Wärme für Neubau, Bestand und Denkmalschutz

Rensburger Stadtwerke gehen ideenreich die Wärmewende an

Die Rendsburger Stadtwerker stellen aus Kälte Wärme her und umgekehrt. Dazu haben sie im „Energiequartier Neuwerk Süd“ – nahe des Nord-Ostsee-Kanals – ein kluges System aus Eisspeicher, Wärmepumpen und Solar-Luftabsorber installiert. Das klimaschützende Pilotprojekt soll im Land Schleswig- Holstein Schule machen, um Treibhausgasemissionen erheblich zu senken.

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Der unterirdische Betonbehälter des Eis-Energiespeichers fasst 560 m³ Wasser als Speichermedium. Bild: Stadtwerke SH GmbH & Co. KG
Der unterirdische Betonbehälter des Eis-Energiespeichers fasst 560 m³ Wasser als Speichermedium. Bild: Stadtwerke SH GmbH & Co. KG

Schleswig-Holstein nimm die Energiewende ernst und startet seit 2017 durch. Beim Einsatz erneuerbarer Energien im Stromsektor steht das Land bundesweit auf Platz 1. Zunehmend legt es den Fokus auf nachhaltige Wärmeversorgung und möchte hier den Anteil erneuerbarer Energien am Endenergieverbrauch bis 2025 von heute 14 % auf 22 % erhöhen. Die Stadt Rendsburg am Nord-Ostsee-Kanal setzt in dieser Hinsicht zweifelsohne Maßstäbe. Bei der energetischen Sanierung ihrer Quartiere entwickelt sie marktfähige Technologien und realisiert diese auch. Jüngstes Beispiel: Der Eis-Energiespeicher im „Energiequartier „Neuwerk-Süd“.

Kontrastreicher könnten die Gebäude auf diesem ehemaligen Kasernengelände an der Kaiserstraße nicht sein. Hier steht das 40 Jahre alte, siebengeschossige Gebäude der Kreisverwaltung Rendsburg-Eckernförde. Gleich daneben der neue viergeschossige Erweiterungsbau. Etwa 150 m weiter befindet sich der „Uhrenblock“, ein denkmalgeschützter Backsteinbau aus dem Jahre 1880 mit Wohnungen und Gewerbe auf 8.500 m2.

Alle drei Quartiere werden jetzt zentral über den neuen Eisspeicher der Stadtwerke Rendsburg beheizt. Der hehre Anspruch besteht darin, jährlich 75 % der fossilen Heizenergie und 200 t CO2-Emissionen einzusparen und damit auch Kosten für Mieter und Vermieter.

Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG)

Die BEG strukturiert seit 2021 bisherige Förderungen der KfW und des BAFA für die Energieeffizienz von Gebäuden neu. Die Richtlinie zur Förderung von Einzelmaßnahmen, worunter auch der Heizungsaustausch zählt, trat bereits am 01.01.2021 in Kraft. Zum 01.07. trat der zweite Programmteil der BEG in Kraft, wonach der Neubau von Wohn- und Nichtwohngebäuden als Effizienzhäuser sowie für die Komplettsanierung auf einen Effizienzhausstandard gefördert wird.

 

Die Ideengeber

Mittlerweile verbraucht der Gebäudesektor in Deutschland fast die Hälfte der erzeugten Energie. Für Dr. Sebastian Krug, Klimaschutzmanager des Kreises Rendsburg-Eckernförde, war das Ansporn genug, bereits 2014 das Projekt „Wärmewende“ anzuschieben. Neben dem Kreis gewann er die Stadt Rendsburg, die Stadtwerke Rendsburg und die Betreiber des „Uhrenblocks“ für sein Vorhaben. „Es war gar nicht so einfach, dieses schließlich zu realisieren“, schildert heute Ulrich Kittmann, Projektmanager „Eisspeicher“ bei den Stadtwerken. „Erste Bedingung damals war, eine Variante aufzuzeigen, die sich wirtschaftlich wie ökologisch rechnet. Sie sollte sich gegenüber der herkömmlichen auf Erdgasbasis nicht verteuern und langfristig stabil bleiben.“

