Das Schlüsselelement der Energiewende künftig Made in Germany?
Insheim ist ein beschauliches Dorf in den Weinbergen der Südpfalz, etwa auf halbem Weg zwischen Karlsruhe und Landau an der A 65. Das dort ansässige Thermalkraftwerk produziert seit über zehn Jahren fleißig Strom aus geothermischem Tiefenwasser. Die Nutzung von Thermalwasser aus den Tiefen des Oberrheingrabens, einer tektonischen Bruchzone mitten durch Europa, wird in Süddeutschland seit der Römerzeit praktiziert. Das Wärmereservoir, das mittels Tiefenwasser in Insheim und vielen anderen Stellen der Region genutzt wird, gilt als nahezu unerschöpflich. Soweit, so unspektakulär.
Doch Dr. Horst Kreuter, Geschäftsführer der Vulcan Energie Ressourcen GmbH, zu der das Thermalkraftwerk Insheim seit 1. Januar 2022 gehört, wartet beim Besuch der Anlage mit einer kleinen Sensation auf, die in Fachkreisen schon ordentlich für Aufsehen gesorgt hat.
Es geht um Lithium, ein Metall, ohne das die Energiewende insbesondere in den Sektoren Strom und Mobilität undenkbar wäre, ganz zu schweigen von den zahlreichen elektronischen Anwendungen von Smartphones über E-Scooter bis hin zu lebensrettenden medizinischen Anwendungen, für die ebenfalls Lithium-Akkus benötigt werden.
Für alles das könnte das Thermalwasser im pfälzischen Insheim zum Schlüssel werden. Hier wird das Wasser aus über 3.000 m Tiefe mittels einer Pumpe über eine so genannte Produktionsbohrung nach oben gefördert und über einen Wärmetauscher geleitet, der dem etwa 165° Celsius heißen Wasser Wärme entzieht. Dann entschwindet das Wasser über eine Injektionsbohrung wenige Meter daneben wieder in die Tiefe – ohne Pumpe und rein der Schwerkraft folgend. Die Wärme selbst nutzt der Anlagenbetreiber mittels ORC-Prozess (Organic Rankine Cycle) und dem Trägermedium Isopentan in einem geschlossenen Prozess zum Betrieb einer Turbine, die per Generator Strom mit einer Leistung von rund 3,2 MW erzeugt und diesen ins Netz einspeist. Das Ganze ist im Prinzip ein geschlossener Kreislauf. „… von einer Kleinigkeit abgesehen“, korrigiert Horst Kreuter. Dem Wasser wird das wertvolle Element Lithium entzogen.
Lithium – das besondere Metall
Lithium ist ein chemisches Element mit dem Symbol Li und der Ordnungszahl 3. Es gehört zur Gruppe der Alkalimetalle und ist ein Leichtmetall. Aufgrund seiner hohen Reaktivität kommt es auf der Erde nicht elementar, sondern nur gebunden an andere Elemente vor. Lithium gilt als das „weiße Gold der Zukunftstechnologien“ und ist derzeit einer der meist begehrten Rohstoffe. Das feine weiße Pulver wird zu einem silbrigen Metall verarbeitet, das in fast jedem Akku steckt und Smartphones, Laptops, Elektroautos, E-Bikes, aber auch Akkuleuchten, medizinische Geräte und vieles mehr in Betrieb hält.
Das Metall ist in der Erdkruste zu 0,006 % enthalten und damit in einer höheren Konzentration als Gold, Blei und Zinn. Aber der Hunger ist derart groß, dass sich der Bedarf an Lithium über die nächsten zwei Jahre verdoppeln könnte.
Mit 55 % oder 55 Mio. t Lithium gehört die Minenproduktion in Australien zu den größten – gefolgt von Chile und China. Bei der Raffinadeproduktion liegt die höchste Kapazität in China, und so geht der Großteil der australischen Lithiumexporte nach China.
Bisher sind weltweit geschätzte 89 Mio. t Lithiumreserven bekannt. Die wichtigsten Länder sind derzeit Bolivien (21 Mio. t), Argentinien (20 Mio. t), Chile (11 Mio. t), Australien (7,9 Mio. t), China (6,8 Mio. t) und Indien (5,9 Mio. t). Vor wenigen Wochen wurde im Iran ein weiteres Lithiumvorkommen von 8,5 Mio. t entdeckt. Laut einer Studie der Deutschen Rohstoffagentur DERA ist bis zum Jahr 2030 von einem Lithium-Defizit von bis zu 341.000 t auszugehen. Dies entspräche der vierfachen Jahresproduktion von 2020.
