Kollaboration statt Konkurrenz
Steigende Preise /1/ und drastische Erhöhungen der Energiekosten /2/ – nicht nur Deutschlands Baubranche steht vor enormen Herausforderungen in der Preisgestaltung und wirtschaftlichen Projektrealisierung. Traditionelle Projektstrukturen sind vielfach zu starr, um flexibel mit Veränderungen umgehen zu können. Partnerschaftliche Projektmodelle bieten allen Beteiligten mehr Raum, um optimale Lösungen auch in herausfordernden Zeiten zu finden.
Eines dieser partnerschaftlichen Projektmodelle ist die Integrierte Projektallianz (IPA). Entscheidend ist hierbei, dass alle Beteiligten – Auftraggeber, Planer und Baupartner – von Projektbeginn an in einem Team auf Augenhöhe zusammenarbeiten. Dies erreichen die Beteiligten durch das Entwickeln gemeinsamer Strukturen, um die Planung und die Ausführung sowie alle immanenten Entscheidungen allein an den Nutzer- und somit Projektzielen des Auftraggebers ausrichten. Gelingt es dabei, den späteren Nutzer bzw. Betreiber des Bauwerks an Bord zu haben, können die Anforderungen des Betriebs optimal berücksichtigt werden.
Basis einer solchen Integrierten Projektallianz ist ein Mehrparteienvertrag. Anstelle der bekannten bilateralen Vertragsverhältnisse, in denen der Auftraggeber mit Einzelverträgen die Planungs- und Ingenieurbüros und die Baufirmen einzeln oder einen Generalunternehmer sowie die erforderlichen Berater bindet, schließen sich hier die wesentlichen Partner mit dem Auftraggeber in einem gemeinsamen Vertrag zusammen und planen und bauen das Projekt als Team.
Damit diese integrale Zusammenarbeit gut funktioniert, sind mehrere Punkte entscheidend:
- Entscheidungen werden im Konsens getroffen.
- Die Kriterien für diese Entscheidungen bilden messbare, priorisierte, AG-seitige Ziele. Hierzu gehören auch die Terminschiene und Budgetvorgabe.
- Alle Partner entwickeln gemeinsam in der Phase 1 die Planung und damit die erforderlichen Leistungen, inklusive Terminplan, Risikobewertung und Kostenermittlung, mit denen das Projekt aus ihrer aller Sicht umsetzbar ist.
- Gelingt es dem Team dann in Phase 2, die in Phase 1 ermittelten Zielkosten zu unterschreiten, partizipieren alle davon.
- Die Basis für diese neue Form der Zusammenarbeit bildet die Teamkultur, die als wesentlicher Teil des Projekterfolgs erkannt und kontinuierlich entwickelt werden muss.
Hohe Komplexität und entsprechende Steigerung des Kostenaufwands in der TGA
Kaum ein Gebäude kommt noch ohne komplexe Steuerungstechnik aus. Gerade in den Bereichen der Fördertechnik sowie den Klima- und Alarmanlagen nimmt die technische Komplexität zu und in der Folge steigen auch die Kosten.
Bei Neubauten von Gewerbeimmobilien beträgt der Anteil der TGA an den Gesamtkosten mittlerweile 28 bis 35 % – dies waren vor fünf Jahren noch 18 bis 25 %. Noch deutlicher wird es bei der Sanierung von Bestandsgebäuden bei denen die Kosten der TGA an den Gesamtkosten bis zu 50 % betragen.
Darüber hinaus bestehen große Herausforderungen im Brandschutz durch die nationale Uneinheitlichkeit, die vielfältigen Anforderungen sowie die stetigen, anhand der realen Schadensfälle veranlasste Fortschreibungen der Regelwerke. Diesen Randbedingungen kann nur mit flexiblen Strukturen in Planung und Bau begegnet werden, wenn es nicht zu enormen Aufwänden für nachträgliche Anpassungen kommen soll.
