Entwässerung

Regen auf Zeitreise

Der Schieferboden in der Region Balingen besteht zu weiten Teilen aus ca. 180 Millionen Jahre altem Ölschiefer, in dem sich so manche Fossilien finden lassen. Bei der Bebauung stellt er besondere Anforderungen. Wird dieser Boden überbaut, also nicht mehr natürlich beregnet, „arbeitet“ er. Aufgabe war es, nicht nur die ca. 30.000 m² Flachdachfläche eines Lagerneubaus zu entwässern, sondern gleichzeitig in dem Boden, auf dem die vier Hallenschiffe errichtet wurden, ein ideales Feuchtigkeits-/Mikroklima zu sichern.
1105
Im Untergrund Millionen Jahre alter Ölschiefer: der Lagerhallenneubau von Weinmann & Schanz steht auf besonderem Grund und Boden. Bild: Nino Strauch, Tübingen; Sita Bauelemente GmbH
Im Untergrund Millionen Jahre alter Ölschiefer: der Lagerhallenneubau von Weinmann & Schanz steht auf besonderem Grund und Boden. Bild: Nino Strauch, Tübingen; Sita Bauelemente GmbH

Normalerweise ist es das Bestreben, Regenwasser schnell vom Dach und vom Gebäude abzuführen. Bei dem Lagerhallenneubau der Weinmann & Schanz GmbH, Versandgroßhandel für die Sanitär-, Heizungs- und Klimabranche, war diese Aufgabe differenzierter zu betrachten. Architekt Elmar Hotz (h2 Architekten GmbH, Winterlingen): „Dieser Posidonien-Schiefer hat eine Besonderheit. Wenn er – sagen wir mal vereinfacht – austrocknet, dann dehnt er sich aus. Was das für die Statik bedeutet, kann man sich vorstellen. Durch die Flächenversiegelung, sprich Bebauung, wird die natürliche Beregnung in diesem Bereich unterbunden. Betrachtet man die Flächen, die wir hier mit den vier neuen Hallen und den vier Bestandsgebäuden quasi versiegeln, dann stellt sich die Frage, wie und wo soll dort noch Oberflächenwasser, Niederschlagswasser in den Boden sickern? Zentrale Frage war: Wie kriegen wir diesen ‚Kameraden‘ hier unter den Bauwerken besänftigt? In diesem Landstrich gibt es sehr viele Bauschäden. Schon beim 1. Bauabschnitt vor sechs Jahren holten wir uns daher professionelle Unterstützung durch die Firma GeoTerton ins Boot. Der Dipl.-Geologe Heiner Terton präsentierte eine Problemlösung, die dann auch von anderen Bauherren in diesem Gebiet so angewandt wurde. Einen Teil des Bemessungsregens führen wir über die herkömmlichen Grundleitungen in das Regenrückhaltebecken ab. Aber einen Großteil des anfallenden Regens leiten wir über ein fächerförmiges Rohrsystem dem Schiefergrund zu, um dort das Feuchteklima/Mikroklima zu pflegen“.

Gestein ruhig halten

„Das Wasser dient nicht zur Befeuchtung oder Bewässerung der Posidonienschiefer-Formation, wie oft fälschlicherweise angenommen, sondern zur Erzeugung einer wasserdampfgesättigten Atmosphäre unter der Bodenplatte. Die Gründungsebene wie auch das angrenzende Erdreich muss nicht feucht gehalten, sondern gegen Verdunstung geschützt werden“, erläutert der Geologe Heiner Terton. „Das im Gestein zirkulierende Wasser enthält Sulfat- und Kalziumionen. Verdunstet das Schichtwasser, reichern sich diese Ionen in der Restlösung an, um schließlich als Gipskristalle in den Schichtfugen auszufallen. Aufgrund der dünnschichtigen Beschaffenheit und der kompakten Ausbildung der einzelnen Schichtblätter können sich die Gipskristalle nicht in das Gestein ausdehnen wie bei weicheren Böden, z. B. in geringharten Tonsteinen. Der Wachstumsdruck drückt die einzelnen Schichtblätter auseinander und führt durch das Kristallwachstum zu einer Volumenzunahme und damit zu Hebungen. Aus der Literatur sind Hebungsbeträge von 30 % bekannt. Ein Meter Schichtpaket kann um ca. 30 cm wachsen, und das mit einem Hebungsdruck von 300 kN/m². Das bedeutet: Dieses Gestein kann im ungünstigsten Fall eine Last von 30 t anheben“.

