Wärmesektor spielt entscheidende Rolle bei der Energiewende
Das Neuartige des Modells ist einerseits die ganzheitliche Betrachtung des Strom- und Wärmesektors, einschließlich der Reduktion des Energieverbrauchs durch energetische Gebäudesanierung. Andererseits wurde eine systematische Optimierung vorgenommen, um aus der Vielzahl denkbarer Kombinationen aus Technologien und Effizienzmaßnahmen ein volkswirtschaftliches Optimum zu ermitteln.
Was kostet die Energieversorgung im Jahr 2050?
„Wie könnte unsere Energieversorgung 2050 aussehen und was kostet sie? Diesen Fragen sind wir in einer stundenweisen Simulation von Strom- und Wärmesektor nachgegangen“, erläutert Dr. Hans-Martin Henning die Ziele der Studie. Er ist stellvertretender Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE und Leiter des Bereichs Thermische Anlagen und Gebäudetechnik. Mehrere Varianten wurden berechnet und stimmen in einem Punkt überein: Ein vollständig auf erneuerbaren Energien basierendes Energiesystem führt nach erfolgter Transformation zu jährlichen Gesamtkosten, die nicht höher liegen als die jährlichen Gesamtkosten unseres heutigen Energiesystems – und zwar basierend auf heutigen Energiepreisen (also ohne Einbeziehung zukünftiger Steigerungen der Preise fossiler Energieträger). Dabei wurden für neue Technologien die Kosten nach Erreichen der Marktreife und hoher Marktdurchdringung gemäß einer Analyse der Internationalen Energieagentur IEA zu Grunde gelegt. Die Sektoren Mobilität und industrielle Prozesswärme sind nicht Bestandteil der zeitaufgelösten, stündlichen Modellierung. Ihr Beitrag zum Energieverbrauch wird jedoch in der Gesamtbilanz mit berücksichtigt.
Energetische Gebäudesanierung spielt wichtige Rolle
Die energetische Gebäudesanierung spielt für die Energiewende eine entscheidende Rolle. Ohne eine Reduzierung des Heizenergiebedarfs auf etwa 50 % des heutigen Werts reicht das technische Potenzial von Wind und Sonne nicht aus, um eine sichere Versorgung zu gewährleisten. Umgekehrt reduziert die Einbeziehung des Wärmesektors und die entsprechende Berücksichtigung von Wärmespeichern die nötigen elektrischen Speichergrößen erheblich.
Unter Berücksichtigung realistischer technischer Potenziale umfasst ein denkbares „100 Prozent“-Szenario 170 GW Windenergie auf dem Land und 85 GW offshore, 200 GW Photovoltaik und 130 GW Solarthermie.
Gegenüber heute bedeutet das bei Windenergie auf dem Land einen Faktor sechs, bei Photovoltaik sieben. Es gäbe auch viele zentrale Wärmespeicher, wie sie in Dänemark seit vielen Jahren erfolgreich im Einsatz sind und stark weiter ausgebaut werden. Es wurde davon ausgegangen, dass nur ein kleiner Anteil der bereits heute genutzten Biomasse (jährlich 50 TWh) für den Strom- und Wärmesektor verwendet werden, so dass die restliche Biomasse für Verkehr und industrielle Prozesse zur Verfügung steht.
Bei einem voll erneuerbaren und autarken System wären 70 GW Power-to-Gas-Anlagen nötig, die Überschussstrom in synthetisches Erdgas umwandeln. 95 GW zentrale Gaskraftwerke – teilweise mit optionaler Wärmeauskopplung zur Einspeisung in Wärmenetze – würden für die Rückverstromung sorgen; diese Kraftwerke dienen der komplementären Stromversorgung bei nicht ausreichender Leistung aus Wind und Sonne.
Mehrere Millionen Simulationsläufe
Die vollständige Deckung mit erneuerbaren Energien ist ein Extrem-Szenario. Deutschland ist in ein europäisches Verbund-Stromnetz eingebunden und zudem werden fossile Energien in den nächsten Jahrzehnten noch eine wesentliche Rolle spielen. Deshalb wurden auch Rechnungen mit Stromimport und -export und fossilen Energien durchgeführt. Unter diesen Bedingungen verringern sich die Extremwerte der installierten Leistung deutlich. So wird die Umwandlung von Strom in synthetischen Brennstoff (Power-to-Gas) erst benötigt, wenn der Anteil der erneuerbaren Energien an Strom und Wärmeversorgung 70 % übersteigt. Diese Rechnungen geben zugleich Hinweise auf den Weg der Transformation unseres Energiesystems.
„Für die Studie wurde ein komplettes Energiesystem im Strom- und Wärmesektor mit Speichern und Verbrauch simuliert. Dabei haben wir für jede Stunde des Jahres die Versorgung detailliert berechnet“, so Dipl.-Ing. Andreas Palzer, der gemeinsam mit Hans-Martin Henning die Varianten errechnete. Zur Kostenoptimierung wurde in mehreren Millionen Simulationsläufen das gesamte Energiemodell für ein vollständiges Jahr in dieser Weise durchgerechnet.
„Wir wollten auf wissenschaftlicher Basis zeigen, was und zu welchen Kosten unter Einbeziehung heute grundsätzlich verfügbarer Technologien möglich ist. Die Entscheidung über die tatsächliche Ausgestaltung ist eine gesellschaftlich-politische Aufgabe“, hebt Henning hervor. Und weiter: „Erforderlich ist sicher ein flexibler Mix, der neben Technik und Ökonomie auch Aspekte wie Landschaftsplanung, Akzeptanz und die Einbeziehung vieler Investoren umfasst“.