Task Force Quartiere

Eine alternative Sanierungsstrategie

Die milliardenschwere Sanierungsstrategie im Gebäudesektor der letzten 30 Jahre ist fundamental gescheitert. In einer gesunden Volkswirtschaft müsste die jährliche Sanierungsrate bei 2% liegen, damit der Gebäudebestand alle 50 Jahre einmal überholt bzw. modernisiert wird. Sie lag jedoch bislang immer weit unter 1%, trotz staatlichen Geldsegens. Gebäudeeigentümer:innen hielten sich zurück, denn beim bestehenden Ansatz zur Ertüchtigung von Gebäuden stehen Kosten und Nutzen hinsichtlich klimaschädlicher Emissionen in keinem optimalen Verhältnis. Auf diese Weise lässt sich keine sozialgerechte Sanierung des Gebäudebestandes umsetzen. Ein Plädoyer.

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1 - Um die Klimaziele zu halten, müssten die Emissionen im Gebäudesektor deutlich schneller sinken als bislang. Bild: Stock.adobe.com
1 - Um die Klimaziele zu halten, müssten die Emissionen im Gebäudesektor deutlich schneller sinken als bislang. Bild: Stock.adobe.com

Die nötige Transformation schaffen, ohne die Gesellschaft finanziell zu überlasten

Die bisherige Sanierungsstrategie sieht vor, dass Gebäude umfangreich ertüchtigt werden. Gut eingepackt und mit Heizsystemen auf Basis von erneuerbaren Energien versehen, sollen durch die Verringerung des Wärmebedarfs („Efficiency First-Prinzip“) die Emissionen reduziert werden.

Die Lobby der fossilen Technologien verhinderte Emissionsvorschriften im Heizungsgesetz. Die Unkenntnis vieler Menschen um die Zusammenhänge im Energiebereich, verursacht durch Desinformation, führte statt zu einem Sanierungsbooster zu Stillstand. Dabei müssen, anders als vielfach falsch verkündet, für eine Umrüstung auf Wärmepumpen weder die Fenster ausgetauscht und die Gebäudehülle besonders stark gedämmt noch die Heizkörper durch Fußbodenheizung ersetzt werden.

Task Force Quartiere

Der Beitrag ist der Auftakt zu einer Artikelserie, die sich demnächst u. a. mit diesen Themen befasst:

  • Kalte Nahwärmenetze
  • Saisonale Wärmespeicherung
  • Klimaresilienz und Begrünung
  • Finanzierung und Teilhabe

Wer heute über eine nachhaltige Energieversorgung nachdenkt, sollte sich vergegenwärtigen, dass die Preise für Energie schon seit Jahren tendenziell steigen. In den kommenden Jahren werden sie insbesondere bei der Fernwärme förmlich explodieren. Drei Faktoren treiben diesen Preisanstieg:

  1. Die Umrüstung der Fernwärmekraftwerke auf erneuerbare Energie kostet viel Geld. Großwärmepumpen benötigen in diesem Zusammenhang eher teuer zu erschließende Umweltwärmequellen und können die für vorhandene Verteilnetze erforderlichen Hochtemperaturen zumeist nur mit geringer Leistungszahl, das heißt hohem Strombedarf, bereitstellen. Alternativen wie „grüner“ Wasserstoff oder Biomasse werden nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung stehen. Bei der Verbrennung von Holz wird überdies das über Jahrzehnte gebundene CO2 sofort wieder freigesetzt – obwohl CO2-Emissionen eigentlich vermieden werden müssen. Die Variante Müllverbrennung von Siedlungsabfällen betrifft zu einem großen Teil Kunststoffe, führt also zu der Ölverbrennung vergleichbaren Emissionen und bedeutet zudem Zerstörung meist wertvoller Rohstoffe, die der Kreislaufwirtschaft zugeführt werden könnten. Wer schließlich die Tiefe Geothermie als künftigen Game Changer sieht, sollte seine Hoffnungen angesichts der komplexen Umsetzung und noch komplexeren Genehmigungsverfahren, geologischer Unwägbarkeiten und der Preisentwicklung eingrenzen.
  2. Fernwärme-Verteilnetze erfordern nicht nur hohe Investitionen für die Errichtung, sondern sind auch im Betrieb verlustbehaftet; zudem ist die Anschlussquote nicht sicher kalkulierbar. Vergleichbar den Gasnetzen, deren Abnehmerzahl fortlaufend sinkt, könnten sich die Netzkosten auf immer weniger Schultern verteilen und damit für die verbleibenden Abnehmer steigen.
  3. Der aktuell zu niedrige CO2-Preis wird in den kommenden Jahren massiv steigen. Derzeit bei 55 €/t, hätte er Berechnungen des UBA zufolge 2024 bei 880 €/t liegen müssen1, um die Klimafolgeschäden abzubilden. Den unvermeidlichen Anstieg werden die Endverbraucher:innen tragen müssen.