Synergien nutzen
Von Revolution möchte Kreuter nicht sprechen, und die Firmenhistorie ist von Nüchternheit geprägt. Aber gerade darin liegt die Faszination einer technologischen Entwicklung, die sich anschickt, die übermächtige Dominanz Chinas in der globalen Lithium-Wirtschaft zu brechen und Deutschlands Abhängigkeit von Importen des für die Energiewende notwendigen Metalls zu beenden.
„Es war eine E-Mail, die ich am 5. Mai 2018 von einem mir bis dahin unbekannten Australier namens Dr. Francis Wedin erhielt“, erinnert sich Horst Kreuter. Der Australier ist Geologe und auf das Thema Lithium spezialisiert. Er hatte in einer Studie zum Vorkommen von Lithium in Thermalwasser zwei Regionen auf der Welt ausgemacht, die reichhaltige Lithium-Ressourcen versprechen: Salton Sea in Kalifornien und den Oberrheingraben. Wedin fand in Horst Kreuter den idealen Partner, denn der Geologe Kreuter war in der Geotechnik ausgebildet und hatte viel Erfahrung bei der Exploration von geothermischem Tiefenwasser gesammelt. „Drei Monate nach der ersten Mail haben wir die Vulcan Energy Resources Ltd mit Sitz im australischen Perth gegründet“, so Kreuter.
Zur Vulcan Gruppe, die als Ltd an den Börsen von Sydney und Frankfurt gelistet ist, gehören inzwischen eine Reihe kleinerer Unternehmen im Bereich Geothermie und Lithiumgewinnung aus Thermalwasser: die deutsche Vulcan Energie Ressourcen GmbH, die Vulcan Energy Subsurface Solutions GmbH, die Vulcan Energy Engineering GmbH, die Bohrgesellschaft Vercana GmbH sowie die Natürlich Insheim GmbH. Im Ausland gibt es neben der australischen Muttergesellschaft noch die Vulcan Energy France SAS im nahen Elsass. Alles in allem sind bislang rund 295 Mitarbeiter in der Gruppe beschäftigt. „Ende dieses Jahres wollen wir auf über 400 erhöhen“, gibt sich Kreuter optimistisch.
Zu der Hoffnung, den deutschen Lithiummarkt auf ganz neue Beine stellen zu wollen, kommt die Gewissheit, dass sich das alles unter umweltgerechten Bedingungen, CO2-neutral in geschlossenen Kreisläufen und ohne Abfälle und Emissionen realisieren lässt.
Zerstörungsfreie Extraktion
Ganz anders läuft das etwa in Australien. Hier führt die Lithiumgewinnung aus Hartgestein im Tagebau zu einer großflächigen und einschneidenden Landschaftsveränderung. Nach dem Abbau muss das Gestein in China durch Einsatz fossiler Brennstoffe und Säuren zunächst noch hydro- und pyrometallurgisch aufbereitet werden, bevor daraus Lithiumhydroxid (LiOH) produziert werden kann. Dieser Prozess ist nur mit einem sehr hohen CO2-Ausstoß realisierbar. Rund 15.000 kg CO2, so errechnete das auf Life Cycle Analysen spezialisierte Unternehmen Minviro 2020, entstehen bei der Gewinnung von 1 t LiOH aus Hartgestein, zudem werden 170 m3 Wasser und 464 m2 Fläche verbraucht.
Noch problematischer sieht es bei der Lithiumgewinnung aus großflächigen Verdunstungsbecken, wie man sie in Chile antrifft, aus. Hier werden an den trockensten Orten der Welt riesige Wassermengen entnommen und verdampft. Das belastet nicht nur die Umwelt, sondern wirkt sich auch negativ auf die lokale Bevölkerung und ihre Wasserversorgung aus. 5.000 kg CO2, rund 470 m3 Wasser und ein Flächenverbrauch von 3.124 m² belasten hier die Ökobilanz für eine Tonne LiOH.
Das Projekt „Zero Carbon Lithium“, das sich die Vulcan Group auf die Fahne geschrieben hat, will in allen Disziplinen punkten: 0 kg CO2-Ausstoß, ein Wasserverbrauch von gerade einmal 80 m3 und das bei einem Flächenverbrauch von 6 m².
Wenn man der Ökologie auch die Ökonomie gegenüberstellt, wird das Vulcan-Verfahren noch interessanter. Während LiOH aus Hartgestein Kosten von rund 5.670 Euro/t und die Soleaufbereitung etwa 4.857 Euro/t verursachen – so die Zahlen von Vulcan – kommt das Zero Carbon Lithium-Verfahren auf gerade mal 4.690 Euro/t.