Nicht zuletzt bringen die Nutzeranforderungen bezüglich des Komforts auf der einen Seite einen Bedarf an Klimatisierung und auf der anderen Seite mehr Sicherheitstechnik mit sich. Des Weiteren sind im Gesamtprojekt angesichts des Klimawandels entsprechende Anstrengungen zu unternehmen, um die Gebäude nachhaltig bauen und betreiben zu können – auch, um die Betriebskosten trotz Technisierung der Gebäude im Rahmen zu halten.
Pilotprojekt iPAK5: Praxis unter erschwerten Bedingungen
Die Kattwykbrücke, eine Hubbrücke über die Süderelbe bei Moorburg aus den 1970er Jahren sollte grundlegend instandgesetzt und die Verkehrsbänder Straße, Schiene und Schiff optimiert werden.
2018 hatte Sebastian Schulz als Projektleiter des Neubaus der Bahnbrücke Kattwyk genug von der täglichen Konfrontation, von Streit und Misstrauen mit Projektbeteiligten, die eigentlich Partner sein sollten. Nina Rodde unterstützte bereits seit 2016 das Team der Hamburg Port Authority (HPA) und hatte im Rahmen ihrer Forschungsarbeit Vertragsmodelle rund um die Welt analysiert. Nachdem zunächst Methoden des Lean Construction Management sehr erfolgreich in das bestehende Projekt eingeführt wurden, konnten beide die Geschäftsführung der HPA überzeugen, ein Pilotprojekt auf Basis eines Allianzvertrags zu starten: das Projekt „integrierte Projektallianz Kattwyk“, auch iPAK5 genannt.
Jens-Peter Hacker, Bedarfsträger und Bauherrenvertreter der Kattwykbrücke aus dem Bereich Public Landside Infrastructure der Hamburg Port Authority, sorgte als Eigentümervertreter und Betreiber der Anlage dafür, dass seine Anlagenmanager ihr Know-how und ihre Anforderungen punktgenau in die Entwicklung der gemeinsamen Lösungen einbrachten. Gemeinsam mit den Partnern Arcadis, Kemna, Aug. Prien und Actemium wurde das erste IPA-Projekt in Deutschland erfolgreich auf den Weg gebracht und zur Zufriedenheit aller Beteiligten abgeschlossen.
Trotz des überschaubaren Volumens bot das Projekt auf der einen Seite ein Portfolio an Risiken. Auf der Seite ergab sich aber durch die zahlreichen kombinierten Ingenieurdisziplinen hohes Innovationspotenzial, um gemeinsam mit den Allianzpartnern die Chancen des Modells der Integrierten Projektallianz (IPA) zu erproben, Erfahrungen zu sammeln und für weitere Projekte nutzbar zu machen.
Im Bereich der Steuerungstechnik stand die vollständige Modernisierung der Hubtechnik sowie die Verbindung der Bediensysteme dieser Brücke sowie der neugebauten Eisenbahnhubbrücke „Neue Bahnbrücke Kattwyk“ auf einen Bedienstand an. Für den Bauablauf ergaben sich besondere Herausforderungen aus der permanent aufrechtzuerhaltenden Schiffspassage sowie möglichst geringer Sperrzeiten für die Straßenverbindung, da die Brücke in einer der wichtigsten Hafenrouten Hamburgs liegt.
Welche Möglichkeiten sich durch echte, unternehmensübergreifende Zusammenarbeit ergeben, soll nachfolgend anhand des Pilotprojektes iPAK5 aufgezeigt werden.
Beispiel 1 – Corona
Trotz Lockdown und Kontaktbeschränkungen konnte das Team die Dynamik durchgehend aufrechterhalten. Die Lean Methoden Target Value Design® und Last Planner® System haben die integrale Arbeitsweise unterstützt und befördert. Die Teambuilding-Maßnahmen im Rahmen des Onboardings bewahrten auch über diese Zeiten den „Kitt“ unter den Kollegen, so dass auch digital die Zusammenarbeit effizient und mit mehr Verständnis füreinander fortgeführt wurde.