Weg aus dem Dilemma

Die Preise für Gas und Öl sind unangemessen niedrig, die Folgekosten werden nicht gerecht verteilt. Doch ein sozial gerechter Ausweg ist möglich. Dabei sollten wir uns in einem Punkt einig sein: Fossile Emissionen sind der Haupttreiber des Klimawandels, also gilt es sie zu verhindern.

Den kostenintensiven Weg über den Umbau unserer Gebäude haben wir bereits erfolglos versucht. Förderprogramme des Staates basieren bislang auf der Annahme, dass der Weg über besonders viel Dämmung der Gebäudehülle führt. Bei der Dämmung werden jedoch zunächst enorme Mengen an so genanntem „grauen“ CO2 emittiert, da neue Fenster und Dämmmaterialien teilweise mit hohem Ressourcenverbrauch und fossilem Energieaufwand produziert werden müssen. Erst nach dem Einbau helfen sie die Emissionen im Gebäudebetrieb zu reduzieren.

Wird das Gebäude statt mit Gas oder Fernwärme mit einer Wärmepumpe und einer Stromversorgung über die eigene Photovoltaikanlage beheizt, sollte zudem berücksichtigt werden, dass ab einer gewissen Dämmstärke der Aufwand zur Herstellung jedes zusätzlichen Zentimeters nicht mehr im Verhältnis zu dessen Einsparung von Emissionen liegt.

Sanierung mit Fokus auf Emissionssenkung

Daher braucht es einen Wandel bei der angestrebten Zielgröße. Statt Maßnahmen zur Begrenzung des Energiebedarfs im Gebäudebetrieb müssen solche zur Begrenzung von Treibhausgasemissionen im Gebäudelebenszyklus betrachtet und gefördert werden.

Eine kostensensible Sanierungsstrategie muss zum Ziel haben, dass Nutzerinnen und Nutzer von Gebäuden so zeitnah und so weit wie möglich vom Energiemarkt entkoppelt werden und Wohn- sowie Energiekosten bezahlbar bleiben.

In einem mit Gas oder Fernwärme versorgten Gebäude werden die Kosten zur Bereitstellung von Heizwärme und Warmwasser zu 100 % durch den Energieträger bestimmt. Sowohl der steigende CO2-Preis als auch der kostspielige Umbau der Fernwärme auf erneuerbare Energien und Wasserstoff lässt die Kosten der Wärme aus dem Netz perspektivisch in einem Maß ansteigen, dass viele Haushalte diese in naher Zukunft nicht mehr bezahlen können.

2 - Vollständig fossil beheizte Wohngebäude im Ausgangszustand vor einer Sanierung Bild: eZeit Analytics

Bei einer Versorgung durch eine Wärmepumpe wird der Großteil der benötigten Energiemenge aus der Umgebung gewonnen. Nur der eingesetzte Stromanteil (ca. ¼ der damit gewonnenen Heizenergie, entspricht JAZ 4) muss bezahlt werden. Bei einer Kostensteigerung werden daher nur 25 % des Heizenergieverbrauchs - und nicht 100 % wie bei Gas und Fernwärme - davon betroffen sein. Durch Installation und Nutzung eigener Photovoltaikanlagen kann dieser Anteil zudem deutlich reduziert werden. Der wachsende Anteil regenerativen Stroms im Deutschland-Mix lassen die Klimawirkung einer Wärmepumpe entsprechend sinken.