Bekanntlich sind Anforderungen an Gebäude und deren Energiesysteme umfassend und sehr streng. Noch dazu, wenn es sich wie beim „Uhrenblock“ um den Bereich Denkmalschutz handelt. Deshalb gründete sich eine Arge kompetenter Partner, bestehend aus den Kieler Unternehmen wortmann Energie, IPP/ESN (Power Engineering GmbH) sowie der Viessmann Eis-Energiespeicher GmbH, Allendorf, als Technologieentwickler. Zudem holten sie sich die Metternich Haustechnik GmbH, Windeck, mit ins Boot.

Viele Überlegungen und vier Machbarkeitsstudien standen zur Diskussion, bis die Idee vom Eisspeicher als Nahwärmelösung alle Beteiligten überzeugte.

Die Stadtwerker nahmen 1,1 Mio. Euro in die Hand, um das kreative Konzept umzusetzen. 180.000 Euro steuerte das Land Schleswig-Holstein bei.

Das Baugeschehen dauerte von 2016 bis 2018. 2019 ging die gesamte Anlage in Betrieb. „Und sie hält, was sie verspricht“, versichert Ulrich Kittmann. „Während herkömmliche Speicher Wärme auf hohem Temperaturniveau speichern, managen wir Wärme mit dem Eis-Energiespeicher verlustfrei auf niedrigem Temperaturniveau im Vergleich zu herkömmlichen Fernwärmenetzen.

Der Eisspeicher, kombiniert mit Elektro- und Erdgaswärmepumpen sowie einem Erdgaskessel als Spitzenlastkessel, stellt zweifelsohne eine zukunftsfähige Schlüsseltechnologie für das Heizen und Kühlen unserer Quartiere dar.“

Kluges Prinzip

Das Herzstück der Eisspeicheranlage bildet ein 14 m breiter und 4 m hoher unterirdischer Wasserbehälter aus Beton. Mit 560 m3 Fassungsvermögen wurde er von Viessmann genau dem Gebäudebedarf an Wärme und Kälte angepasst. Der entspricht hier etwa dem von 60 bis 70 Einfamilienhäusern.

Durch den Speicher windet sich ein 25 km langes Rohrsystem, ähnlich einem Tauchsieder. Darin fließt ein frostsicheres Sole-Wassergemisch. Es entzieht dem Wasser so lange Energie, bis es gefriert. In der Phase, in der Wasser seinen Aggregatzustand wechselt, wird Energie, d. h. Erstarrung- bzw. Kristallisationsenergie, freigesetzt. Und zwar genauso viel, wie ein Liter Wasser beim Erhitzen von 0 auf 80 °C braucht. Ein Zahlenbeispiel soll den Effekt verdeutlichen: 10 m3 Wasser (10.000 l) können etwa genau so viel Energie erzeugen wie 100 l Heizöl.

Über die Rohrleitung im Speicherinneren gelangt die Wärmeenergie zu den hocheffizienten Wärmepumpen in den Gebäuden. Dabei handelt es sich um zwei elektrische Wärmepumpen (Viessmann Vitocal 300-G-Pro-BW 302.C090), zwei Sole-Wasser-Wärmepumpe sowie drei Gas Absorptionswärmepumpen der Firma Robur (Typ Vitodens 200W). Die wiederum leiten die Wärme in die konventionellen Heizkörper der Gebäude weiter. Das Eis muss erst tauen, bevor der Gefrierprozess erneut starten kann. Hier kommt der so genannte „Energie-Zaun“ mit 36 Kollektoren ins Spiel. Er steht auf dem Gelände genau über dem Eisspeicher und liefert dem Speicher über Solar-Luftabsorber die nötige Energie im Tauprozess.

