Eine Frischekur für die historischen „Victoriahöfe“
In den oft eintönigen Neubauquartieren inmitten Berlins sind historische Gebäude wie die Victoriahöfe ein Fest für die Optik. Leider vereinsamten sie über die Jahre an ihrem Standort zwischen Mitte und Kreuzberg und wurden zunehmend marode. 2017 begann dann der finanzkräftige Investor - Cresco, Capital Victoriahöfe Berlin, S.á.r.l. - das Gebäudeensemble zu sanieren. Er entwickelte dafür zunächst ein multifunktionales Hotelkonzept. Bei solchen Mammutprojekten liegt der Teufel oft im Detail. Trotz gründlicher Komplettanalyse der Bausubstanz bekamen das auch Alexander Bürk als Co-Founder der Cresco Capital Group und sein Team schnell zu spüren. Unter anderem war das Mauerwerk weniger stabil als angenommen. Doch an ähnlichen Projekten wie dem Soho-Haus in Mitte, der STATION in Kreuzberg oder dem Kandinsky Haus in Weißensee hatten sie bereits viele Erfahrungen mit solcherart Problemen gesammelt.
Projektdaten
Auftraggeber: Cresco, Capital Victoriahöfe Berlin, S.á.r.l., Berlin
Architektur: GBP Architekten, Berlin
Tragwerksplanung,
Konstruktiver Brandschutz: Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft mbH, Berlin
Ausführendes Unternehmen: DIW Dresdner Industrie- u. Wohnungsbaugesellschaft mbH, Kamenz
„Denkmalgeschützte Gebäude sind zu unserem Steckenpferd geworden“, sagt Alexander Bürk. „Wir gehen mit viel Leidenschaft und Idealismus an diese Bauten und Wahrzeichen, die ganze Viertel nachhaltig prägen.“ Bürk wurde von seinem Vater geprägt, der Architekt und Geschäftsführer von GBP Architekten ist. Er selbst absolvierte die European Business School in Berlin und hat sich im Investmentbanking bei WestAM in London und dann als Projektsteuerer bei Cresco bereits viele Lorbeeren verdient. Eine solche Mischung ist eine gute Voraussetzung, um Bauvorhaben wie die Victoriahöfe zu stemmen.
Ein Verwaltungsbau aus der Gründerzeit
Der wunderschöne Stilmix aus romantischer Renaissance und Barock war einst Stammsitz der Victoria-Versicherungsgesellschaft mit deutschlandweit 70.000 Angestellten. Der über 120 Jahre alte Gründerzeitbau umfasste neben dem Verwaltungsgebäude insgesamt 12 Höfe. Wie Senior Project Manager von Cresco Mark Reimer hervorhebt, war der Architekt Wilhelm Walther mit seiner Konstruktionsidee seiner Zeit damals weit voraus. Zentrale Warmwasserheizung, hydraulische und elektrische Aufzüge oder durchgängige Beleuchtung mit Glühlampen gehörten schon um 1900 zur Ausstattung. Sogar ein eigenes Lebensmittelgeschäft wurde hier für die Mitarbeitenden eingerichtet.
Nach zwei Weltkriegen und einem verheerenden Brand blieben nur noch das Vorderhaus sowie drei Höfe und Seitenflügel übrig. „Und die hatten und haben es in sich“, bekräftigt Reimer. Eigentlich sollten die Bauarbeiten bereits erledigt sein. Doch die Geschäftsführung entschied mitten im Baugeschehen und noch während der Pandemie, statt des ursprünglich geplanten Hotels doch lieber Büroräume zu errichten. Das stellte alle Beteiligten vor eine Herausforderung: „Gemeinsam mit den GBP Architekten Berlin, den Ingenieuren von Schüßler Plan, Pro Denkmal sowie der Dresdner Industrie- u. Wohnungsbaugesellschaft mbH fanden wir eine innovative Lösung, die auch den Anforderungen des Denkmalschutzes entsprach. Hört sich heute einfach an. Aber das kostete uns schon einige schlaflose Nächte und viel Zeit“, gibt Alexander Bürk unumwunden zu.
Hohe Ansprüche an Konstruktion und Bauphysik
Heute lässt die 130 m lange restaurierte Natursteinfassade des Hauptgebäudes kaum noch erahnen, was hinter ihren Mauern ablief und derzeit läuft. Noch ist sie hinter Baugerüsten und -netzen versteckt. Mark Reimer erläutert: „Die einzelnen Gebäude wurden zunächst denkmalgerecht bis auf den Rohbauzustand entkernt und sämtliche Einrichtungen und Versorgungsleitungen sorgsam zurückgebaut. Besondere Vorsicht war beispielsweise bei Wandgemälden oder Stuck geboten. Die durften bei Wand- und Deckendurchbrüchen keinesfalls beschädigt werden.“
Der Haupteingang erhielt eine neue Kuppel mit etwa 20 m Spannweite. Um die in das Gebäude einzuleitenden Lasten gering zu halten, wurden beide Kuppelenden mit Zugankern gekoppelt und der Geometrie des neuen Dachtragwerks angepasst.