Wärmepumpen könnten parallel zur alten Anlage sofort in zahllose Gebäude eingebaut werden und 70 bis 80 % der Energieversorgung übernehmen, auch ohne dass zuerst die Fassade gedämmt und Heizkörper kostenintensiv durch Flächensysteme ersetzt werden müssen. Dies ist selbst im Denkmalschutz möglich. Dieser erste Sanierungsschritt, der die Dämmung von Kellerdecke und Kaltdach einschließen sollte, kann warmmietenneutral umgesetzt werden, wenn die Erhöhung der Kaltmiete, Energiekosteneinsparung und Finanzierung zusammen betrachtet werden. Weitere Maßnahmen im Rahmen des ersten Sanierungsschritts sind der Einbau einer Abluftwärmepumpe, einer PV-Anlage auf dem Dach und einer Solewärmepumpe im Keller mit Erdwärmesonden (Bild3, Darstellung der Dämmung in gelb, Wärmepumpen in grün). Alternativ kann eine kostengünstigere, aber auch lärmintensivere Luftwärmepumpe zum Einsatz kommen.

3 - Gebäudezustand nach Durchführung von Sanierungsschritt 1: Dämmung Kellerdecken und Kaltdach, Einbau einer Abluftwärmepumpe und einer PV-Anlage auf dem Dach und einer Solewärmepumpe im Keller. Die Wärmepumpen sind grün dargestellt. Zwischen den Gebäuden befinden sich Erdwärmesonden. Bild: eZeit Analytics

Dieser erste Sanierungsschritt, im Beispielgebäude betragen die Investitionskosten für energetische Maßnahmen ca. 300 €/m², bedeutet faktisch eine Entkopplung vom fossilen Energiemarkt. Damit erhöht sich zum einen der Wert des Gebäudes. Zum anderen profitiert die Mieterschaft von niedrigeren Heizkosten. Die CO2–Emissionen können um mehr als 70% oder 20–25 kg pro m² Wohnfläche und Jahr sinken. Damit entfällt auch das Risiko einer explodierenden CO2-Bepreisung.

Im Regelfall kann die Sanierung problemlos im bewohnten Zustand erfolgen. Und natürlich profitieren die Mietenden auch bei der Behaglichkeit: Die Bewohner:innen in der Erdgeschosswohnung beklagen sich im Winterfall nicht mehr über kalte Füße und für die Bewohner des Dachgeschosses verbessert sich der sommerliche Wärmeschutz. Zusätzlich wird wertvolle Zeit für die Vorbereitung des zweiten Sanierungsschrittes gewonnen.

Fassade und Fenster müssen nun erst saniert werden, wenn ihr Alter es erfordert. Bis die Gebäudehülle ertüchtigt wurde, bleibt der alte Heizkessel zur Spitzenlastabdeckung in Betrieb. Auch die Heizkörper müssen nicht zwingend ausgetauscht werden, wie verschiedene Praxisbeispiele zeigen.

Wird nun fünf Jahre später der zweite Sanierungsschritt angegangen und das Gebäude nach den Mindestanforderungen des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) gedämmt (Bild 4), lassen sich mit 300 €/m² Investitionskosten weitere 50 % der Treibhausgasemissionen einsparen. Diese jährliche Einsparung bezieht sich durch den wachsenden Anteil regenerativen Stroms im Deutschland-Mix nun aber auf einen sowieso schon niedrigeren Wert und beläuft sich auf ca. 5 kg CO2/m² Wohnfläche. Mit einem erneuten Kostenaufwand von weiteren 300 €/m² für die Sanierung zu einem Effizienzhaus 55 können nochmal 1–2 kg eingespart werden.

4 - Gebäudezustand nach Durchführung von Sanierungsschritt 2: Fassadendämmung durch Wärmedämmverbundsystem Bild: eZeit Analytics

Dabei sollte Folgendes auffallen: Die CO2-Emissionssenkung von jährlich 25 kg aus Schritt 1 sowie die weiteren 5 bzw. 1–2 kg aus Schritt 2 und einem weiteren erfordern jeweils den gleichen Kostenaufwand pro m² Wohnfläche. Zusätzlich verringern sich kontinuierlich die Treibhausgasemissionen durch den immer grüner werdenden Strommix.