Dieser Betrag setzt sich im Wesentlichen aus drei Komponenten zusammen: der Gewinnung des Thermalwassers, der so genannten Direct Lithium Extraction (DLE), der eigentlichen Lithiumgewinnung aus dem Thermalwasser und der Elektrolyse.
Damit sind die wesentlichen Verfahrensschritte abgebildet. Wichtigster Schritt, der auch im Thermalkraftwerk Insheim in Form einer Pilotanlage realisiert wurde, ist die Extraktion von Lithium mittels eines Sorbenten. Unter dem Handelsnamen Vulsorb entwickelte Vulcan hierzu ein Sorbens aus Lithiumchloridaluminat. „Hier lagern sich Lithium-Ionen weit effektiver an als an bisherigen, marktüblichen Sorbentien“, gibt sich Horst Kreuter zuversichtlich. Ist der Filter erschöpft, werden die Lithiumchlorid-Ionen mit Wasser ausgespült und das Sorbens wird wiederverwendet. Weitere chemische Substanzen kommen vorerst nicht zum Einsatz.
Strategische Partnerschaft
Das gewonnene Lithiumchlorid (LiCl) wird im Industriepark Höchst weiterverarbeitet. Ende April 2023 unterzeichneten die Vulcan Energy Resources Limited und die Nobian GmbH eine Vereinbarung für eine geplante strategische Partnerschaft, die auf die gemeinsame Entwicklung und den Betrieb einer kommerziellen zentralen Lithiumanlage (CLP) in Deutschland abzielt.
Mit Hilfe der Elektrolyseure von Nobian soll das im Oberrhein gewonnene LiCl in hochreines LiOH umgewandelt werden. „Das im Chemiepark Höchst verarbeitete LiOH von Vulcan konnte bereits gängige Qualitätsstandards deutlich übertreffen und ist somit für die Nutzung in Batterien mehr als prädestiniert“, heißt es offiziell bei Vulcan.
Kaum ein Stromspeicher ohne Lithium
Der Markt der häuslichen PV-Speicher wird derzeit von Lithium-Stromspeichern dominiert. Li-Ion-Speicher sind derzeit noch Marktführer, werden aber aufgrund einiger Brandvorfälle zunehmend kritisch gesehen. Li-Eisenphosphat-Akkus gewinnen dagegen zunehmend an Bedeutung. Sie können kaum brennen oder explodieren und gelten als langlebiger und leistungsstärker. Li-Eisenphosphat-Akkus sind nicht toxisch und damit umweltgerechter.
Nobian soll 50-prozentiger Joint-Venture-Partner des Unternehmens werden, das die Lithiumanlage in Deutschland entwickeln und betreiben soll. Im Gegenzug ist vorgesehen, dass Nobian Bareinlagen in Höhe von insgesamt 161 Mio. Euro beisteuert. Der notwendige Investitionsaufwand für die Anlagen-Entwicklung wird derzeit auf 322 Mio. Euro geschätzt. Die Absichtserklärung steht unter dem Vorbehalt, dass die Parteien innerhalb von zehn Wochen nach Unterzeichnung der Absichtserklärung eine endgültige Vereinbarung treffen.
Nach dem Pilotprojekt in Insheim soll nun eine Demonstrationsanlage in größerem Maßstab im nahen Landau an der dortigen Geothermieanlage folgen. Das Landesamt für Geologie und Bergbau Rheinland-Pfalz genehmigte kürzlich den Betrieb der Demonstrationsanlage zur Lithium-Extraktion in Landau.
Strom, Wärme und Lithium
„Ziel der Demonstrationsanlage ist es, das Betriebsteam zu schulen, bevor es mit der kommerziellen Lithiumproduktion beginnt“, erklärt eine Unternehmenssprecherin. Im Einklang mit dem bisher angegebenen Zeitplan wolle Vulcan Ende 2025 in die kommerzielle Produktion einsteigen. In Insheim habe man die Machbarkeit des Verfahrens bewiesen, und die Demonstrationsanlage in Landau werde eine 500 Mal größere Dimension darstellen. Pro Monat sollen dann schon dieses Jahr monatlich einige Tonnen LiOH produziert werden.
Eine finale Machbarkeitsstudie (Definite Feasibility Study) für das gesamte Zero Carbon Lithium-Verfahren wurde Mitte Februar 2023 veröffentlicht. Damit sollen Investoren, Aktionäre und Banken überzeugt und zu weiteren Investitionen motiviert werden.