„Von Vorteil ist außerdem“, so Ulrich Kittmann weiter, „dass wir die Gebäude über den Eisspeicher nicht nur mit Wärme versorgen. In den Sommermonaten können wir damit auch kühlen und dabei den Eisspeicher regenerieren. Wir nennen die Phase ‚Natural Cooling‘. Zudem ist der Eisspeicher wartungsfrei, was uns auch erheblich Kosten spart.“

Noch eine weitere Besonderheit der Technologie ist zu nennen. Die Wärmetauscher innerhalb des Eisspeichers sind so angeordnet, dass das Wasser von unten nach oben und von innen nach außen, also entgegen der natürlichen Eisbildung, gefriert. Somit bleibt der Betonbehälter vor Schäden (Sprengwirkung) geschützt.

Bereits jetzt spart die Anlage den Stadtwerkern 70 % herkömmlicher Heizenergie und 200 t Treibhausemissionen jährlich, was ungefähr 27 Pkw-Fahrten um die Erde gleichkommt. Die Heizleistung aller Gebäude beträgt etwa 900 kW.

Wie der Projektmanager hervorhebt, gelang es in Rendsburg zudem deutschlandweit erstmalig, ein denkmalgeschütztes Gebäude ganzjährig solar zu beheizen. Somit ist die Stadt ihrem Ziel, 15 Jahre früher als der Bund CO2-neutral zu werden, wieder ein Stück nähergekommen.

Eigens erschaffene Förderung motiviert Nachahmer

Obwohl sich europaweit Wärmekonzepte mit Eisspeicherenergie als kostengünstigere Alternative zu Erdwärmesonde oder Erdkollektoren zunehmend durchsetzen, hinkt Deutschland immer noch hinterher. Doch gerade ländlich geprägte Gebiete mit großzügigen Flächen wie Schleswig-Holstein bieten sich für die kombinierte und intelligente Nutzung der regenerativen Energien Wasser, Sonne, Erdwärme und Biomasse an. Der Eis-Energiespeicher stellt dabei sicher die derzeit fortschrittlichste Energiequelle am Markt dar. Noch dazu ist das System genehmigungsfrei und überall – sogar in Wasserschutzgebieten– einsetzbar. „Der Einsatz von Eisspeichern ist überall möglich, wo es unbebaute Flächen gibt. Da können unterirdischen Betonbehälter einfach und kostengünstig gebaut werden, egal, welcher Größe. So lassen sich Eisspeicher variabel an jede moderne Heizungsanlage anschließen“, bekräftigt Kittmann.

Ein großer Verdienst der Rendsburger ist, dass die erfolgreiche Umsetzung ihres Projekts eine Landesförderung für nachhaltige Wärmeversorgung initiierte, die es vorher nicht gab. Mit dem neuen Förderprogramm halten Kommunen, Verbände und Investoren jetzt ein starkes Instrument für den Klimaschutz in der Hand, das motiviert. Demnach werden bis zu 50 % der Investitionskosten für neue Wärmenetze, Heizungsanlagen und Speichersyteme gefördert, wenn mindestens 50 % erneuerbare Energien zum Einsatz kommen. Zudem muss dabei eine CO2-Einsparung gegenüber bisheriger Wärme- oder Kälteversorgung erreicht werden. Die Mindestförderung macht immerhin 50.000 Euro aus. Maximal gibt es 1 Mio. Euro pro Projekt. Dafür stehen insgesamt stehen 5 Mio. Euro aus dem europäischen Fördertopf für regionale Entwicklung (EFRE) bereit. Eine beachtliche Summe also, die abgerufen werden kann.

Es ist viel Bewegung in die Stadtwerke Schleswig-Holsteins als Hauptenergieversorger gekommen. Seit diesem Jahr bündeln die Rendsburger Stadtwerke beispielsweise ihre Kraft mit den Schleswiger Stadtwerken sowie den Stadtwerken Eckernförde in einem Energie-Verbund. Sie wollen ab sofort gemeinsam in klimaschonende Wärmeversorgung ihrer Quartiere investieren, aber auch in neue Speichertechnologien, E-Mobilität und Brennstoffzellentechnik, um so dem Klimawandel in ihrer Region Paroli zu bieten.

Bärbel Rechenbach

Bärbel Rechenbach
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Rensburger Stadtwerke gehen ideenreich die Wärmewende an
Seite 47 bis 49
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