Es ist mindestens fraglich, ob die Kosten für die Einsparung der wenigen verbleibenden Emissionen nach Sanierung zu einem Effizienzhaus 55 in einem wirtschaftlich vernünftigen Verhältnis stehen, ökologisch und auch sozial vertretbar sind. Immerhin werden diese Kosten auf die Miete umgelegt. Durch zahlreiche Untersuchungen kann nachgewiesen werden, dass dies nicht der Fall ist.2

    Bei der Sanierung zu einem Effizienzhaus muss daher der Nachweis erbracht werden, dass es durch die erhöhte Dämmung zu einem ökologischen Mehrwert kommt. Der Fokus wird jedoch auf die CO2-Emissionen und nicht auf den Energiebedarf zu legen sein. Andernfalls werden Gelder ausgegeben, die in einer ganzheitlichen Betrachtung zu keiner nennenswerten Einsparung fossiler Emissionen führen. Dieser Nachweis muss insbesondere dann eingefordert werden, wenn Gebäude statt mit nachwachsenden Dämmstoffen, die Kohlenstoff binden, mit Styropor oder Mineralwolle eingepackt werden, deren Herstellung CO2 freisetzt. Der Marktanteil letzterer lag im Jahr 2024 bei über 80 %.

    Win-win Sanierungsstrategie

    Bei einer Sanierung in die Breite statt in die Tiefe gewinnt sowohl die Umwelt als auch die gesamte Gesellschaft, da sowohl der finanzielle Aufwand als auch der Ressourcenverbrauch deutlich reduziert werden können.

    5 - Sanierung einer Blockrandbebauung mit Wärmepumpentechnologie (Architekt: Taco Holthuizen, eZeit Ingenieure GmbH) Bild: Sergey Kleptcha

    Durch die vorgeschlagene Sanierungsstrategie findet im ersten Schritt eine deutliche Entkopplung von den Risiken des Energiemarkts statt. Das wird nicht nur die Mieterschaft entlasten und beruhigen. Auch die Eigentümer profitieren von einem Wertzuwachs ihrer Gebäude. Zudem wird Zeit gewonnen, damit im zweiten Sanierungsschritt auch Maßnahmen zur Klimafolgenanpassung geplant und umgesetzt werden können. Dazu gehört insbesondere auch die Verbesserung des sommerlichen Wärmeschutzes durch außenliegende Verschattungsmaßnahmen.

    6 - Sozialverträglicher Neubau nach Mindestanforderung GEG 2016 mit fossilfreier Beheizung (Architekt: Taco Holthuizen, eZeit Ingenieure GmbH) Bild: Sergey Kleptcha

    In den Außenräumen ergeben sich ggf. Möglichkeiten der saisonalen Wärmespeicherung, was die Lebensqualität erhöhen kann. Im Sommer könnten überhitzte Stadträume gekühlt und die hier gewonnene Energie für den Betrieb der Wärmepumpen im Winter im Erdreich gespeichert werden. Im Sommer wird auf das wieder abgekühlte Erdreich zugegriffen: So wird ein endloser, nachhaltiger Kreislauf in Gang gesetzt.

    Das muss keine Fiktion bleiben, denn die Technik und das Wissen sind da und wir sollten schon aus sozialen Gründen schnellstens mit dem Umbau unserer gebauten Umwelt beginnen. Eine Task Force Quartiere wird dringender denn je benötigt.

    Fußnoten

    Gute Erfahrungen im Bestand
    Der Politik zufolge scheinen derzeit Wärmepumpen für eine beschleunigte Energiewende das Nonplusultra zu sein. Doch die erfolgreiche Umstellung einer...

    Taco Holthuizen

    Taco Holthuizen
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    · Artikel im Heft ·

    Eine alternative Sanierungsstrategie
    Seite 14 bis 17
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