Schichtaufbau mit „Elefantenhaut“

Knapp einen Meter hoch inklusive Betonbodenplatte ist das Schichtenpaket unter den Gebäuden, das dem Diffusiveffekt vorbeugt und dem Hallenkomplex eine ruhige Zukunft sichert. Unter der Perimeterdämmung erfolgt die eigentliche Abdichtung durch eine geosynthetische Tondichtungsbahn (GTB) als kombinierte Polymer-Bentonitmatte. In den darunterliegenden Kies- und Sandschichten sind die Vollsickerrohre eingebettet, die die Austrocknung des Untergrunds verhindern.

Kreislaufprinzip

Elmar Hotz erklärt das Funktionsprinzip: „Es regnet. Das Entwässerungssystem leitet das Regenwasser in die perforierten Vollsickerrohre, die fächerförmig unter der gesamten Bodenplatte verlegt sind“. Planer Eric Moekotte vom Ingenieurbüro Klaus Weingärtner VDI ergänzt: „Das ist wie bei Drainagerohren, nur dass die Funktion umgekehrt verläuft. Wir nehmen unser Dachwasser und führen es wieder dem Erdreich zu, in einer Schicht, in der es sich ausbreiten kann. Die einzelnen Fallleitungen dienen als Verteilrohre, die uns helfen, den Untergrund kontrolliert zu fluten“. Um die Wasserversorgung dieses ausgeklügelten Systems nicht zu gefährden, verzichtete die Stadt Balingen teilweise auf die hier eigentlich obligatorische Dachbegrünung, die eine gewisse Regenrückhaltung bewirkt, die bei dem Weinmann & Schanz Bauwerk eher kontraproduktiv wäre. So ist das Feuchteklima auch in regenärmeren Zeiten sichergestellt.

Streckenplanung mit Brandschutz

Auf den weitläufigen Flächen des 28.500 m² großen Flachdachs arbeiten Haupt- und Notentwässerung perfekt zusammen. Die aufwändige Druckentwässerung wurde von der Sita Berechnungsabteilung erstellt und per Auto-CAD den Objektbeteiligten zur Verfügung gestellt. Alle Gullys, sowohl die 104 SitaDSS Profi-Gullys für die Hauptentwässerung als auch die 82 Notentwässerer, SitaDSS Profi mit SitaMore Anstauelement, wurden in Firesafe-Ausführung verbaut.

Bei Hallenbauten größer als 2.500 m² greift die DIN 18234, Teil 3 und 4. Nach dieser DIN ist „die Begrenzung der Brandweiterleitung in den Dachaufbau und/oder auf die Oberfläche des Dachs bei unterseitiger Brandbeanspruchung“ u. a. auch für Durchdringungen vorgeschrieben. Bei Dachgullys und Lüftern kommt hier der Brandschutz von kleinen Durchdringungen zum Tragen. Auch durch diese recht kleinen Durchdringungen können sich im Brandfall Feuer und Brandgase den Weg in den Profil- und Dachhohlraum bzw. auf die Dachfläche ebnen.