Alle Zierbereiche der Fassaden wurden abgestrahlt und behutsam restauriert. Einige Kriegsspuren blieben allerdings gewollt als Zeitzeugen sichtbar. Jedes demontierte Stilelement erhielt eine Nummer, damit es später wieder an ursprünglicher Stelle angebracht werden konnte. Auch die große Uhr bleibt an einer der hinteren Fassaden erhalten. Um sie während der Bauphase nicht zu beschädigen, wurde ihr Uhrwerk ausgebaut und bis zur Fertigstellung geschützt gelagert.

Allein um die Kunstschmiedearbeiten der massiven Eingangstore und Türen originalgetreu herzurichten, kamen fünf verschiedene Schlosser zum Einsatz. „Es war aufwändig, dafür welche zu finden, die das traditionelle Handwerk noch beherrschen“, sagt Reimer.
Die konstruktive Lösung für das Innere der Gebäude sah vor, massives Mauerwerk, preußische Kappendecken, Unterzüge, Stahlträger geschickt zu kombinieren und bei Bedarf mit neuen Betonbauteilen zu erweitern. Treppenhäuser wurden saniert sowie sechs neue Aufzüge eingebaut. Vier davon als Stahlbetonbau. Dieser erforderte neue Deckendurchbrüche. Auch dafür mussten bestehende Kappen abgebrochen, Stahlträger in den neuen Schacht angebunden und Kappen wiederhergestellt werden. Um die Dimension zu verdeutlichen seien zwei Zahlen genannt: Etwa 650 t Bewehrungsstahl und etwa 300 t konstruktiver Stahl für die Stützen und Pfähle wurden verbaut. Vom Auftraggeber gefordert war auch, den alten Aufzugsschacht zu bewahren. Daher musste aufgrund der Statik ein völlig neues, freistehendes Schachtgerüst in den alten Schacht eingebaut werden. Um alle Absturzsicherungen zu erfüllen, erhielt der innere Schacht zudem noch eine Lochblecheinfassung. Auch die Doppelkastenfenster aus den 50er Jahren entsprachen nicht mehr dem heutigen Wärme- und Schallschutz. Die inneren Flügel ersetzte man durch schallisolierte zweifachverglaste. Für angenehme Raumakustik sorgen Buffer an den 7 bis 8 m hohen Bürowänden sowie 8 cm hohe Doppelböden oder Estrich mit Trittschalldämmung in den Sanitärbereichen und im Foyer.
State-of-the-Art Klimatechnik für historisches Gemäuer
Um die riesigen Luftvolumina des Gebäudes zu bewältigen, existiert nunmehr eine Abluftanlage mit Wärmerückgewinnung, die unerwünschte Luftpartikel von außen herausfiltert. Frischluft ohne Öffnen der Fenster klimatisieren somit die Büros. Um eine einwandfreie Wärmeverteilung zu gewährleisten, wurde die neue Zweirohrheizung hydraulisch abgeglichen. Für die Kühlung dient eine Kältezentrale auf dem Dach. Mittels Wärmetauscher wird hier Kälte auf das Medium Wasser übertragen und über einen Verteiler an die einzelnen Verteilkreise angebunden. Zwischen Wärmetauscher und Verteiler befindet sich ein Pufferspeicher. Die Versorgung des Verteilers übernehmen zwei Pumpen, von denen eine immer in Betrieb ist. Zum modernen Energiekonzept gehört auch, dass die gesamte Beleuchtung über Bewegungsmelder funktioniert. Insgesamt ergibt sich eine Reduzierung des Jahres-Primärenergiebedarfs im Vergleich zum Vor-Sanierungszustand von 77,1 %.
Besondere Statik fürs neue Dachgeschoss
Der größte Kraftakt bestand in der Instandsetzung des 4. OG sowie der Aufstockung eines 5. OG. Dafür wurden das alte zerstörte Dach sowie die Außenwände des 4. OG komplett abgerissen. Einschließlich Giebel bis zum ersten großen Gesims.

