Historische Gemäuer sanieren und schützen
Die Autorin: Bärbel Rechenbach, freie Baufachjournalistin, Berlin
Nur etwa 40 Minuten südlich von Rostock entfernt, verblüfft die Kreisstadt Güstrow mit einer bezaubernden Altstadt nahe des Inselsees. Auf 2,5 Hektar präsentiert sich hier ein architektonisches Ensemble aus Backsteingotik, Renaissance und Klassizismus. Zu den historischen Gebäuden gehören der Dom mit seiner weltberühmten Barlach-Skulptur „Der Schwebende“ und das ehemalige „Hofgericht Wallensteins“. Unweit davon befinden sich nicht nur die älteste Schule, sondern auch das mit 200 Jahren älteste Theater Mecklenburg-Vorpommerns – das Ernst-Barlach-Theater.
Doch das imposanteste und überragende Prachtbauwerk stellt sicher das Güstrower Renaissanceschloss aus dem 16. Jahrhundert dar. Einst Regierungssitz der Mecklenburger Herzöge, diente das Gebäude später als Lazarett, Altenheim und Kulturort. 2019 beschloss das Staatliche Bau- und Liegenschaftsamt Schwerin (SBL), das Schloss mit Hilfe einer EU-Förderung etappenweise und in alter Schönheit zu renovieren.
Europaweit ist der Sanierungsumfang einer so gigantischen Schlossanlage bislang einmalig. Im Fokus aller anstehenden Modernisierungen in den nächsten Jahrzehnten stehen zunächst die Fassade, das Dach und Schlossbrücke sowie Wirtschaftsgebäude und Außenanlagen. SBL-Projektleiter Christoph Heyn sieht darin eine riesige Verantwortung und Aufgabe zugleich. Denn die Wiederherstellung deutscher, italienischer, französischer und niederländischer Baukunst aus Lehm, Stroh, Holz und Backstein ergeben eine Mischung, die den Beteiligten enorm viel fachliches und handwerkliches Können abverlangt. Historische Baupläne sind kaum vorhanden. „So eine alte ‚Dame‘ hält viele Überraschungen parat“, sagt Heyn. „Zum einen jahrhundertealtes kunstvolles Handwerk und zum anderen Hausschwamm, morsche Balken, unerklärliche Hohlräume oder mächtige Ringanker rund ums Gebäude und in jeder Etage. Das hält uns jedoch nicht ab, im Sinne des Denkmalschutzes zu sanieren, statt einfach abzureißen.“ So wurden zum Beispiel über Bohrungen im Bestandsgemäuer bereits Schutzmittel eingebracht, um das originale Mauerwerk zu erhalten und das Schloss vor weiterem Schaden zu bewahren.
Kompromisse und Kreativität von allen Beteiligten gefordert
Auch was den nötigen Brandschutz angeht, sind viel Erfahrungen und Ideenreichtum gefragt. Baustoffe wie Holz und Stroh, Lehm und Sandstein mit einem teils ungünstigen Brandverhalten sowie einer geringen Feuerwiderstandsdauer bedürfen spezieller Prüfungen und Lösungen. Das bekräftigt auch Romy Kuven aus der Hagen Ingenieurgesellschaft für Brandschutz mbH Stralsund. Die Architektin hat das Brandschutzkonzept für das Schloss ausgearbeitet.

