lüftung
- konsequente Trennung von Gebäude und Techniksystemen.
Darauf aufbauend wurden von Florian Nagler Architekten drei Wohngebäude geplant und in Bad Aibling errichtet. Technische Installationen wurden minimiert und bauliche Details systematisch vereinfacht. Die drei Gebäude sind monolithisch aus Holz, Ziegelmauerwerk oder Infraleichtbeton gebaut. Der technische Ausbau ist sichtbar und zugänglich installiert.
Forschungshäuser in Bad Aibling – Lessons Learned
In den drei Gebäuden wurden in jeweils zwei Wohnungen zahlreiche Daten wie Lufttemperatur und Luftfeuchte, Lüftungsverhalten, Wärmebedarf usw. erfasst. Die nachfolgenden Grafiken zeigen den gemessenen thermischen Komfort nach DIN EN 16798 im Wohnzimmer der Südwohnungen. Jeder Punkt entspricht einem über eine Stunde gemittelten Messwert (Nutzer anwesend). Es wird zwischen der Komfortdarstellung nach dem deutschen Anhang (Grafiken links) und nach den adaptiven Komfortstandards (Grafiken rechts) differenziert.
Eine Betrachtung der gemessenen operativen Temperaturen gemäß dem deutschen Anhang zeigt, dass in zahlreichen Räumen das Komfortband im Winter unter- und bereits in der Übergangszeit überschritten wird. An heißen Tagen werden die Komfortstandards eingehalten. Sowohl die Unter- als auch die Überschreitung könnte durch die Nutzer korrigiert werden. Die Heizung ist in der Lage, an kalten Tagen eine Mindesttemperatur von 20 °C bereitzustellen. Bei der Überschreitung zeigt sich, dass dies häufig bei Außentemperaturen unter 25 °C der Fall ist. Entsprechend kann durch das Öffnen der Fenster Wärme effektiv abgeführt und eine Überhitzung vermieden werden. Demgegenüber zeigt die Darstellung nach den adaptiven Komfortstandards ein sehr gutes Ergebnis. Die Anzahl der gemessenen Wohnungen ist zu gering, als dass sich daraus ein verallgemeinerbares Ergebnis ableiten ließe. Es zeigt sich jedoch die eindeutige Tendenz, dass die adaptiven Komfortstandards die Nutzerbedürfnisse besser abbilden als der deutsche Anhang.
Der Wärmebedarf – Raumwärme und Warmwasserbereitung – ist in der Grafik dargestellt. Die sechs gemessenen Wohnungen weisen keinen Performance Gap auf und der gemessene Wärmebedarf unterschreitet den nach dem GEG prognostizierten Bedarf teilweise deutlich. Die Hypothese der Robustheit konnte damit nachgewiesen werden. Auch dieses Ergebnis ist aufgrund der limitierten Anzahl von Wohnungen als Tendenz zu sehen.
Fazit
Die Messungen an der Schule von Theodor Fischer aus dem Jahre 1898 ebenso wie die Ergebnisse der Wohngebäude in Bad Aibling zeigen, was eine robuste Lowtech-Architektur leisten kann. Es gibt in der Abwägung zwischen High- und Lowtech kein Richtig und kein Falsch. Gebäude werden stets ein gewisses Maß an technischer Ausstattung brauchen. Es geht nur um die Frage der Balance und ob das Pendel in der letzten Dekade – durchaus getrieben von dem Ziel der Energieeffizienz – zu sehr in Richtung Technik ausschlug. Angesichts der mangelnden Qualitätssicherung und den hohen Kosten für Wartung usw. muss dieser Ansatz in Frage gestellt werden.
So wurde in der Schule von Florian Nagler und Hermann Kaufmann in Diedorf für eine optimale Energieeffizienz modernste Technik eingesetzt /9/. Die räumlichen Anforderungen für eine Lüftungstechnik mit minimalem Strombedarf sind gewaltig. Jeder Klassenraum hat einen CO2- und einen Anwesenheitssensor, so dass eine bedarfsgerechte Lüftung mittels variabler Volumenstromanlage möglich ist. Im Rahmen eines Forschungsprojekts gab es nach Fertigstellung ein dreijähriges Monitoring.
Der komplette Gebäudesektor muss CO2-neutral werden. Sollten daher alle Schulen nach diesem Modell neu errichtet oder umgebaut werden? Vorher müssen folgende Fragen gestellt werden:
- Kann die enorm große Lüftungstechnik in bestehenden Schulen integriert werden?
- Welche Büros bzw. Forschungseinrichtungen sollen das erforderliche Monitoring leisten? Über 30.000 allgemeinbildende Schulen in Dt.
- Gibt es genügend Facharbeiter, die den Umbau durchführen können?
- Gibt es die vielen geschulten Facility Manager, die man für den Betrieb benötigt?
- Gibt es die finanziellen Mittel, die für Wartung und Instandhaltung dieser Anlagen erforderlich sind?
Wenn wir diese Fragen nicht mit einem ja beantworten, dann kann im Umkehrschluss die Schule in Diedorf kein Modell sein, das man ausrollen kann. Es zeigt sich, dass es andere Konzepte braucht, und dass wir uns mit Lowtech-Ansätzen, kombiniert mit einer robusten Architektur, beschäftigen müssen!
Literaturhinweise
/1/ Pérez-Lombard, L. et al.: A review on buildings energy consumption information, In: Energy and Buildings, Vol. 40, S. 394–398, Amsterdam 2008
/2/ European Commission (2018): 2050 low-carboneconomy. Website besucht am 17.6.2019. https://ec.europa.eu/clima/policies/strategies/2050_en
/3/ BMWi (2016): Grünbuch Energieeffizienz. Diskussionspapier des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi). Berlin
/4/ Klimaschutzgesetz und Klimaschutzprogramm, Pressemitteilung der Bundesregierung (2023) https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/klimaschutzgesetz-2197410
/5/ BINE: Nutzerverhalten bei Sanierungen berücksichtigen, BINE Informationsdienst, Projektinfo 02/2015, Energieforschung konkret, Aachen: E.ON Energy Research Center der RWTH Aachen University, 2015
/6/ Delzendeh, E. et al. (2017): The impact of occupants’ behaviours on building energy ana- lysis: A research review. Renewable and Sustainable Energy Reviews, vol 80, 1061–1071
/7/ Education Funding Agency: Property data survey programme. Summary re- port. London: 2015. https://assets.publishing.service.gov.uk/government/ uploads/system/uploads/attachment_data/file/402138/PDSP_Summary_Report.pdf [Stand: 22.03.2022]
/8/ Oberste Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr (Hrsg.): e% – Energieeffizienter Wohnungsbau. Abschlussbericht der wissenschaftlichen Begleitung. Projektevaluation der wissenschaftlichen Begleitung des Modellvorhabens „e%– Energieeffizienter Wohnungsbau“, München: 2017
/9/ Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) (Hrsg.): Zukunftsfähiger Schulbau. 12 Schulen im Vergleich. Bauband 2. Osnabrück: 2017
/10/ Eberle, D.; Aicher, F. (Hrsg.): be 2226. Die Temperatur der Architektur. Portrait eines energieoptimierten Hauses. Basel: Birkhäuser, 2015
/11/ Rhein, B.: Robuste Optimierung mit Quantilmaßen auf globalen Metamodellen, Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Universität zu Köln, Geilenkirchen/Köln 2014
Prof. Dipl.-Ing. Thomas Auer
Marie Werkhausen
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