Unsicherheitsfaktoren bei der Heizlastermittlung
Von Robin Pomreinke, Vertriebsleiter blossom-ic intelligent controls AG
Für den Auftragnehmer ist die Ermittlung einer Heizlast für weiterführende investive Maßnahmen oder die Inanspruchnahme von Fördermitteln relevant. Daher stellt sich die Frage, ob Auftraggebern und Steuerzahlenden eine „Schätzung“ zugemutet werden kann. Dazu vertreten Herr Dr.-Ing. Jörg Walther, Beratender Ingenieur und Bausachverständiger und Herr Dr.-Ing. Martin Donath, ratiodomo Ingenieurgesellschaft, gegenüber der blossom-ic intelligent controls AG folgende Position:
Die Schätzung basiert auf realen, von subjektiven Wertungen freien, Messwerten des Verbrauchs, der sich aus den zeitabhängig sich verändernden thermodynamischen und hygrothermischen Eigenschaften des Gebäudes, des jeweiligen Standortes und der Nutzungsform eines Gebäudes ergibt.
Dabei kann die Heizlast entweder durch die Bildung einer Gebäudekennlinie als Regressionsgerade aus Einzelwerten von Wärmeleistungen oder vereinfacht nach Vollbenutzungsstunden ermittelt werden. Bild 1 zeigt das Prinzip der Gebäudekennlinie aus Einzelwerten von Brennstoffleistungen, vermindert um die Erzeugungsverluste, wie sie in den Energieeffizienzdienstleistungen der ratiodomo Ing.-GmbH seit 2006 projektbezogen erstellt, in der DIN EN 12831 beschrieben und als Entscheidungsbasis für die Erneuerung von Wärmeerzeugern oder Vereinbarung von Anschlusswerten verwendet wird.
Die Berechnung erfolgt hingegen auf der Basis von Berechnungsmodellen und Laborwerten für neu zu erbauende Gebäude durch unterschiedlich qualifizierte Personen mit jeweils unterschiedlichen Programmen und jeweils unterschiedlichen subjektiven Wertungen, Vorgehensweisen und Genauigkeitsanforderungen. Insbesondere wird dabei eine praktikable Kosten-Nutzen-Relation angestrebt. Ein Bestandsgebäude hat sich über die Zeit durch die Nutzung, eventuelle Umbauten und den Einfluss des Wetters verändert.
So fiel bereits in einem Projekt für die WIRO Wohnen in Rostock Wohnungsgesellschaft mbH (Optimierung der Heizanlagen für 74 Gebäude im Jahr 2008) auf, dass trotz ähnlichem Anlagen- und Nutzerverhalten signifikante Verbrauchsunterschiede bei typgleichen Gebäuden auftraten. Die Ursachenklärung ergab in diesen Gebäuden insbesondere erhöhte Feuchtewerte in der Hülle.
Ermittlung eines Wärmedurchgangskoeffizienten (U-Wert) im Bestand
Der Transmissionswärmeverlust ist die Wärmeleistung, die über die thermische Hülle eines Raumes bzw. Gebäudes (Wände, Decken, Türen und Fenster, Dach und Boden) aufgrund von Temperaturunterschieden von der wärmeren zur kälteren Seite transportiert wird. Es ist klar, dass die großen Flächen dieser Bauteile enormen Einfluss auf den realen Verbrauch an Wärmeenergie haben. Der zu ermittelnde U-Wert soll zudem zusätzliche Faktoren berücksichtigen.
Beispiele sind:
- Luftspalte in der Dämmung, die den Wärmedurchgang erhöhen,
- mechanische Befestigungselemente, die zusätzliche Wärmebrücken erzeugen können,
- Wasseransammlungen durch Niederschlag auf Umkehrdächern, die die Dämmwirkung reduzieren.
Die Ermittlung der U-Werte soll nach entsprechenden Normen (z.B. DIN EN ISO 6946) erfolgen. In der Praxis kann man den U-Wert von Außenwänden oft nur nach Altersklasse des Gebäudes schätzen, da der Aufbau der Wand nicht bekannt ist. Sie müsste also geöffnet werden. (Bild 2)
Aber wer öffnet im Zusammenhang mit einer Heizlastberechnung die historische Außenwand, bestimmt die Geometrie (Bilder 3 und 4) und die Baustoffeigenschaften (Bilder 5 und 6), die den U-Wert des gesamten Wandaufbaues wesentlich beeinflussen?
Und wer bestimmt die Rohdichte und die Wärmeleitfähigkeit von Ziegeln, Natursteinen und anderen mineralischen (kapillarporösen) Baustoffen (Bild 5), die erheblichen Schwankungen unterliegt? Die Wärmeleitfähigkeit wird hier wesentlich vom Luftporengehalt (Porosität) beeinflusst.
Oder wer misst den Feuchtegehalt des Baustoffes? Je nach Umgebungsfeuchte, der der Baustoff ausgesetzt ist, steigt sein Feuchtegehalt zunehmend an. (Bild 7). Die Wärmeleitfähigkeit wird von diesem Feuchtegehalt signifikant geprägt (Bild 8).
Bei einer Wärmeleitfähigkeit des Ziegels von 0,6 W/(mK) wird beispielsweise bei stationärer Nachweisführung gemäß DIN 4108-3 (Glaser-Verfahren) z.B. ein U-Wert von 1,156 W(m²K) ermittelt. Bei einer Wärmeleitfähigkeit des Ziegels von 1,2 W/(mK) würde sich der U-Wert auf 1,899 W(m²K) erhöhen. Das entspräche einer Steigerung um 39%.
Und wer berücksichtigt bei der Heizlastberechnung von Fassaden den Einfluss des Schlagregens aus der Hauptwindrichtung (Bild 9)
Allein die Schlagregensicherheit (Wasseraufnahmekoeffizient w in kg/(m²h0,5) der zur Hauptwindrichtung orientierten Fassadenfläche kann darüber entscheiden, dass der Gesamtwassergehalt der Außenwände sich von Jahr zu Jahr „hochschaukelt“. (Bild 10)
Nicht nur die Heizlastberechnung, sondern auch die Erstellung von Gebäudeenergieausweisen auf der Grundlage des Energiebedarfs wird auf der Basis solcher Unsicherheiten ausgeführt. Die Flächen der thermischen Gebäudehülle haben (neben ihrem Volumen) demnach eine signifikante Bedeutung.
Fazit:
Bei der aktuell praktizierten „Berechnung“ der U-Werte bei Bestandgebäuden muss mit einer Abweichung in der Größenordnung bis ± 30 % ausgegangen werden. Vor dem Hintergrund dieser risikobehafteten Annahmen zum Energiebedarf wird deshalb aus bauphysikalischer Sicht die belastbare Übernahme von Mess- bzw. Verbrauchsdaten in KI-gestützte Berechnungsalgorithmen für die typischen Lastsituationen im Gebäudebestand empfohlen, wie das bereits von der blossom-ic intelligent controls AG entwickelt wird.
Redaktion (allg.)
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