Das Gebäude erhielt eine Art Betonsarkophag obendrauf, der auf etwa 60 Stahlstützen steht. Im Schlitzverfahren in die Außenwände eingelassen, reichen diese bis in den Keller. Um die Abmessungen der Bauteile dieser massive Stahlbeton-Dachkonstruktion zu minimieren, wurde ein robuster und verdornungsarmer Unterbau, bestehend aus einer neuen Decke (Stahlbeton) über dem 4. OG und seinen Außenwänden hergestellt. Die neue Decke fungiert als Zugband, um die horizontalen Abtriebskräfte aus der Dachschräge zu minimieren.

Biegesteife Ecken stabilisieren Deckenscheibe und Außenwände als Rahmenkonstruktion. Für die neue Lastabfangung durch das gesamte Gebäude erhielt das Untergeschoss eine HDI-Unterfangung, um den Baugrund zu verfestigen. Allein dafür brauchte es eineinhalb Jahre. Ein riesiger Aufwand, der viel Zeit kostete, aber nötig war, weil das Gebäue statisch nicht mehr nachweisbar war und deshalb alle Fundamente mit Hochdruckinjektionen unterfüttert werden mussten.
Brandschutzkonzept im Denkmalschutz
Die Nutzung als Bürogebäude stellte auch enorm hohe Ansprüche an den Brandschutz. „Mit Standardlösungen war da nicht viel zu machen“, konstatiert Alexander Bürk. „Das norm- und denkmalgerechte Brandschutzkonzept, das mit Sachverständigen, Feuerwehr und Denkmalschutz erarbeitet wurde, ging mit vielen Sondergenehmigungen einher.“
Erst damit ließen sich genaue Brandabschnitte, Aufhängungen von Brandmeldeanlagen nach DIN 14675, Aufschaltungen der Feuerwehr, neue Türen mit Feuerwiderstandklasse 30/90 sowie Rettungswege umsetzen, ohne groß in die historische Substanz einzugreifen. Allerdings mussten für neue horizontale Versorgungsleitungen auf 130 m Länge des Gebäudes - das entspricht etwa der Größe dreier Fußballfelder - über 100 Löcher durch die Wände gebohrt und mit speziellen Metallscheiben und Schellen versehen werden. Reimer ergänzt: „Dabei mussten wir für jede Öffnung einen statischen Nachweis erbringen und jedes Bauteil vom Brandschutzprüfer abnehmen lassen.“

Das sind nur einige Beispiele, die die Dimension dieser aufwändigen Sanierung verdeutlichen. Doch der Erfolg spricht für sich. Aus den historischen Victoriahöfen wird zusehends ein Green Building vom Feinsten. Der Bauherr strebt dafür die Zertifizierung in LEED „Gold“ an und besitzt mit Wire Score beste Voraussetzungen. Die erste Büroetage steht bereits bezugsbereit, modern im wunderschönen historischen Ambiente und - das mitten in Berlin.
Bärbel Rechenbach

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