In der Phase 1 will Vulcan Energy 24.000 t Lithiumhydroxidmonohydrat (LHM) pro Jahr herstellen. Im Vergleich zur vorläufigen Machbarkeitsstudie (Pre-Feasibility Study) ist dies eine Steigerung von 60 %. Grund für die Erhöhung der Produktion ist die Identifizierung neuer Produktionsstandorte, die Ende 2025 in Betrieb genommen werden sollen. Neben dem Lithium sollen jährlich mehr als 300 GWh/a an erneuerbarem Strom und mehr als 250 GWh/a an erneuerbarer Wärme erzeugt werden. Die Investitionen für die erste Phase liegen bei 1,496 Mrd. Euro während die Produktionskosten pro Tonne LHM 4.359 Euro betragen. Aktuelle Herstellungskosten in anderen Regionen, wie in Lateinamerika liegen bei mehr als 5.000 Euro.
Vulcan setzt große Anstrengungen daran, auch die künftigen Kunden für das deutsche Lithium rechtzeitig ins Boot zu holen. So kam im Juni letzten Jahres der weltweit viertgrößte Autobauer Stellantis u. a. mit den Marken Alfa Romeo, Chrysler, Citroën, Fiat, Opel und Peugeot als zweitgrößter Anteilseigner mit einem Invest von 50 Mio. Euro ins Unternehmen. Stellantis gilt als der weltweit erste Automobilhersteller, der in ein börsennotiertes Lithiumunternehmen investiert.
Ende Mai dieses Jahres wurde zudem bekannt, dass Vulcan Energy Resources Limited und Stellantis N.V. ein Eckpunktepapier für die erste Phase eines Projekts zur Entwicklung neuer geothermischer Projekte unterzeichnet haben, mit denen der Energiemix des Stellantis-Werks in Mulhouse in Frankreich dekarbonisiert werden soll. Gleichzeitig soll dort auch das Potenzial für die Lithiumproduktion untersucht werden.
Auch mit weiteren Unternehmen wie dem koreanischen Batterieproduzenten LG Energy Solution, dem Kathodenhersteller Umicore sowie mit Renault und Volkswagen hat Vulcan bereits die künftige Abnahme des CO2-neutralen Lithiums vertraglich abgesichert. Stellantis hat demnach zugesagt, mindestens 81.000 t und maximal 99.000 t LiOH über einen Zeitraum von zehn Jahren abzunehmen.
Trotz der vielen Abnahmezusagen für Lithium sind die finanziellen Ansprüche ambitioniert: In der ersten Entwicklungsphase benötigt Vulcan nach eigenen Kalkulationen 1,496 Mrd. Euro. Die Kosten der zweiten Phase stehen noch nicht fest.
E-Fahrzeug als Strompuffer
Stromspeicher auf Lithiumbasis sind derzeit noch die idealen Puffer, um den Solarstrom in die Nachtstunden und zum Teil noch in den nächsten Tag zu „retten“. Doch die Kapazitäten liegen meist nur zwischen 2,5 und 15 kWh, und die Preise sind mit 750 bis 1.200 Euro/kWh recht hoch. Die Nutzung der Elektrobatterie eines E-Autos kommt da wesentlich günstiger. Das „bidirektionale Laden“ soll künftig zu einem wichtigen Element der Sektorenkopplung zwischen mobilen und stationären Stromanwendungen werden. Technische Voraussetzung dafür ist ein Wechselrichter, der die Gleichspannungsversorgung des Pkw mit der Wechselspannungsversorgung des häuslichen Netzes koppelt.
Dafür gibt es bereits drei Varianten: Bei der „Vehicle-to-load (V2L)“- oder der Vehicle- to-Device (V2D)-Variante befindet sich im Fahrzeug eine Schuko-Steckdose, die unterwegs die Wechselspannung zum Betrieb elektrischer Geräte liefert. Bei der „Vehicle-to-Home (V2H)“-Variante hängt der Pkw an der Wallbox und liefert bei Bedarf Strom aus der Bordbatterie an das Hausnetz. Bei der „Vehicle-to-Grid (V2G)“-Variante wird Strom in das gesamte Netz abgegeben und – so die Vision – viele Tausend Fahrzeuge können zu einem virtuellen Kraftwerk zusammengeschaltet werden.
Viele Pkw verfügen bereits über die Möglichkeit bidirektionalen Ladens, und eine Norm für die Sektorenkopplung gibt es mit der ISO 15118-20 (Smart Charging).
Martin Boeckh
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