„Aktuell geltende Brandschutzmaßnahmen kommen in solchen historischen Baudenkmälern immer nachträglich zum Einsatz. Deshalb stimmen wir uns von Anbeginn eng mit dem Bauherrn, den Architekten, Bauforschern, Planern wie Handwerkern und dem Denkmalschutz zu allen Sanierungsmaßnahmen ab.“ Die studierte Architektin hat sich seit Jahren auf den vorbeugenden Brandschutz spezialisiert und kann viel Wissen und Praxiserfahrungen aus anderen Schlossprojekten aufweisen. Das zahlt sich aus, denn in Deutschland gibt es keine gesonderten Bau- und Brandschutzvorschriften für historische Bauten. Als Richtlinie gelten zwar die Musterbauordnung (MBO) sowie die jeweilige Landesbauordnung (LBauO) und die DIN 4102-4 Brandverhalten von Baustoffen und – Teil 4: Zusammenstellung und Anwendung klassifizierter Baustoffe, Bauteile und Sonderbauteile für die Ausführung. Doch wenn Geschichte erhalten bleiben soll, lässt sich vieles davon in der Praxis nicht eins zu eins umsetzen. Da gilt es Kompromisse zu finden, die sowohl dem Denkmalschutz als auch den gesetzlichen Brandschutzanforderungen sowie dem Tragwerk gerecht werden.
„Wir entwickelten deshalb ein Brandschutzkonzept im Einklang mit den Regelwerken und mit Verstand. Da wo es möglich ist, greifen wir bei Brandschutzmaßnahmen auf den Bestandschutz zurück“, erklärt Romy Kuven. So zum Beispiel im Fall der vielen Treppenflure, die bereits zu DDR-Zeiten erneuert wurden. Sie dienen künftig als Rettungs- und Fluchtwege und sind als solche im Brandschutzkonzept ausgewiesen.

Automatische Brandmeldeanlage gewährt Vollschutz im Gebäude
Der Erstellung des Brandschutzkonzeptes ging eine schrittweise Bestandsanalyse der drei Gebäudeflügel Nord, Süd und West voraus. Dabei stützten sich die Planenden auch auf detaillierte Scanneraufnahmen. „Wir untersuchten genau, wo vorhandene Brandlasten oder Brandgefahren im Gebäude bestehen“, sagt Romy Kuven. „Wo gibt es Bauteile im Bestand, die zu Brandsperren ertüchtigt werden können? Welche Mauerwerke sind so massiv gefertigt, dass sie dem geforderten Brandschutz entsprechen?“
Manche Wände erwiesen sich dabei als stärker und massiver als andere. Die Gebäudegeometrie erlaubte es, das Gebäude in zwei Brandabschnitte einzuteilen. So wird der Brandschutz gewährleistet und die historischen Deckenbalken können erhalten bleiben. Fehlstellen in der Bausubstanz wie zum Beispiel in der Toreinfahrt, die bis unter das Dach reicht, mussten nur ausgebessert werden, damit sie als Brandwand neu definiert werden konnten.

Kuven: „Das war Millimeterarbeit, denn durch die Einfahrt passt jetzt haargenau eine Feuerwehrdrehleiter. Zwei bestehende Steigleitungen trocken versorgen diese bei eventuellen Einsätzen mit Löschwasser. Wie die Planerin erklärt, sind heutzutage viele Kompensationsmaßnahmen möglich und anerkannt, die die vorgegebenen Schutzziele des Brandschutzes erreichen und gleichzeitig seitens der Denkmalpflege akzeptabel sind. Laut LBauO muss man zum Beispiel nach 35 Metern zum Treppenhaus oder ins Freie gelangen, wenn es zum Brand kommt. Das sei aber hier nicht überall gegeben. Daher wurde bereits eine automatische Brandmeldeanlage mit Vollschutz ins Gebäude installiert, die alle Bereiche überwacht bis zum letzten Zipfel im First. Diese ist zur Feuerwehrleitstelle aufgeschaltet und alarmiert sofort bei Feuer und Rauch.