Beispiel 2 – Beschaffung trotz Lieferengpässen
Was tun, wenn einzelne Komponenten plötzlich nicht mehr lieferbar sind, die Terminziele der Verkehrsfreigabe und die dafür erforderlichen Inbetriebnahmeprozesse der Hubtechnik aber keine Rücksicht nehmen können? Dann sind kreative Lösungen gefragt, Interims-Bauteile zu verbauen und später wieder auszutauschen und den Bauablauf immer wieder störungsbedingt kollaborativ anzupassen. Über alle Gewerke hinweg, mit allen Beteiligten gemeinsam – das funktionierte bestens mit der Last Planner® Methode.
Beispiel 3 – Inbetriebnahme
Aufgrund der kurzen Projektlaufzeit insgesamt, verblieb für die Inbetriebnahmephase nur ein Zeitraum von sechs Wochen mit parallellaufenden Bauleistungen in erheblichem Umfang. Innerhalb von zwei Stunden entstand gemeinsam im Team der Terminplan für die letzten sechs Wochen vor Verkehrsfreigabe, abgestimmt, auf Machbarkeit geprüft. Das war sportlich, aber möglich. Der Plan wurde in die Realität umgesetzt, wöchentlich reflektiert und leicht angepasst – und das Terminziel eingehalten. Pünktlich zum Nikolaus 2021 rollten die Autos wieder über die Brücke.
Fazit und Ausblick
Die Integrierte Projektallianz bietet auch und vielleicht sogar insbesondere für die Planungsbüros und Ausführenden im Bereich TGA überzeugende Optionen3 für neue Formen der Zusammenarbeit, in denen das im gesamten Team vorhandene Know-how optimal und vor allem zu einem frühen Zeitpunkt genutzt werden kann.
Mit einem klaren Fokus auf gemeinsame Ziele, einer gemeinsamen Wertekultur, verankert als Projekt-Charta und Entscheidungsstrukturen auf Augenhöhe unter gleichberechtigen Partnern gelingt es, ein Projekt innerhalb der gemeinsam verifizierten Kosten- und Terminziele fertigzustellen. Der Austausch zwischen Planenden und Ausführenden sowie den auftraggeberseitigen Vertretern des Betriebs bietet auch den TGA-Gewerken entsprechendes Potenzial für eine zielorientierte Planung, gemeinsam entwickelte bessere Lösungen und motivierte Mitarbeiter.
Fußnoten
Die Erzeugerpreise gewerblicher Produkte waren im August 2022 rund 1712,0 % höher als im August 2021. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts (Destatis) war dies der höchste Anstieg gegenüber dem Vorjahresmonat seit Dezember 1974 (+12,4 %), als die Preise im Zusammenhang mit der ersten Ölkrise stark gestiegen waren.
Die Energiepreise waren im August 2021 im Durchschnitt 20 % bei Öl und bis zu 50 % bei Gas und Strom höher als im Vorjahresmonat und 3,3 % höher als im Vormonat Juli 2021 nach Angaben des Statistischen Bundesamts (Destatis). Den höchsten Einfluss auf die Veränderungsrate gegenüber dem Vorjahr bei Energie hatte Erdgas in der Verteilung mit einem Plus von 44,2 %.
Vgl. Mentz Rehder, Actemium, Beitrag in „Projektmanagement aktuell“ 01/2023, sowie Prof. Dr.-Ing. Matthias Sundermeier in „Moderne Gebäudetechnik“, Ausgabe 5/2020, Seite 48 bis 50
Dr.-Ing. Nina Rodde
Dipl.-Ing. Sebastian Schulz
Dipl.-Ing. Jens-Peter Hacker
Anhang | Größe |
---|---|
Beitrag als PDF herunterladen | 483.72 KB |
· Artikel im Heft ·