Bei Weinmann & Schanz gab es zusätzlich ein Brandschutzgutachten, das den besonderen Schutz von kleinen und großen Durchdringungen forderte. Bauherr und Planer entschieden sich für das Firesafe-Prinzip. Der SitaFiresafe, der speziell für den effektiven vorbeugenden Brandschutz von Kunststoffgullys und Systemlüftern entwickelt wurde, schützt brennbare Bauteile wie ein Safe vor Feuer. Um im Notfall einer Brandweiterleitung vorzubauen wurden nicht nur die Gullys, sondern auch die SitaVent Systemlüfter für die Sanitär- und die Raumentlüftung in SitaFiresafe-Ausführung geliefert. Der feuerfeste, patentierte und zertifizierte SitaFiresafe bietet eine wirtschaftliche Alternative zu Entwässerungsanlagen aus Guss und Stahl und gleichzeitig eine normgerechte Brandschutzlösung. Das Prinzip ist so einfach wie genial: In die nicht brennbare Brandschutzeinheit, die überdies mit nicht brennbarem Dämmmaterial verfüllt ist, wird ein die Durchdringungsöffnung abdichtender Sita Gully oder Lüfter eingesetzt. Im Übergang zum brennbaren Rohr ist eine Brandschutzmanschette angeordnet, die sich bei einem Brand infolge der Temperaturerhöhung selbsttätig schließt. Der Firesafe selbst hält den Temperaturerhöhungen stand und verhindert, dass Rauch und Flammen in die Dachkonstruktion eindringen können.

Sprinkler mitten drin

Durch geschickte Planung ist es gelungen, die Sprinklerrohre genau mittig zu den Entwässerungsrohren zu platzieren. Planer Eric Moekotte: „Ziel war es, dass die Dachentwässerungs- und Notentwässerungsleitungen keine Sprühbehinderung für die Sprinkler darstellen. In Halle 5, einem dreigeschossigen Regalbau-Bau, haben wir uns entschieden, alle Rohre auf die mittlere Regalebene zu verziehen und Platz sparend parallel zu den Förderbändern zu platzieren. Stichleitungen führen nach unten in die Zwischenebene und von dort in die Sammelleitungen. So konnten wir eine Einschränkung der Mindesthöhen vermeiden und eine optimale Kopfhöhe erhalten“.

Strecke gemacht

Das gesamte Leitungsnetz wurde mit PE-Rohren ausgeführt. Für die Hauptentwässerung kamen allein 14.055 m Rohrleitungen in den Nennweiten DN 40 bis DN 125 zum Einsatz. In der Notentwässerung wurden 66.165 m Rohrleitungen von DN 40 bis DN 315 verarbeitet. Für die langen Strecken, die innerhalb eines Druckströmungssystems überbrückt werden müssen, eignen sich PE-Rohre vor allen Dingen wegen ihres geringen Eigengewichts. Teilweise verliefen die Rohrleitungen über Einzelstrecken von ca. 250 m. So wird die komplette Halle 7 z. B. über die Halle 8 notentwässert. Dieser Aufwand wurde betrieben, um die Fassade vor Halle 7 frei zu halten und sich räumliche Optionen für einen eventuellen zusätzlichen Neubau zu erhalten.

Stark bei Starkregen

Laut Kostra DWD ist am Standort Balingen mit einem Berechnungsregen r5/5 von 371 l/s ∙ ha und einem Jahrhundertregen r5/100 von 668 l/s ∙ ha zu rechnen.

Eine gewisse Regenspende ist durch den Schiefergrund systembedingt gewünscht. Aber was passiert bei einem Starkregenereignis? Die Notentwässerung geht dann auf das Gelände und schadlos überflutbare Flächen, auf denen es versickern kann. Die maximale Wassermenge fällt hier vor Halle 8 an, die ja auch noch die Notentwässerung der Halle 7 übernimmt. In Zusammenarbeit mit einem Außenanlagenplaner wurde ein Konzept entwickelt, die Regenspende schadfrei vom Gebäude abzuleiten. Außen liegende Mulden, Rinnen und Rigolen weisen dem Wasser richtige Wege.

Für die Hauptentwässerung bestehen kommunale Einleitbeschränkungen. 360 l/s dürfen mit Erlaubnis der Stadt eingeleitet werden. In der Gesamtheit fallen ca. 900 l/s an. Architekt Hotz: „Die Differenz wird zurückgehalten, quasi zwischengepuffert in einem gesonderten Retentionsbecken, das wir unter den Parkplätzen erstellt haben“.

