Eine Norm ist nicht automatisch eine anerkannte Regel der Technik
So sieht es der BVS (Bundesverband öffentlich bestellter und vereidigter sowie qualifizierter Sachverständiger e. V.) und beschreibt, dass mit der steigenden Normenflut ein Anforderungsniveau beschrieben wird, das in den meisten Fällen über dem Bedarf und über einer üblichen Gebrauchstauglichkeit liegt. Im Entstehungsprozess sind primär interessierte Kreise - Lobbyisten und Industrie - und im Wesentlichen nicht betroffene Kreise eingebunden, so dass die Normungstätigkeit in verstärktem Maße durch wirtschaftliche Interessen beeinflusst ist.
Bewährte Lösungen sind nicht mehr anwendbar
„Durch den Deutschen Richter- und Staatsanwaltstag wurde erneut eine Diskussion initiiert, ob, und in welchem Maße DIN-Normen die technischen Sachverhalte als so genannte anerkannte Regeln der Technik widerspiegeln, die im Falle des Rechtsstreits bei Bauprozessen häufig die Grundlage der Urteilsfindung werden“, erklärt Dipl.-Ing. Helge-Lorenz Ubbelohde, BVS-Vizepräsident und öffentlich bestellter und vereidigter (ö.b.u.v.) Sachverständiger für Schäden an Gebäuden.
Im Gegenzug, so kritisiert der BVS, sind langfristig bewährte technische Lösungen nicht mehr anwendbar. BVS-Tenor ist, dass der Bauprozess in Planung und Ausführung unnötig komplexer wird und durchdachte, vereinfachte Lösungen missen lässt. Nach Einschätzung des Verbandes sind Kostenerhöhungen für die Bauherren eine Folge. Damit verbunden sehen die öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen auch Auswirkungen auf die Bautätigkeit und eine Umstrukturierung des Markts.
Sachverständiger Ubbelohde erläutert hierzu: „Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige werden häufig, so auch bei Gericht, um ihre Einschätzung gebeten. Nicht wie oft angenommen, ist eine Norm tatsächlich auch eine anerkannte Regel der Technik. Hier gilt es zu differenzieren, wenn wir auch in der Praxis oft erleben, dass die Norm quasi mit der anerkannten Regel der Technik gleichgesetzt wird. Dies erklärt auch, warum in jedem Fall technisch fundiert begründet werden muss, dass im Einzelfall eine DIN-Norm nicht als allgemein anerkannte Regel der Technik gilt. Vor Gericht sind wir als Sachverständige daher gefragt, gleichzeitig aber gänzlich auf uns selbst gestellt. Richter, Rechtsanwälte und Juristen im Allgemeinen stellen sich bei Bemängelungen häufig die Frage, wie die allgemein anerkannten Regeln der Technik einzuschätzen ist. Hierin begründet sich häufig ein nicht unerhebliches Prozessrisiko, da eine Orientierung in der Einschätzung bezüglich des Regelwerks oder einer DIN-Norm nur selten gegeben ist“.
Beschluss mit historischer Bedeutung
Der BVS sieht daher den dringenden Bedarf, aktiv zu werden. Insbesondere die BVS-Bundesfachbereiche Bau und Technische Gebäudeausrüstung setzen sich aktiv ein. Ergebnis ist die Initiation eines Deutschen Bausachverständigen Tag e. V. Verbände der Bau- und Immobilienwirtschaft, Beratende Ingenieure sowie Mitglieder des Sachverständigenwesens und bezüglich der DIN-Normen betroffene Kreise rufen gemeinsam zur Qualitätssicherung diesen Verein (voraussichtliche Erstveranstaltung 2017) ins Leben.
Ziel ist es, dahingehend zu bewerten, ob die betreffende Norm als allgemein anerkannte Regel der Technik anzusehen ist und ob eine Empfehlung ausgesprochen werden kann, eine DIN-Norm bauaufsichtlich einzuführen. Somit wird in Deutschland, in einer den Baubeteiligten zugänglichen Dokumentation, als Ergebnis eine neutrale und unabhängige Sachverständigenmeinung dazu formuliert, in welchem Maße neue Normen als anerkannte Regel der Technik anzusehen sind.
Dieser Beschluss hat historische Bedeutung. Die Organisationsform wird aktuell erarbeitet. „Prinzipiell betreffen diese Sachverhalte nicht nur die Hoch- und Tiefbaugewerke“, so Ubbelohde. „Die Sparten der Elektrotechniker sind grundsätzlich ebenso betroffen, wenn auch offensichtlich der Handlungsdruck aktuell noch geringer ist. Ein aktuelles Beispiel dazu sind die Diskussionen zur Ausführung von Fundamenterdern um DIN 18014 und DIN VDE 0100-540“.
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