Brand- und einbruchssichere Türen in historischem Ambiente
Zu den Brandschutzmaßnahmen zählt auch der Einbau von hochsicheren Rauch- und Brandschutztüren EI2 30-C5-Sm (T30-RS) aus Holz nach DIN 4102-5. Den Auftrag für die Herstellung und den Einbau dazu erhielt die niedersächsische Tischlerei Dittmer GmbH aus dem Amt Neuhaus. Sie blickt auf eine 125-jährige Tradition zurück, hat sich im Denkmalschutz einen sehr guten Ruf erarbeitet und wurde für ihre Verdienste bereits zweimal mit dem Bundespreis für Denkmalschutz im Handwerk gewürdigt. Für das Güstrower Schloss entwickelte und stellte sie 29, zum Teil sehr aufwändige Türen her, 19 davon als Bogentüren und sieben von diesen auch feuerhemmend (T30). Diese verhindern eine Brandausbreitung in andere Brandabschnitte für mindestens 30 Minuten.
Die sieben Brandschutztüren besitzen außerdem ein Mehrfachverriegelungssystem, das optimalen Einbruchsschutz bietet und in die Steuerungs- und Einbruchmeldetechnik integriert ist. So sind Brandschutz, Fluchtwegesicherung und Einbruchschutz in einer Tür kombiniert.
Nicht nur die Türen stammen aus der Tischlerei um Geschäftsführer Marcus Dittmer. „Wir haben auch 280 neue, einbruchhemmende Fenster der Widerstandsklassen RC2, RC3 und RC4 im Stil der Renaissance nachgebaut. Da ist jedes Fenster mit seinen Maßen, Ecken und Kanten ein Unikat. So einen Auftrag für so ein Baudenkmal bekommt man nur einmal im Leben. Da gibt man alles, was man kann.“
Moderner Technikraum im originalen Gebälk
Eine Besonderheit bezüglich des Brandschutzes stellt das Dachgeschoss dar. Hier befindet sich die moderne Technikzentrale, ein Kubus mit gewichtiger neuer Technik zwischen und auf historischem Gebälk. Die Tragwerksplaner aus dem Ingenieurbüro Dr. Krämer GmbH Weimar entschieden sich hier, die Decke mit Stahlträgern zu ertüchtigen. Der abgetrennte Raum enthält feuerhemmende und selbstschließende Türen der Feuerwiderstandsklasse F30. Der Fußboden im Technikraum wurde feuerbeständig und in den unmittelbar angrenzenden Bereichen feuerhemmend hergestellt. Die hierfür verwendeten Platten reichen bis in die letzte Ecke und führen dicht um jeden bestehenden Holzbalken herum.

Alle Blecharbeiten einschließlich der Kupferdeckung an den Schlosstürmen liegen in Händen der Güstrower Bauklempnerei Voss. Kupferbleche und Bänder sind nicht nur ein traditionsreicher Bauwerkstoff, sondern auch als nicht brennbares Material nach EN 13501-1 A1 eingestuft, der höchsten verfügbaren Einstufung. Zugleich setzen sie weder Dämpfe noch giftige Gase frei. Bei den unterschiedlich geformten Turmdächern wurde die Doppelstehfalzdeckung angewendet. Dabei kommt vorwiegend vorhandenes Kupfer, das aufgearbeitet wurde, zum Einsatz. Morsche Dachbalken sind durch neue ersetzt. Ebenso defekte Ziegel, um das Dach zu stabilisieren. Die Idee dabei war, die neuen Ziegel in einer Schicht unter den bisherigen anzubringen und die alten von innen nach außen zu drehen. So bleibt die historische Ansicht erhalten und das Dach ist doppelt gesichert.

Zu den bestandsschonenden denkmalgerechten Lösungen für die teilweise stark geschädigten Tragstrukturen zählt auch der Neuaufbau des Brückenüberbaus vom Torhaus zum Haupteingang des Schlosses, die auch die Feuerwehrzufahrt über die Schlossbrücke absichert. Dazu wird ein Stahlbetontrog aus Fahrbahnplatte mit Brüstungen installiert.
Noch ist das Schloss von Gerüsten und Sicherheitsnetzen – bis auf die fertiggestellte Südfassade – umhüllt und für Besucher geschlossen. Doch schon in diesem Jahr soll es sich zumindest äußerlich im neuen Gewand präsentieret. Etwa 27 Millionen Euro sind dann bereits in die Sanierung geflossen. ⟵
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