Fazit

Dieses Projekt ist ein besonderes, weil es galt, nicht nur zu entwässern, sondern auch zu bewässern. Effektive Flachdachentwässerung wurde hier mit einem Zusatznutzen verbunden. Indem wir einen Teil des Bemessungsregens dem Schiefergrund zuleiten, bauen wir der diffusiven Austrocknung des Untergrunds vor, die in der Region Balingen bereits zu vielen Gebäudeschäden geführt hat. So schützt das Sita Druckentwässerungssystem quasi von oben – also dem Flachdach – bis ganz unten in die Gründung, also die Gesteinsschichten unterhalb des Hallenkomplexes.

Bautafel

Objekt: Neubau von vier Lager- und Logistikhallen, Balingen

Bauherr: Weinmann & Schanz GmbH, Balingen

Architekt: h2 Architekten GmbH, Dipl.-Ing. (FH) Melanie Hotz, Dipl.-Ing. (FH) Elmar Hotz, Winterlingen

Geologe: GeoTerton, Dipl.-Geologe Heiner Terton, Mössingen

Planer: Ingenieurbüro Klaus Weingärtner VDI, Eric Moekotte, Balingen

Dachdecker: M & D Flachdachtechnik GmbH, Dachdeckermeister Elvedin Nicevic, Laupheim

Materialien: SitaDSS-System mit SitaDSS Profi DachgullysSitaDSS Profi AufstockelementeSitaMore AnstauelementeSitaFiresafe mit SitaDSS ProfiSitaDSS PE-HD Rohre und FormteileSitaDSS PE ElektroschweißmuffenSitaDSS-Befestigungssystem

Hersteller: Sita Bauelemente GmbH, Rheda-Wiedenbrück

Cengiz Karadeniz

Cengiz Karadeniz
AnhangGröße
Beitrag als PDF herunterladen613.75 KB

· Artikel im Heft ·

Regen auf Zeitreise
Seite 22 bis 25
11.05.2023
Oslo
Norwegen ist das Land der Fjorde und Gletscher. Auch die Hauptstadt Oslo mit knapp 700.000 Einwohnern ist von Fjorden umgeben. Doch nicht nur die Natur ist in und um Oslo schön anzusehen. Die Stadt...
13.11.2023
Klimaschutz und Klimaanpassung
Eine Energiezisterne ist ein kompaktes, sektorenübergreifendes System, das Regenwasser in mehrfacher Hinsicht nutzbar macht. Im Rahmen eines Forschungsprojektes wurde das Konzept anhand eines...
17.08.2023
Neue Wege im Bundesbau
Komplexe und technisch anspruchsvolle Baumaßnahmen der öffentlichen Hand innerhalb des Kosten- und Terminrahmens zu realisieren, stellt in der konventionellen vertraglichen Abwicklungeine besondere...
14.08.2023
Luft entfeuchten
Das Verarbeiten, Verpacken und Lagern von hochwertigen frischen Produkten wie Obst, Gemüse, Geflügel, Fisch oder Meeresfrüchte erfolgt aus Hygiene- und Qualitätsgründen in gekühlten Räumen. In diesen...
14.11.2023
Gefahr aus dem „Bioreaktor“
Trotz klarer Vorgaben in den technischen Regeln werden Fettabscheideranlagen oft falsch angeschlossen und daraus resultierende Risiken unterschätzt. Unnötige Schäden lassen sich jedoch bei Beachtung...
17.08.2023
Regenspeicher und Kanalrückstau – drohende Schäden, technische Regeln
Die Regeln der Technik beschreiben aufwändige Vorkehrungen zum Schutz vor Gebäudeschäden durch Rückstau. Doch für die Sicherheit der Wasserqualität in unterirdischen Regenspeichern sind vereinfachte...